Gemeinsam gegen China: Der Rest der Tischtennis-Welt will aufholen
25 Jahre nach dem EM-Titel von Jörg Roßkopf in Stuttgart könnten die deutschen Zelluloidkünstler bei der WM in Düsseldorf wieder Werbung für ihren Sport betreiben
FRANKFURT (dpa/sz) - Seinen Matchball verwandelte er mit einer krachenden Vorhand an der Tischkante entlang. Vor genau 25 Jahren wurde Jörg Roßkopf in Stuttgart Europameister im Tischtennis. „Dieser Sieg hat für mich einen hohen Stellenwert, denn ich wollte in meiner Karriere unbedingt einen großen Einzeltitel holen“, sagte der Mann, der im Doppel Weltmeister (1989) und Olympia-Zweiter wurde (1992).
Ein Vierteljahrhundert später bekommt sein Erfolg von damals noch einmal eine neue Bedeutung. In Düsseldorf findet vom 29. Mai bis 5. Juni die Einzel-Weltmeisterschaft statt. Roßkopf, mittlerweile Bundestrainer, wird seine Nachfolger Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov bei der Heim-WM am Ort des Bundesstützpunkts betreuen. Hinzu kommt: Sein damaliger Endspiel-Gegner Jean-Michel Saive aus Belgien will sich am Rande der WM zum Präsidenten des Weltverbandes ITTF wählen lassen. Und der Schwede Jörgen Persson, Mannschaftsund Doppel-Europameister von 1992, ist seit 2015 neben Roßkopf und Vater Michail der Trainer von Ovtcharov, Europas Nummer eins. Roßkopf, Persson, Saive: Diese Namen stehen für die letzte Generation von Spielern, die die übermächtigen Chinesen nicht nur ärgerten, sondern auch ab und an besiegten. In unterschiedlicher Funktion wollen sie jetzt wieder an der Dominanz der Tischtennis-Weltmacht rütteln.
„Unser Sport ist langweilig, weil am Ende immer ein Chinese gewinnt“, sagt Roßkopf. „Zu meiner Zeit hat China Jahre gebraucht, um einen Titel zu holen. Da müssen wir wieder hin. Das war interessanter.“Seine Generation habe der ITTF „immer wieder gesagt: Nehmt die alten Spieler dazu. Wir wissen, wie es früher war und ob es Sinn macht, vieles davon in die neue Zeit zu übertragen.“
Sein alter Rivale Saive sieht das ähnlich. Sein Wahlprogramm besteht zwar in erster Line aus Allgemeinplätzen („Tischtennis first“). Aber auch der frühere Weltranglisten-Erste sagt: „Für den Rest der Welt sind die Chinesen zu stark und zu viele Spieler. Wenn der Rest der Welt wieder aufholt, werden davon alle profitieren.“
Roßkopf (47) weiß, dass der Vorsprung der Chinesen mir ihren 1,3 Milliarden Einwohnern im Grunde uneinholbar ist. China ist das einzige Land, in dem Tischtennis Volkssport ist. „In China fängt ein Spieler mit fünf Jahren an, bei uns mit neun oder zehn“, erklärt Roßkopf. „In diesem Alter hat ein chinesisches Kind schon Hunderte von Stunden mehr am Tischtennistisch verbracht als unser Kind. Es wird dann mit 15, 16 Jahren in den Männer-Kader integriert und mit 17, 18 Jahren eine Granate sein.“
Die riesige Konkurrenz in China und die Härte des Auslesesystems sind weitere Gründe des Erfolgs. Wer es in Chinas Kader für die WM in Düsseldorf schafft, hat einen härteren Wettbewerb hinter sich, als die Weltmeisterschaften selbst es sind. „So etwas ist bei uns gar nicht möglich“, weiß Roßkopf.
Der Bundestrainer Tischtennis hat das gleiche Problem, das auch seine Kollegen im Turnen, Volleyball oder Rudern beklagen: Das meiste Geld und die größte Aufmerksamkeit konzentriert sich in Deutschland ganz auf den Fußball. „Wir können nur dann wieder einen Stellenwert wie früher bekommen, wenn wir wieder mehr Möglichkeiten haben“, sagt Roßkopf. „Wenn wieder mehr Schulsport angeboten wird, wenn wir wieder mehr Kinder in die Vereine bewegen, wenn wir wieder mehr im Fernsehen übertragen werden und wenn auch andere Sportarten populärer werden.“
Japaner holen auf
Die WM in Düsseldorf soll einen Beitrag leisten, auch wenn das Interesse am Tischtennis nicht mehr so groß ist wie zu Roßkopfs besten Zeiten. „Wir erhoffen uns von dieser WM trotzdem einen kleinen Boom“, sagt er. „Unser Ziel ist, dass vor allem Kinder sehen: Das ist ein toller Sport.“
Und vielleicht schwächeln die Chinesen ja zumindest ein wenig, so wie gerade bei den Asienmeisterschaften. Zwar gewann das Reich der Mitte auch daheim in Wuxi sechs von sieben Titeln und war insgesamt dominant, doch die Stars erlaubten sich ungewohnte Schwächen. So düpierte die 17-jährige Japanerin Miu Hirano nahezu Chinas gesamte Frauenelite mit Erfolgen über Weltmeisterin und Olympiasiegerin Ding Ning, Grand-FinalGewinnerin Zhu Yuling und Chen Meng und holte sensationell als jüngster Spielerin aller Zeiten den Titel. Bolls Doppelpartner in Düsseldorf, Weltmeister Ma Long, blieb wie Ding Ning ohne Medaille im Einzel. Der Olympiasieger unterlag dem aktuell nicht in der Weltrangliste geführten Südkoreaner Jeong Sangeun. Und der Japaner Koki Niwa, am Ende Dritter, warf überraschend den Weltranglisten-Dritten Xu Xin aus dem Turnier. Der Sieger allerdings kam aus China: Titelverteidiger Fan Zhendong.