Fluchtpunkt Handwerk
Betriebe leisten wertvolle Arbeit bei der Integration Asylsuchender – Verunsicherung durch fehlende Rechtssicherheit
- Morgens, 7.30 Uhr: Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak machen Feierabend. Seit 23 Uhr haben sie – unterbrochen durch die vorgeschriebenen Pausen – Brötchen mit Schinken, Käse und Salatblättern belegt, ein Schuss Mayonnaise und eine Tomatenscheibe gehören auch dazu. Körnerbrötchen, Roggenbrötchen, Laugenbrötchen sind schon auf dem Weg zum hungrigen Kunden. In der Ulmer Bäckerei Staib haben Flüchtlinge aus Syrien seit über einem Jahr feste Jobs: „Und es macht uns Spaß“, sagt Abdalkader Dandosch. Zum Schluss der Schicht lässt er sich von seinem Chef, Bäckermeister Marcus Staib, noch zeigen, wie man Torten verziert. „Wir sind sehr froh, dass wir Mitarbeiter wie Herrn Dandosch und Herrn Hallak haben“, sagt Staib.
Dandosch und Hallak sind angelernte Betriebshelfer in der handwerklich geführten Backstube am nördlichen Stadtrand von Ulm, von der aus fast 50 Filialen beliefert werden. Wenn die beiden jungen Männer, sie sind 25 und 23 Jahre alt, von ihren Fluchterfahrungen berichten, werden die Bilder des Jahres 2015 wieder wach. Hallak, er stammt aus dem syrischen Aleppo, hat sich über die Balkanroute zu Fuß nach Deutschland durchgeschlagen: „Meine Familie lebt dort noch.“Auch Dandoschs Eltern sind in Syrien geblieben, sie leben in Idlib.
Nicht nur mit den beiden Syrern hat Staib gute Erfahrungen gesammelt, auch sind drei seiner neun Auszubildenden in der Backstube Flüchtlinge. „Wir sind keine Gutmenschen“, betont Staib, „aber wir finden schlicht keine Lehrlinge.“In den 1990er-Jahren habe es in der Berufsschule Ulm rund 100 Bäckerlehrlinge gegeben, im letzten Ausbildungsjahr seien es gerade einmal 25 gewesen. „Wir suchen für unsere Bäckerei jedes Jahr vier bis sechs Lehrlinge und konnten diese offenen Lehrstellen die letzten Jahre nicht besetzen“, so Staib. Im Jahr 2014 habe sein Betrieb sogar nur einen geeigneten Lehrling gefunden. Die Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen sei für seinen Betrieb ein logischer Schritt: „Wir werden das auch wieder so machen!“
Zwischen Alb und Bodensee werden laut Handwerkskammer 32 Migranten als Bäckerlehrlinge in mehreren Betrieben ausgebildet. Das Bäckerhandwerk biete sich für Asylbewerber an, weil die Sprache nicht so im Vordergrund stünde und die Gefahren im Gegensatz etwa zum Elektrikerberuf überschaubar seien. „Wenn was schiefgeht, ist halt das Brot schwarz“, sagt Bäckerei-Geschäftsführer Marcus Staib. Aber egal ob Elektro, Feinwerk oder Bau – Bedarf gibt es an vielen Stellen.
Das Handwerk reißt sich seit Jahren um Fachkräfte, nicht nur im Bäckerhandwerk sind Azubis Mangelware. Derzeit seien inder Ulm er Region allein 988 Ausbildungsplätze unbesetzt, berichtet Tobias Mehlich, Haupt geschäftsführer der Ulm er Handwerkskammer. Die Nachfrage der Asyl bewerbern ach Ausbildungsplätzen sei aber noch überschaubar, sagt Mehl ich. Immerhin konnten im gesamten Südwesten 2016 mehr junge Flüchtlinge in Ausbildungen vermittelt werden als 2015. Bis Ende 2016 hatten rund 1000 Flüchtlinge einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Insgesamt haben sich 1850 Geflüchtete bei der Regional direktion Baden-Württemberg um eine Lehre beworben.
Damit ist der Südwesten deutschlandweit führend: „Im Jahr 2016 lernten knapp 4600 junge Leute aus den acht häufigsten Asyl zugangs ländern im Handwerk, ein Zuwachs von über 2900 Personen binnen drei Jahren“, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentral verbands des Deutschen Handwerks(ZDH ), im Gespräch mit der„ Schwäbischen Zeitung “. Etliche weitere Tausend junger Menschen mit Bleibe perspektive befinden sichn ach Wollseifers Angaben in Praktika, in Ausbil dungs vorb er ei tungskurseno der Berufs orientierungsmaßnahmen .„ Die ersten, die vor ein paar Jahren gekommen sind, sind mittlerweile auch schon Facharbeiter. Das ist gut so. Flüchtlinge sollen ja nicht von den Sozialsystemen leben müssen, sondern sollen sich einbringen, arbeiten und ihren Beitrag zu unseren Sozialsystemen leisten. Der überwiegende Teil will das übrigens auch.“Neben eigennützigen Motiven – dem Mangel an Nachwuchs – fühlt sich das Handwerk verpflichtet, die Flüchtlingsthematik zu lösen: „Da sind Menschen aus Kriegsgebieten gekommen und haben Schutz gesucht“, sagt ZDH-Präsident Wollseifer: „Wir als Handwerk sehen uns nicht als reine Wirtschafts-, sondern auch als tragende Gesellschaftsgruppe.“Aus diesem Selbstverständnis heraus sähen die Betriebe es als humanitäre Verpflichtung und Aufgabe an, hier zu helfen.
Anpacken und umsetzen
Für die meisten Handwerksbetriebe sei gesellschaftliches Engagement ohnehin selbstverständlich: „Die sind in vielen Bereichen aktiv, sei es bei der Feuerwehr, im technischen Hilfsdienst, in kirchlichen Organisationen oder Vereinen: Handwerker packen an und setzen um.“Dass das Handwerk sich gerade in der Flüchtlingshilfe so engagiert habe, habe damit zu tun, „dass wir es können. Wir sind prädestiniert für Integration. Unsere Familienbetriebe sind kleine sozial verbundene Teams: Dort kann man jemanden integrieren, dort kann man gut gemeinsam arbeiten.“
Zurück zu Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak: Ihr Chef, der Ulmer Bäckermeister Staib, bedauert, dass Dandosch und Hallak keine Ausbildung zum Bäcker oder Konditor in seinem Betrieb anstreben: „Die Begabung bringen sie eindeutig mit!“Auch haben die beiden jungen Männer gut Deutsch gelernt, das Niveau B1 beherrschen sie: „Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben“, heißt es im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen.
Aber Dandosch, gelernter Elektrosystem-Techniker, will zurück in seinen Beruf und dann an der Universität Aleppo studieren. Und auch Hallak, er hat in Syrien Jura studiert, will nicht dauerhaft bei Staib Brötchen belegen: „Wenn wieder Frieden ist, gehe ich zurück.“
Risiko Niedriglohnsektor
Viele Flüchtlinge wollen laut einer Studie ähnlich wie Dandosch und Hallak lieber mit Helfertätigkeiten schnell Geld verdienen, als erst einmal eine Lehre zu machen. Damit steige das Risiko, dass sie im Niedriglohnsektor verharren, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Man muss aufpassen, dass sich das nicht verfestigt“, sagt die Ausbildungsexpertin des arbeitgebernahen Instituts, Regina Flake.
Zu früheren Hoffnungen, Flüchtlinge würden den Fachkräftemangel beheben, sagt Institutsdirektor Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft: „Bei den blühenden Landschaften hat es auch etwas länger gedauert.“Bis ein Flüchtling arbeitsmarktfähig sei, könnten vier bis fünf Jahre vergehen. Es sei notwendig, mehr für die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule zu werben, Ausbildungsbetriebe besser zu beraten und die berufsbezogene Sprachförderung weiter auszubauen. Die Sprachförderung hat bei der Bäckerei Staib Produktionsleiter Ulrich Möschl übernommen: „Wenn man sich nicht um die Jungs kümmert, gehen die unter“, sagt der 44Jährige. Jede Woche investiert Möschl vier bis fünf Stunden in ihren Unterricht, bereitet Rechenaufgaben vor. Die Teigmenge aus Zutaten errechnen, die Preise für Plunderstücke und Semmeln addieren, den Umsatz dreier Filialen zusammenzählen. Nicht nur an dieser Stelle wünscht sich Tobias Mehlich von der Ulmer Handwerkskammer noch mehr Unterstützung seitens der Politik: „Das Handwerk braucht Planungssicherheit. Wenn Azubis aus der Ausbildung heraus abgeschoben werden, führt das zu einer starken Verunsicherung unter den Betrieben. Wir brauchen endlich Rechtssicherheit für die Handwerksbetriebe, die Integration unterstützen.“
Zwar gibt es, wie erst am Montag vom Stuttgarter Innenministerium bestätigt wurde, eine Regelung, die vorsieht, dass Flüchtlinge geduldet werden können, solange sie sich in einer Berufsausbildung befinden. Doch in der Praxis werde diese Regelung von den lokalen Ausländerbehörden ignoriert, bestätigen viele Betriebe immer wieder.
Oftmals nur Praktika
Weil es zu viele Unsicherheitsfaktoren und beiderseitige Vorbehalte gibt, sind Betriebe wie die Bäckerei Staib in der Minderzahl. Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft unter rund 1000 Unternehmen hat nur jeder vierte Betrieb in den vergangenen drei Jahren Flüchtlinge beschäftigt, im Handwerk schon jeder dritte. Häufig handele es sich dabei allerdings nur um Praktika.
Aber: Neun von zehn dieser Firmen sähen die Flüchtlinge als Bereicherung und würdigen ihre Motivation und Einsatzbereitschaft. Ebenso viele betrachteten jedoch die mangelnden Deutschkenntnisse als Hindernis. Drei Viertel der befragten Unternehmen sähen noch Nachholbedarf bei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.
Auch Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak haben sich an die schwäbische Pünktlichkeit gewöhnen müssen. „Mittlerweile klappt es ganz gut, auch bei den Azubis“, lobt Bäckermeister Staib. Gebacken werde eben nachts, wer dies leiste, dem garantiere er die Übernahme: „Wer bei uns eine Lehre macht, und nicht das Tafelsilber klaut, der wird übernommen.“