Spielarten von Licht und Schatten
Nederlands Dans Theater 2 zeigt sein vielseitiges Repertoire beim Bregenzer Frühling
– Drei aktuelle Choreografien und eine charmante Produktion von Paul Lightfoot aus dem Jahr 2000 bildeten das höchst gegensätzliche Programm beim Gastspiel des Nederlands Dans Theater 2 im Rahmen des Bregenzer Frühlings im Festspielhaus. Rätselhaft Vieldeutiges wie das Eröffnungsstück, die ungeheure Ästhetik einer Tänzerin, Marco Goeckes typische Körpersprache und die Schlagermusik vergangener Jahrzehnte verbanden sich zu einem Kaleidoskop facettenreicher tänzerischer Virtuosität. Die ursprünglich vorgesehene Choreografie des Rumänen Edward Clug war durch zwei neue Stücke ersetzt worden, mit rund 150 Minuten Länge und zwei Pausen war dies auch ein in seiner Ausdehnung ungewöhnlicher Tanztheaterabend mit Stücken, die sich zwar ergänzten, allerdings auch überlagerten.
Das Nederlands Dans Theater (NDT) hat eine ältere und eine jüngere Truppe, NDT 2 ist sozusagen die Nachwuchstruppe mit fantastischem Bewegungs- und Ideenrepertoire. Imre und Marne von Opstal sind Geschwister, tanzen bei NDT 1 und choreografieren für NDT 2, der Gruppe, aus der sie selbst hervorgegangen sind. Von ihnen stammen auch die grauen, asiatisch anmutenden Kostüme. Wie beiläufig versammeln sich in „The Grey“die acht (leider namenlosen) Tänzerinnen und Tänzer am Rand eines Tanzbodens, ein Mikrofon schwingt wie ein Pendel, es entwickelt sich eine Geschichte in drei Kapiteln, wobei „chapter 2“nach „chapter 3“als Rückblick und Ausblick erzählt wird. Über den auf Dauer nervtötenden Beats einer elektronischen, laut aufgedrehten Musik sind das Geschichten von Isolation und Gruppenbildung, von Aggression, heftig pulsierender Energie oder einer von den anderen bedrängten, aufgeregt warnenden Sprecherin. Überraschend still und poetisch ist nach all dem Aufruhr der Schluss des gut halbstündigen Stücks.
Als Einheit von Choreografie (Sharon Eyal), Musik (Ori Lichtik), Licht (Tom Visser) und Kostümen (Gai Behar) entwickelt „Feelings“eine besondere Sogkraft: Eine Tänzerin im hautfarbenen Trikot scheint zur intensiven Schlagzeugmusik ihren Körper auszuloten, manches wirkt wie improvisiert, spielerisch und ist doch ungemein kunstvoll. Nach einem langen Solo zieht die Tänzerin die anderen aus der Gruppe auf die Bühne, die langgezogenen Schrittfolgen wirken wie ein lockendes Ritual. Im Spiel von Licht und Schatten erscheinen die 10 Tänzerinnen und Tänzer wie Alabasterskulpturen.
Stuttgarts Haus-Choreograf Marco Goecke ist in gleicher Funktion auch beim NDT engagiert und hat zwei Tänzern sein neuestes Stück „Midnight Raga“auf den Leib geschrieben. Unverkennbar seine hypernervöse, zuckende, heftig auffahrende Körpersprache mit den muskelbepackten Oberkörpern im grauen Gegenlicht, den rotierenden Unterarmen, den stummen Schreien, dem pumpenden Atem. Zur obertonreich, sirrenden indischen Sitar-Musik passt diese Art der Bewegung erstaunlich gut. Als Gegenpol hat Goecker dazu eine melancholische Soulballade von Etta James gewählt: Die Kraft der Stimme, das Wummern der Hammond-Orgel und das Zittern der Bewegung stimmen auch hier zusammen.
Nach diesen drei dunkel getönten Stücken wirkt das vierte wie ein heiteres Scherzo, ein Potpourri aus Schlagern der 1920er- bis 1950er-Jahre liefert die musikalische Basis für ironisch schräge Begegnungen. Klassische Formen, Modern Dance, Charleston, Akrobatik und übersprudelnde Tanzlaune mixen das Choreografen-Duo Sol Leon und Paul Lightfoot hier in „SH-BOOM!“zusammen, verbunden mit dem RetroCharme von Baumwollripp und Kniestrümpfen, schwingenden Kleidern und einem guten Schuss Erotik.
Was lernen wir daraus? Auch mit einem Kupfertöpfchen kann ein Mann seine Blöße bedecken, und wenn schließlich Konfetti vom Festspielhaushimmel regnet, wissen alle: „Life could be a dream …“