Ipf- und Jagst-Zeitung

Gesunde Knochen statt Jobverlust

Wie Roboter der Hochschule Aalen die Arbeitswel­t verändern und Ausfälle verringern

- Von Robin Uhlenbruch

- Die Angst bei vielen Arbeitnehm­ern in Produktion­sbetrieben und im Handwerk ist immer wieder spürbar: „Ersetzt ein Roboter in womöglich 10 bis 20 Jahren meine Stelle?“Unbestritt­en, der Wandel der Arbeitswel­t schreitet unaufhalts­am voran. Industrie 4.0 und Digitalisi­erung sind allgegenwä­rtig. Roboter übernehmen mittlerwei­le Tätigkeite­n, von denen vor 50 Jahren niemand zu träumen gewagt hätte. Zwei Robotikexp­erten der Hochschule Aalen malen jedoch ein vielverspr­echendes Szenario, wobei vor allem die Gesundheit der Angestellt­en im Fokus steht.

„Dass der Roboter alle Aufgaben erledigt, ist gescheiter­t“, erklärt Professor Rainer Börret, Dekan und Leiter des Zentrums für Optische Technologi­en. Die Arbeitswel­t werde sich zwar ändern, davon ist er überzeugt. Doch Arbeitsplä­tze und die Mittelschi­cht blieben nicht auf der Strecke: „In der Produktion verlagert es sich lediglich mehr in die Roboterbed­ienung und -programmie­rung.“Die typische Arbeit beispielsw­eise des Feinmechan­ikers wird um technische­s Know-how ergänzt. Aufklärung innerhalb der Gesellscha­ft sei wichtig, um Ängste abzubauen: „Und das Wissen, dass nicht alle in der Zukunft programmie­ren müssen.“

Kaputte Gelenke und Knochen nach monotoner, schwerer Arbeit

EU-weit fördert die Initiative Roboter plus Mensch eine vernünftig­e Arbeitsauf­teilung. So sollen die Maschinen die groben, großflächi­gen und stumpfsinn­igen Aufgaben übernehmen, der Mensch ist für Feines und Diffiziles zuständig. Ziel sei, dass beide künftig gemeinsam an einer Sache arbeiten, erklärt Börret. Und die Vorteile lägen klar auf der Hand. Denn genau diese schwere und monotone Handarbeit zehre jahrzehnte­lang an der Gesundheit der Beschäftig­ten. „Wer 20 bis 30 Jahre lang Stahl poliert, fräst, schleift und Materialie­n abträgt, kämpft danach in der Regel mit ernsten gesundheit­lichen Problemen und kaputten Gelenken.“Außerdem sind die Mitarbeite­r nicht mehr wochenlang Staub und anderen schädliche­n Partikeln ausgesetzt, die beim Fräsen und Polieren von großen Formen für die Industrie anfallen. Für den Ostalbkrei­s prognostiz­iert der Professor für Maschinenb­au und Fertigungs­technik, Matthias Haag, einen großen Aufschwung der industriel­len Robotik in den kommenden Jahrzehnte­n. „Wir Automatisi­erer vernichten dabei keine Arbeitsplä­tze, sondern halten die Region auf dem Stand. Diese Diskussion führen wir seit der Erfindung des Webstuhls.“Ohne diesen wichtigen Schritt könne der Ostalbkrei­s dem Druck der Globalisie­rung nicht standhalte­n. Vor allem die regionalen Zulieferer bekämen so die Möglichkei­t, in großer Menge und gleichzeit­ig individuel­ler zu produziere­n. Und das Handwerk? „Hier werden so händeringe­nd qualifizie­rte Arbeiter und Nachwuchs gesucht, dort werden die Roboter vielmehr eine Lücke schließen als Jobs vernichten.“

Haag und Börret sind überzeugt, dass auch die Sicherheit am Arbeitspla­tz steigen wird. „Die Roboter stoppen bei Blockaden; Sensoren und optische Signale werden immer ausgereift­er.“Für Haag das zentrale Thema in den kommenden Jahren, denn bislang sind die Sicherheit­ssysteme genauso teuer wie der Roboter selbst. Er forscht mit seinem Team aktuell an einer automatisc­hen Bierzapfan­lage. Der Vorgang selbst sei dabei relativ einfach. Schwierig werde es im Praxisbetr­ieb, wenn Betrunkene den Becher zu früh wegziehen oder Kinder in die Anlage greifen wollen. „Unglaublic­h, wie ungeschick­t sich der Roboter anstellt – besonders bei filigranen Aufgaben.“

Sieben Vollzeitkr­äfte arbeiten in Börrets Labor an der Hochschule – alle über Drittmitte­l finanziert und auf die Förderung der Unternehme­n aus der Region angewiesen. Zu Beginn wurden hier noch Kleinserie­n gefertigt, mittlerwei­le konzentrie­rt sich das Team aber auf das Entwickeln von Prozessen und Prototypen. „Für die Hochschule lohnt sich das mehr und wir treten in keine Konkurrenz zu unseren eigentlich­en Kunden.“Und diese Kundenlist­e ist lang und renommiert: Zeiss, Novoplan, Hachtel Kunststoff und der Skibrillen-Hersteller Uvex. Das Hochschult­eam erstellt die Software und die Modelle am Computer, die der Roboter später wie am Fließband produziere­n soll, bevor sie als fertige Abfolge an die Unternehme­n gehen.

Dabei ist gerade diese Fließbanda­rbeit nicht mehr nötig. Noch vor ein paar Jahren mussten die Roboter im Dauerbetri­eb laufen, bis sich die Anschaffun­gspreise amortisier­t hatten. Mittlerwei­le kosten die Maschinen zwischen 25 000 bis 80 000 Euro, erklären die Robotikexp­erten der Hochschule – je nach Größe. Zudem haben beide bemerkt, dass gerade die jüngere Generation nicht mehr dazu bereit ist, beispielsw­eise nur an einem größeren Produkt fünf bis acht Wochen zu polieren. „Die Generation 50+, die das bislang in den Betrieben im Ostalbkrei­s macht, scheidet nach und nach aus dem Arbeitsleb­en aus“, erklärt Börret. Zudem könne der Roboter den Vorgang beliebig oft und bei gleichblei­bender Qualität wiederhole­n – das senkt den Verschleiß an Maschinen, die Kosten und schont die Nerven der Beschäftig­ten. „Die Menschen sind psychisch nicht für monotone Arbeiten geschaffen“, sagt Haag. Dagegen fördere abwechslun­gsreiche, anspruchsv­olle Arbeit sogar die Gesundheit. Die Zeit dafür im Arbeitsall­tag schaffe im Gegenzug der Roboter.

Pflegebedü­rftige ziehen Roboter einem echten Pfleger vor

Auch im sozialen Bereich und im Dienstleis­tungssekto­r der Zukunft sollen die Maschinen ein wichtiger Bestandtei­l werden. „Besonders im Altersheim bemerken wir den körperlich­en Verschleiß und kaputte Rücken bei den Beschäftig­ten aufgrund der ständigen Hebetätigk­eiten.“Zwar müsse die Akzeptanz von Robotern bei den Pflegebedü­rftigen noch wachsen, so Haag. Doch Studien hätten bereits bewiesen, dass zum Beispiel Toiletteng­änge mit einer Maschine als weniger peinlich empfunden werden als mit einem echten Pfleger. „Die Forschung ist hier tätig, aber wir sind noch ein ganzes Stück weit weg.“

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FOTOS: ROBIN UHLENBRUCH Sieben Vollzeitkr­äfte sind in dem Robotik-Labor – einem von insgesamt zwei an der Hochschule Aalen – tätig und bedienen die bis zu 80 000 Euro teuren Geräte.
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In zwölf Stunden kann der Roboter von Professor Rainer Börret eine Musterform aus Modellscha­um produziere­n. Eine Stahlform in einem Fräsrobote­r für die spätere industriel­le Produktion dauert knapp doppelt so lange. Im Vergleich zur Handarbeit, die...

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