Immer auch politisch
Theater aus der Ukraine beim Stückemarkt
HEIDELBERG - Man kann sich die Ukraine als Land im permanenten Ausnahmezustand vorstellen. Auch 28 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird es von den Druck- und Fliehkräften der weltpolitischen Geografie in den Grundfesten erschüttert. Vor drei Jahren blickte die Welt in Richtung der Bürgerproteste auf dem zentralen Platz der Hauptstadt Kiew, dem Maidan. Nun waren ausgewählte Theaterproduktionen und Stücktexte aus dem Land, in dem weltpolitische Konflikte aufeinandertreffen, zu Gast beim Stückemarkt in Heidelberg.
Die Ukrainer orientieren sich in Richtung Europa, werden aber von Korruption heimgesucht. Und dann ist da noch der ehemalige große Bruder, der im Rücken der jungen Nation am Rad der Weltpolitik dreht. Wie Theaterkünstler mit so einer Situation umgehen, sah man gleich zu Beginn des Länderschwerpunktes beim Stückemarkt, als die Dakh Daughters das Heidelberger Theater rockten.
Die schwarzen Töchter der ukrainischen Kunstszene gehören dem Dakh Theater in Kiew an. Sie wirken wie unschuldige Novizinnen. Schalten sie in ihrer Musikperformance aber den Turbo ein, sind sie ein Naturereignis: Multiinstrumentale Diskantmonster, die sich beim Rap und ukrainischer Volksmusik genauso bedienen wie bei Shakespeare und Bukowski. Man hat den Eindruck: Mit ihrem Gesang könnten sie die Separatisten im Osten des Landes vertreiben.
Exportschlager des Dakh-Theaters ist „Haus der Hunde“. In der verrätselten Schauspiel-Installation werden Menschen wie Tiere gehalten und vom Herrscher missbraucht. Im anschließenden Gespräch meinte Regisseur Vladislav Troitskyi, es gehe ihm darum, warum Menschen so mit sich verfahren lassen und nicht rebellieren. Der Regisseur ist die Schlüsselfigur der ukrainischen Theaterszene und leitet nicht nur die wichtigste freie Bühne des Landes, er ist auch künstlerischer Direktor des Kiewer Theater-, Perform-, Kunst- und Musikfestivals „GogolFest“. In der Ukraine gibt es 137 staatliche und kommunale Theater. In diesen subventionierten Häusern, so die ukranische Kulturpolitikerin Irene Podolak, suche man vergeblich wegweisendes Theater. Fündig werde man in der freien Szene.
Zu der gehört auch das Theatre of Displaced People, das seit Januar 2015 in unterschiedlichen ukrainischen Regionen dokumentarische Theaterprojekte entwickelt. In Heidelberg vertreten waren die „vertriebenen“Theaterkünstler mit Anton Romanovs „Russisch auf Ukrainisch“. Es geht um Erfahrungen von Soldaten, Sanitätern und Flüchtlingen aus dem separatistischen Kriegsgebiet Donbass. Die Laiendarsteller spielen sich selbst und bringen eine persönliche Dringlichkeit ins Spiel. Anders als im deutschsprachigen Dokumentartheater ist in Produktionen aus der Ukraine zu spüren: Denen geht es um etwas. Sie verhandeln immer auch die politische Situation im Land.
Im Stück „Öko-Ballade“, für das Olga Mazjupa einen Preis des Festivals bekommen hat, geht es um illegale Waldrodungen in den ukrainischen Karpaten. Der Autorenpreis ging an „Kluge Gefühle“, einen Theatertext der aus dem Iran stammenden Maryam Zaree. Sie leuchtet eine MutterTochter-Beziehung aus und zeigt die traumatische Vergangenheit der Mutter im Iran. Man rief sich die Weltkarte ins Gedächtnis und vergewisserte sich, wie nah beieinander die Regionen der Welt doch liegen, auf die wir Europäer mit Sorge blicken. Zwischen der Ukraine und dem Iran liegt gerade mal das Schwarze Meer und ein kurzes Stück Türkei.