Württembergischer Staatsmann
Zum 200. Todestag des Staatsmanns und Königsmachers Philipp Christian Graf von Normann-Ehrenfels
(sz) - Heute vor 200 Jahren starb der württembergische Staatsmann Philipp Christian Graff von Normann-Ehrenfels.
Der Rechtswissenschaftler erwarb sich große Verdienste bei der Gestaltung des modernen Württembergs, indem er die Fläche des Herzogtums vergrößerte und Oberschwaben drastisch umgestaltete. Insbesondere die preußische Geschichtsschreibung hat lange mit dem Erbe von Graf Normann-Ehrenfels gehadert.
Herrscher pflegen zu regieren, zu residieren, zu repräsentieren. Die Strippen im Tagesgeschäft ziehen aber oft ihre treuen Untergebenen – und wenn dies zum Vorteil des Regenten ist, durchaus mit persönlichem Gewinn. Eine solche Geschichte steht am Anfang des modernen Württemberg vor etwas mehr als 200 Jahren. Ihre Hauptperson: Philipp Christian Friedrich Graf von Normann-Ehrenfels, unter dessen tatkräftiger Mithilfe das damalige Territorium des Herzogtums verdoppelt, ganze Landstriche wie Oberschwaben umgemodelt und der Herzog 1806 mit der Königskrone belohnt wurde. Heute jährt sich sein Todestag zum 200. Mal.
Bekannt ist dieser hochbegabte Staatsmann eigentlich nur noch unter Historikern. Sein direkter Nachfahre Paul Graf von Normann-Ehrenfels bedauert dies zutiefst. So werde man dessen Leistung für das Land mit Auswirkungen bis heute keineswegs gerecht. Der in Reutlingen lebende Studiendirektor i. R. setzte sich deswegen auch stark für eine Feierstunde im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ein, bei der vor wenigen Tagen der Verdienste seines Ahnherrn gedacht wurde. Und diese sind in der Tat beachtlich – auch wenn manche das bis heute etwas anders sehen.
Schulkamerad von Schiller
Als Freiherr von Normann aus altem Rügener Adel wird der kleine Philipp 1756 bei Greifswald geboren. Früh verliert er die Eltern und kommt zehnjährig zu seinem Onkel Christian von Behr, einem Kammerherrn am Hof des Herzogs von Württemberg. Bis 1776 besucht er die berühmte Hohe Karlsschule, in der Herzog Carl Eugen seine Führungskräfte heranzieht und in der zur gleichen Zeit auch Friedrich Schiller die Schulbank drückt. Danach zieht es den jungen Mann zur Jurisprudenz.
Preise über Preise, glänzendes Examen, Promotion – die Laufbahn ist vorgezeichnet. Normann wird 1782 Dozent für Rechtswissenschaften seiner alten Schule, dann Mitglied des Regierungsrats und 1791 Hofgerichtspräsident. Zwischendurch wird auch geheiratet: 1782 ehelicht er Franziska von Harling, eine – wie es heißt – „heitere, lebenslustige und sehr verständige Frau“. Sicherlich sehr hilfreiche Eigenschaften für eine Mutter von 15 Kindern, zehn Söhnen und fünf Töchtern.
Normanns große Stunde schlägt, als durch die Revolution in Frankreich nach 1789 ganz Europa aus den Fugen gerät. 1793 stirbt zwar sein Mentor, Herzog Carl Eugen; aber auch unter dessen Nachfolgern, den Herzögen Ludwig Eugen und Friedrich Eugen, setzt er seine Karriere fort. 1797 ist er in Paris, um nach den Siegen Napoleons für Württemberg eine Herabsetzung der Kriegsgeldzahlungen zu erreichen. Und diese Aufgabe löst er wohl sehr gut.
So verwundert es nicht, dass nach dem Tod von Herzog Friedrich Eugen 1797 dessen Sohn, Herzog Friedrich II., den Freiherrn bald zu einem seiner wichtigsten Berater macht. Mit dem neuen Herrscher gut auszukommen, war sicher kein Leichtes. Friedrich, ein nicht umsonst als „Dicker Fritz“verlästerter schwergewichtiger Hüne, galt als hochkompliziert, aufbrausend, unduldsam. Allerdings misst ihm die heutige Geschichtswissenschaft durchaus auch staatsmännische Fähigkeiten zu. Mit Normann verbindet ihn wohl ein besonders enges Verhältnis. „Werfen Sie ein Auge auf mich. Sehen Sie, wie ich so ganz verlassen bin, in den Geschäften fast allein immer dastehe“, so schreibt 1801 der Herzog erstaunlich offen an Normann – ein Beweis seines großen Vertrauens. Die Berufung des Freiherrn in die höchste Landesbehörde, den Geheimem Rat, spricht ebenfalls dafür.
Dann geht es Schlag auf Schlag: Ab 1801 fädelt Normann die Hinwendung Württembergs an Frankreich ein, sichert seinem Herrn üppigen Ersatz für verlorene Gebiete links des Rheins wie Mömpelgard und Reichenweiher und führt mit großem Erfolg die Verhandlungen vor dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Danach ist das neue Zweistaatengebilde aus Altwürttemberg und Neuwürttemberg doppelt so groß und wird zum Kurfürstentum erhoben. Zum Dank erhält Normann, mittlerweile Geheimratsvizepräsident in Altwürttemberg und dirigierender Staatsminister für Neuwürttemberg mit Sitz in Ellwangen, unter anderem Schloss und Gut Ehrenfels auf der Alb.
Grafentitel als Lohn
Damit aber nicht genug: Als 1805 erneut der Krieg gegen Frankreich ausbricht, wechselt Kurfürst Friedrich endgültig die Seiten. Es ist dann sein Staatsminister Normann-Ehrenfels, der mit Frankreichs Chefdiplomaten Talleyrand weitere Zugewinne an Land, vor allem aber die Königswürde aushandelt. Zu den ersten Urkunden, die der Souverän, nun als Friedrich I., König von Württemberg, 1806 unterzeichnet, gehört die Erhebung des bisherigen Freiherrn in den erblichen Grafenstand. Dass Napoleon sich seine Gunst weidlich bezahlen lässt, gehört aber auch hierher. Als er 1812 nach Russland marschiert, muss Friedrich zähneknirschend 16 000 seiner Soldaten mitziehen lassen. Nur wenige kehren zurück.
Sich neue Territorien einzuverleiben war das eine, sie dann sinnvoll zu organisieren der schwierigere Part. Welche Mammutaufgabe auf Normann wartete, lässt die lange Liste der Zugewinne ahnen. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss waren alle Klöster aufgehoben worden, alle kleineren Fürstentümer sowie Standesherrschaften entmachtet und alle reichsstädtischen Verfassungen außer Kraft gesetzt. Zunächst fielen geistliche Territorien wie Ellwangen, Zwiefalten und Schöntal an Württemberg, zudem Reichsstädte wie Aalen, Reutlingen, Weil der Stadt, Esslingen, Rottweil, Giengen, Heilbronn, Gmünd und Hall. Große Teile Vorderösterreichs kamen hinzu, unter anderem die fünf Donaustädte, Mengen, Munderkingen, Riedlingen, Saulgau und Waldsee. Nach 1806 folgte noch der Zugriff auf Hohenlohe, die Besitzungen der Fürstenberg, Thurn-und-Taxis und Waldburg, die Gebiete des Deutschordens, und nach 1810 wurden die zuvor noch zu Bayern gehörenden Städte Ulm, Ravensburg und Leutkirch württembergisch.
Widerstand konnte nicht ausbleiben, vor allem aus dem katholischen Teil Neuwürttembergs, der sich dem Diktat aus dem evangelischen Stuttgart besonders unwillig beugte. Aber er wurde gebrochen. Noch dem absolutistischen Denken verhaftet, war Graf Normann dabei ein idealer Diener seines Herrn Friedrich I., der die Ausschaltung der früheren Herrschaften wesentlich rigoroser betrieb als etwa der bayerische König oder der badische Großherzog in ihren Landen – bis hin zur Erniedrigung. „Lieber Sauhirt in der Türkei als Standesherr in Württemberg“, sollte später einmal ein Fürst von Waldburg-Zeil verbittert ausrufen. Bis heute zieht sich diese Reserve des Oberlands gegenüber dem König und seinem willfährigen Minister durch historische Abhandlungen. Dabei gerät etwas ins Hintertreffen, was Normann an Generalsstabsarbeit für den Aufbau eines funktionstüchtigen Staates leistete, von dem später alle profitierten – etwa die Wirtschafts- und Finanzreformen, die Neuorganisation der Verwaltung und der Justiz oder die Einführung der freien Religionsausübung.
Vielleicht hat sich Graf Normann mit seinen vielen Ämtern übernommen. Jedenfalls erkrankt er 1809 und reicht 1812 die Demission ein. Am 28. Mai 1817 stirbt er in Tübingen. Gewohnt hat er in den letzten Jahren seines Lebens vor allem auf dem kleinen Schloss Mötzingen südlich von Herrenberg. Das war näher an der Residenz in Stuttgart als Schloss Ehrenfels unweit von Zwiefalten, nach dem er sich nannte.
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Schon 1803 hat Kurfürst Friedrich II. seinen Berater auf Ehrenfels besucht. Eine Gedenktafel erinnert an die Kahnfahrt des des damaligen Kurfürsten in der nahen Wimsener Höhle, einem Touristenmagneten der Region. Das Schloss selbst mit seinen riesigen Vorratskellern – erbaut von den Zwiefalter Äbten im 18. Jahrhundert – war in der letzten Zeit im Besitz von Roland Freiherr von Saint-André, der es von seiner Mutter Herma, einer geborenen Normann-Ehrenfels und direkten Nachfahrin des Grafen, geerbt hatte. Nach dessen Tod 2015 ist es von seiner Tochter Nicoletta Freifrau von Saint-André in eine Stiftung überführt worden. Ihr Hauptzweck: Sicherung künstlerischer und kultureller Aktivitäten im Schloss, Erhaltung und Pflege des Museums, der Mühle und des Archivs. Zumindest dort fällt der Name Graf Normann-Ehrenfels noch oft. Wenn er ansonsten eher vergessen ist, so könnte es an den alten Aversionen liegen, auch am schlechten Image von Friedrich I., das auf ihn abfärbte. Es gibt noch einen weiteren möglichen Grund: Ina Ulrike Paul, Professorin an der Münchner Bundeswehrhochschule, die über den Grafen gearbeitet hat, sieht die Schuld auch bei den preußischen Geschichtsschreibern des 19. Jahrhunderts. Sie hätten kein Hehl gemacht aus ihrer Verachtung gegenüber Mächten wie Württemberg und deren Protagonisten, die sich Napoleon zunächst an den Hals geworfen hatten, nach der Völkerschlacht von Leipzig aber auf die Seite der Sieger wechselten. Und das wirkt wohl nach.