Freund der Familie
Mit dem Proace Verso will Toyota dem Platzhirsch VW Multivan Kunden abjagen
Für die Deutschen gibt es eigentlich nur einen Kleinbus – den VW T6. Den Dauerrivalen um die automobile Weltmarktführerschaft Toyota schreckt das aber nicht ab: Nach längerer Abstinenz haben die Japaner Ende des vergangenen Jahres mit dem Proace zum Angriff geblasen. Der Kleintransporter entsteht in Kooperation mit Peugeot und Citroën, und es gibt ihn in einer gewerblichen Variante als Kastenwagen oder Doppelkabine und auch als besser ausgestattete Großraumlimousine, die Toyota auf den Beinamen Verso getauft hat.
Beide Proace-Ableger werden in drei Längen von 4,61 bis 5,31 Metern angeboten. So variiert das Ladevolumen beim Kastenwagen je nach Ausstattung zwischen 4,6 und 6,6 Kubikmetern. Im großfamilientauglichen Verso ist Platz für maximal neun Personen und 224 bis 2932 Liter Gepäck.
Hinter der bulligen Front hat der Kunde die Wahl zwischen zwei Dieselmotoren mit 1,6 oder 2,0 Litern Hubraum, die in jeweils zwei Leistungsstufen mit 95 oder 116 PS sowie mit 150 oder 177 PS daher kommen. Damit schafft der schnellste Proace bis zu 170 Kilometer in der Stunde, der sparsamste kommt laut Hersteller auf einen Verbrauch von 5,1 Litern. Serienmäßig verbaut ist eine Start-Stopp-Automatik.
Gemütliche Fahreigenschaften
Wir waren mit dem 150-PS-Modell unterwegs und mögen uns die Fahrt mit einem kleineren Motor nur ungern vorstellen. Denn schon die Zwei-Liter-Maschine hatte trotz eines maximalen Drehmoments von 370 Newtonmetern reichlich Mühe mit dem Wagen. Mit einem Kombi oder SUV kann und darf man weder Dynamik noch Komfort des Proace Verso vergleichen. Der Proace fährt in der Liga der ehrlichen Arbeiter, benimmt sich dafür aber überraschend gutmütig und feinfühlig. Wer den Wagen nicht unter Termindruck und am Limit bewegt, erlebt ihn als genügsamen Kilometerfresser.
Am Steuer fühlt man sich nicht zuletzt wegen der komfortablen hohen Sitzposition anfangs wie ein Kurierfahrer oder Paketbote. Doch im Alltag stellt sich recht schnell das gewohnte Pkw-Feeling ein. Die Lenkung reagiert sensibel, und die sechs Gänge des Getriebes lassen sich exakt und leichtgängig schalten. Das Armaturenbrett ist von klassischen Analoginstrumenten geprägt. Zudem informiert ein ausfahrbares Headup-Display über die aktuellen Fahrdaten, Navigationshinweise und vom System erkannte Verkehrsschilder.
Als Hinterbänkler fühlt man sich fast wie im Flugzeug: Es gibt Klapptische in den Lehnen der Vordersitze sowie Luftauslässe und separate Leselichter über jedem Platz in der Deckenkonsole. Anders als an Bord einer Boeing oder eines Airbus kann man im Verso allerdings nicht nur die Neigung der Rückenlehnen verstellen, sondern die Sitzreihen auch verschieben,
Großzügiges Platzangebot, Variabilität, bequeme, langstreckentaugliche Sitze
um beispielsweise die Beinfreiheit oder das Ladevolumen im Kofferraum zu vergrößern. Ein Schienensystem ermöglicht die in diesem Segment gewünschte Variabilität. All das wird allerdings mit einem hohen Gewicht des Gestühls erkauft, das mit den integrierten Gurten entsprechend massiv konstruiert werden musste. Schnell mal ein paar Sitze ausbauen kann sich zu einer schweißtreibenden Übung auswachsen.
Ähnlich wie im Flugzeug hat übrigens auch Toyota eine Zwei-KlassenGesellschaft für die Kundschaft etabliert und neben den schlichteren Ausstattungsstufen Shuttle und Family (Testwagen) eine VIP-Variante aufgelegt. Dann gibt es statt der beiden Sitzbänke mit insgesamt sechs Plätzen bis zu sechs Einzelsitze im Fond, die man auch entgegen der Fahrtrichtung platzieren und sogar mit einem Konferenztisch kombinieren kann.
Ob Economy oder Business – je länger man den Proace im Alltag nutzt, desto mehr pfiffige Details lassen sich entdecken. Die Türen zum Beispiel bieten etliche nützliche Ablagen. In engen Parklücken kann man statt der großen Heckklappe auch nur die Heckscheibe öffnen, um an eine Jacke oder eine Tasche im Gepäckraum zu gelangen. Und nach einem angedeuteten Fußtritt unters Auto gleiten beim Proace Verso die seitlichen Schiebetüren automatisch auf oder zu und ermöglichen einen bequemen Ein- und Ausstieg. Davon hat man in der Praxis mehr als von den vielen Plastikteilen in Chromoder Kupferoptik, mit denen Toyota etwas Finesse ins ansonsten funktionale Cockpit zu bringen versucht.
Nicht sicht-, aber hörbar: Die Verso-Varianten bekommen im Vergleich zum Kastenwagen auch spezielles, dickeres Akustikglas zur Geräuschdämmung.
Potenzial zum Ärgern
Unter dem Strich hinterlässt der Toyota Proace Verso einen guten Eindruck. Die Verarbeitung geht in Ordnung, etwas hochwertigere Baustoffe im Armaturenbereich stünden dem Van aber gut zu Gesicht – zumal in dieser Preisklasse. Ein Schnäppchen ist der neue Verso nämlich nicht, auch wenn er ausstattungsbereinigt etliche Tausender unter der deutschen Konkurrenz bleibt. Das Zeug, den Klassenprimus VW Multivan zu ärgern, hat speziell die Topversion des Toyota Proace aber ohne Weiteres.