„Man muss dem Gehirn immer wieder etwas Neues vorsetzen“
Die Gesundheitsexpertin und Ärztin Dr. Marianne Koch zur Frage, wie man Körper und Geist gesund erhält
- Gesundheit bis ins hohe Alter – das wünschen sich die meisten Menschen, aber viele tun zu wenig dafür. Die Gesundheitsexpertin Dr. med. Marianne Koch erklärt, warum körperliche und geistige Fitness, die Ernährung und ein Blick in die eigene Familie so wichtig sind. „Gesundheit ist eine Mischung zwischen Gnade und Wissen, auch Konsequenz“, sagt Marianne Koch im Interview mit Claudia Kling. Und sie empfiehlt, zu einem Arzt zu gehen, der bereit ist, zuzuhören und über die Probleme des Patienten zu sprechen.
Frau Koch, was haben Sie heute schon für Ihre Gesundheit getan?
Ich fürchte, nicht sehr viel. Ich habe mich heiß und kalt geduscht, immerhin, das ist eine Anregung fürs Immunsystem. Und ich habe grünen Tee getrunken. Dazu, was ich sonst täglich mache, nämlich mit meinem Hund spazieren zu gehen und mediterran zu kochen, bin ich heute noch nicht gekommen. Das hole ich heute Abend nach.
Haben Sie sich selbst tägliche Gesundheitspflichten auferlegt?
Nein, überhaupt nicht. Ich halte mich im Prinzip an die Dinge, die ich auch anderen Menschen empfehle und die auch machbar sind. Ich bin ein viel zu chaotischer Mensch, um mich strengen Pflichten zu unterwerfen. Aber ich achte auf gesunde Ernährung: viel Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch in Maßen. Süßigkeiten mag ich sowieso nicht, und Industrienahrung kommt bei mir nicht auf den Tisch. Aber ich bin nicht so diszipliniert, wie ich vielleicht aussehe.
Der Traum der meisten Menschen ist es, gesund bis ins hohe Alter zu sein. Ist Gesundheit ein Verdienst oder eine Gnade?
Gesundheit ist eine Mischung zwischen Gnade und Wissen, auch Konsequenz. Das heißt, einerseits sind gute Gene eine wichtige Voraussetzung, um gesund zu bleiben, andererseits müssen aber gerade ältere Menschen berücksichtigen, dass sie meist nicht ohne Mühe oder Bemühung gesund alt werden. Neben einer gesunden Ernährung und Bewegung ist auch Muskeltraining ganz wichtig, weil es vor Gebrechlichkeit schützt. Zudem sollte man seinen Blutdruck und sein Cholesterin auf Normalwerte regulieren und etwas für seine Seele und seinen Geist tun. Es hat sich herausgestellt, dass lebenslanges Lernen sogar vor Alzheimer schützt. Man muss dem Gehirn immer wieder etwas Neues vorsetzen, um diese Hunderte Milliarden Verbindungspunkte zwischen den einzelnen Gehirnzellen aufrechtzuerhalten oder sie vielleicht sogar zu vermehren.
In welchem Alter sollte man damit anfangen, an seine Gesundheit zu denken?
Schon relativ junge Menschen sollten sich in ihrer Familie umschauen, an welchen Krankheiten die Verwandten gestorben sind. Wenn beispielsweise der Bruder des Vaters mit 45 Jahren einen Herzinfarkt hatte, dann ist das vielleicht ein Hinweis auf eine Gefäßkrankheit und eine Warnung davor, seinen Blutdruck und den Cholesterinwert zu vernachlässigen. Um den Kopf zu trainieren, ist man nie zu alt. Auch mit 80 ist es möglich, etwas Neues zu lernen – sei es eine Fremdsprache oder ein Musikinstrument, am besten mit Gleichgesinnten. Denn gerade im Alter ist es unheimlich wichtig, Freunde und Familie um sich zu haben. Die schlimmste Alterskrankheit ist Einsamkeit.
Sie sprechen von Einsamkeit als Krankheit. Was meinen Sie damit?
Einsamkeit führt zu Depressionen, Mutlosigkeit und Angst; dadurch steigt auch die Gefahr von Herzkrankheiten und Demenz. In jedem Fall leidet die Lebensqualität enorm.
Körperlich und geistig rege zu sein, ist für Sie also essenziell?
Ja. Und man sollte sich, wenn man 55 oder 60 Jahre alt ist und die Blutdruckwerte bei den meisten Menschen hochgehen, darüber Gedanken machen, was man für seine Gesundheit tun kann. Auf Rauchen zu verzichten beispielsweise. Rauchen schadet dem Körper enorm.
Was raten Sie Menschen, die nicht mehr fit sind, in puncto Bewegung?
Das ist individuell verschieden. Wenn ein Patient nur mit dem Gehen ein Problem hat, dann wäre vielleicht ein Hometrainer eine gute Trainingsmöglichkeit. Ein Rollator an sich ist noch kein Grund, auf Bewegung zu verzichten. Viele Menschen haben ihn ohnehin nur, weil sie sich damit sicherer fühlen, falls ihnen schwindelig wird oder Ähnliches.
Wieviel Bewegung ist sinnvoll? Reicht der Schaufensterbummel, im Garten Unkraut zu jäten – oder muss es ein bisschen mehr sein?
Sich im Garten zu bewegen, ist besser als nichts. Aber es ist nicht das, was der Körper eigentlich haben will: Beim Spazierengehen, beim Tennisspielen oder beim Laufen kommt es zu einer Steigerung des gesamten Stoffwechsels, wodurch der Blutdruck und das Cholesterin runtergehen und die Botenstoffe im Gehirn – Serotonin, Dopamin – angeregt werden. Das hilft auch bei leichten Depressionen. Wieviel der einzelne Patient sich noch zumuten kann, muss der jeweilige Hausarzt oder Internist entscheiden. Ein Marathonlauf mit 85 muss es sicherlich nicht sein.
Reicht ein täglicher Spaziergang?
Es gab vor ein paar Jahren eine Studie in England mit 1000 Beteiligten über 75 Jahren, die täglich zwei Meilen, also drei Kilometer, zu Fuß gingen – egal in welchem Tempo. Die anderen 1000 Studienteilnehmer mussten nichts machen. Nach drei Jahren hat man die Gruppen verglichen mit folgendem Ergebnis: Diejenigen, die täglich zwei Meilen gegangen waren, hatten 50 Prozent weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte als die anderen. Wer sich im Alter wohlfühlen und gut leben will, kann und muss vielleicht sogar etwas dafür tun.
Wie überwinden Sie Ihren inneren Schweinehund, wenn Sie auf dem Sofa sitzen, draußen schlechtes Wetter ist – und man eigentlich keinen Hund vors Haus jagt?
Bei mir ist es so: Mein Hund schaut mich an – und los geht’s. Aber ich würde auch ohne Hund rausgehen. Wenn es stürmisch ist, ziehe ich mich eben anders an. Ich genieße es auch rauszugehen, weil ich mich hinterher besser fühle. Wer sich regelmäßig bewegt, hat ein Bedürfnis nach Bewegung. Dann sagt einem der Körper oder der Geist, dass es Zeit wird, etwas zu tun. Man muss Bewegung in das tägliche Leben einbauen. Ob mit Freunden oder alleine – es muss ein Teil des Alltags werden.
Wurde der Faktor Bewegung in den vergangenen Jahren unterschätzt – auch im Hinblick auf Zivilisationskrankheiten wie Krebs?
Wenn Sie damit Sport meinen, dann ja. Krebspatienten, die nach Operationen regelmäßig anfingen, Sport zu machen, haben eine viel geringere Rückfallquote als andere. Die Rückfallquote ist zum Teil sogar geringer als bei Patienten, die nach der Operation mit einer Chemotherapie behandelt wurden. Sport hilft unglaublich viel. Man weiß inzwischen auch, dass das Immunsystem von Menschen, die sich viel bewegen, besser ist und deshalb defekte Zellen des Körpers, die sich zu einem Krebs entwickeln könnten, leichter erkennt und vernichtet.
Was raten Sie Menschen, die sich gerne bewegen würden, aber ständig Zeitnot haben?
Sie sollten eine Woche lang einen genauen Stundenplan führen. Dann sehen sie, wann sie am ehesten Zeit für regelmäßigen Sport haben. Wie gesagt, es geht darum, Bewegung in den Alltag einzubauen.
Mangelnde Bewegung und falsche Ernährung ziehen meist auch Übergewicht nach sich. Wie gefährlich ist es, zu viel auf den Rippen zu haben?
Vor allem bei den ganz kleinen Kindern wäre es wichtig, ihnen keine Süßigkeiten zu geben und sie gesund zu ernähren, weil sich bei ihnen erst ein Geschmacksarchiv ausbildet, das sie ein Leben lang begleitet. Wenn in ihrem Kopf etabliert ist, dass Gemüse gut und fettmachendes Industriezeug schlecht ist, dann werden sie das auch später beibehalten. Das Essverhalten, auch die Frage, wie groß eine Portion sein sollte, wird sehr früh geprägt. Deshalb müssen Eltern wahnsinnig aufpassen, dass sie ihren Kindern eine vernünftige Vorstellung von gutem Essen vermitteln.
Das heißt, Eltern sind über die Ernährung mitverantwortlich, wie hoch das Risiko ihres Kindes ist, später an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu leiden.
Ja, aber auch die Bewegung ist entscheidend. Wenn Kinder in der Schule und zu Hause nur rumsitzen, werden sie leichter übergewichtig, so einfach ist das. Und dann kann man darauf warten, dass sie später Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Ähnliches bekommen.
Viele Menschen wollen ja abnehmen, bringen es aber allenfalls zu einem Jo-Jo-Effekt. Was raten Sie solchen Diät-Verzweifelten?
Auch wenn das keine Hilfe ist: Am besten wäre es natürlich, überhaupt nicht übergewichtig zu werden. Es gibt relativ neue Erkenntnisse, dass der Körper jedes Kilogramm Übergewicht auf Biegen und Brechen verteidigt. Wenn Sie fasten oder Diät machen, stellt sich der Stoffwechsel um. Die Schilddrüsenhormone werden anders, weil der Körper Angst hat zu verhungern. In der Folge wird dann noch die letzte Kalorie aus der Nahrung in Fett oder Energie umgewandelt. Wenn Sie zu schnell zehn Kilogramm abnehmen, werden Sie merken, dass Ihr Körper mit Hungeranfällen darauf besteht, wieder zuzunehmen. Dann ist der Jo-JoEffekt unvermeidlich.
Das sind ja wahrlich trostlose Aussichten.
Nein. Sie müssen einfach langsam weniger essen. Nicht versuchen, auf die Schnelle fünf Kilogramm abzunehmen, das bleibt nicht. Diäten machen dick, alle. Sie müssen langsamer essen, als man das normalerweise macht, und die Portionen um zirka ein Drittel kürzen. Drei Schweinshaxen pro Woche wären aber, auch langsam gegessen, kontraproduktiv.
War es für Sie immer einfach, Ihr Gewicht zu halten?
Ich war als Kind so dürr, dass meine Mutter schon besorgt um mich war. Aber letztlich hat mir das geholfen, nie Gewichtsprobleme zu haben. Mit fortschreitendem Alter habe ich einfach ein bisschen weniger gegessen, weil der Stoffwechsel nach dem 40./ 45. Lebensjahr nachlässt.
Aber ist es wirklich so gesund, dünn zu sein?
Nein, es gibt Statistiken, die zeigen, dass die leicht Übergewichtigen die höchste Lebenserwartung haben. Ein Body-Mass-Index von 26, 27 ist absolut okay.
Inwiefern sind die Gene am Übergewicht beteiligt? Sie haben als Ärztin wahrscheinlich sehr oft den Satz gehört: „Ich esse ja kaum etwas und nehme trotzdem zu“oder „ich habe halt feste Knochen“.
Wenn der Vater, die Mutter oder die Großmutter bessere Futterverwerter waren und jede Kalorie angesetzt haben, dann ist das durchaus ein Hinweis auf das Risiko, selbst übergewichtig zu werden. Aber es liegt auch an diesen schrecklichen Essgewohnheiten heutzutage. Viele Menschen scheuen sich zu kochen. Aber wenn man nur Fast Food oder Fertiggerichte isst, nimmt man einfach zu viele Kalorien zu sich. Sie enthalten oft versteckte Fette und schlechte Zutaten – das gilt übrigens auch für das Speisenangebot in vielen Kantinen.
Wenn ein Patient beim Blick in seine Familiengeschichte zu dem Ergebnis kommt, dass in seinen Genen einige Krankheitsrisiken lauern, was kann er dann tun?
Wenn Sie die Vermutung haben, dass Sie erbliche Risiken mit sich herumtragen, müssen Sie zu Ihrem Arzt gehen, der dann die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen machen oder Sie zu einem Facharzt überweisen kann.
Und das bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen?
Ja sicher. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Hautkrebs und auch Darmkrebs. Wann Sie Anspruch auf welche Untersuchung haben, hängt von Ihrem Alter, aber auch von der genetischen Vorbelastung ab. Aber Sie können natürlich auch selbst etwas tun – ganz unabhängig von der ärztlichen Diagnose. Wenn Ihre Mutter beispielsweise stark übergewichtig ist und deshalb Diabetes Typ 2 hat, sollten Sie unbedingt darauf achten, schlank zu bleiben.
Wer bis ins hohe Alter gesund bleiben will, sollte den Blick also nach vorne und gleichzeitig zurück richten?
Richtig. Und Sie brauchen einen vernünftigen Arzt. Aber das ist tatsächlich ein großes Problem, weil die Ärzte heutzutage nicht mehr für das bezahlt werden, was ich die „sprechende Medizin“nenne. Das ist ein Skandal, weil ein guter Arzt, der Patienten als ganzheitliche Menschen in ihrem sozialen Umfeld wahrnimmt, ihnen zuhört und sie ausführlich berät, eine größere Chance hat, Krankheiten erfolgreich zu behandeln oder sogar zu verhindern. Deshalb ermutige ich die Patienten, aufmüpfig zu sein und ihren Arzt zum Reden aufzufordern – auch wenn ihm das nicht honoriert wird. Für die Mediziner ist es frustrierend, dass vieles von dem, was ihren Beruf ausmacht, nicht bezahlt wird.
„Man muss Bewegung in das tägliche Leben einbauen.“ Marianne Koch zur Frage, wie man sich selbst motiviert „Wenn Seele und Körper in einem harmonischen Gleichgewicht sind, dann ist das auch Vorsorge.“ Marianne Koch zur Rolle der Psyche
Und welche Rolle spielt die Psyche bei der Entstehung von Krankheiten?
Die Psyche ist an allen Körperfunktionen beteiligt. Bei Rückenschmerzen beispielsweise wissen wir, dass Menschen, die unter ihrem Chef oder anderen seelischen Schmerzen leiden, häufiger davon betroffen sind. Das lässt sich auch gut erklären: Diese Patienten haben eine erhöhte Muskelspannung im Rücken, die dann Fehlhaltungen begünstigt. Verkürzte und verhärtete Muskeln sind eigentlich die Hauptgründe für Rückenschmerzen, die teilweise sogar zu Frühverrentungen führen.
Aber wie schafft man es, heiter zu sein, wenn vieles auf einem lastet?
Wir sollten uns um Verhältnismäßigkeit in unserem Leben bemühen. Das heißt, wir müssen lernen, uns die positiven Seiten in unserem Leben bewusst vor Augen zu führen und uns nicht auf das Negative zu konzentrieren. Das klingt sehr theoretisch, ich weiß, und es ist nicht einfach umzusetzen, vor allem, wenn es einem dreckig geht. Aber es scheint zu helfen. Wenn Seele und Körper in einem harmonischen Gleichgewicht sind, dann ist das auch Vorsorge. Die nächste Folge der Gesundheitsserie erscheint am Montag. Darin geht es um Adipositas. Weitere Informationen finden Sie unter www.schwaebische.de/ leibundseele