Hamburger Täter hätte ausreisen müssen
Nach Messerattacke in einem Supermarkt werden Rufe nach härterer Abschiebepolitik laut
- Die Messerattacke von Hamburg weist Parallelen zu früheren Anschlägen auf. Doch vieles ist auch anders – und rätselhaft. Wer ist dieser Mann, der mit einem Messer auf Passanten losging?
Der Täter ist kein Unbekannter. Der junge Mann, der als Asylbewerber nach Deutschland kam, fiel schon vor einer Weile auf. Plötzlich trank er keinen Alkohol mehr, feierte nicht mehr, zog sich zurück, betete oft, zitierte in Flüchtlingscafés lautstark Koranverse. Einem Freund war das nicht geheuer. Er meldete sich bei der Polizei und berichtete von den Veränderungen. Verfassungsschützer statteten dem Verdächtigen einen Besuch ab. Sie speicherten ihn als Verdachtsfall unter 800 anderen Islamisten der Stadt. Doch sie stuften ihn nicht als gefährlich ein. Ein Fehler.
Eben dieser 26-jährige Mann ging am Freitagnachmittag in einen Supermarkt in Hamburg-Barmbek mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmesser auf mehrere Menschen los und tötete einen Mann. Sieben weitere wurden verletzt. Was trieb ihn zu der Bluttat?
Noch gibt es darauf keine eindeutigen Antworten, obwohl Haftbefehl wegen Mordverdacht gegen ihn ergangen ist. Die Hamburger Sicherheitsbehörden sprechen von einer schwierigen „Gemengelage“: Es gebe einerseits Hinweise auf religiöse Beweggründe und islamistische Motive, aber auch auf eine „psychische Labilität“. Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß beschreibt den Verdächtigen als „destabilisierte“und „verunsicherte Persönlichkeit“. Bislang gebe es keinen Hinweis, dass der Mann fest in die Islamistenszene eingebunden oder Teil eines Netzwerks sei. Mitbewohner in der Asylunterkunft beschreiben ihn als Außenseiter. Auch von Drogenkonsum ist die Rede.
Im Jahr 2015 nach Deutschland
Der Attentäter, Palästinenser, geboren in den Vereinigten Arabischen Emiraten, kam im März 2015 nach Deutschland – in jenem Jahr also, in dem eine beispiellos hohe Zahl von knapp 900 000 Schutzsuchenden einreiste. Vorher soll er in Norwegen, Spanien und Schweden gewesen sein. Laut Voß spricht er „hervorragend Englisch, Schwedisch und Norwegisch“.
Bei seiner Ankunft in Deutschland hatte der junge Mann keine Ausweispapiere bei sich, nur eine Geburtsurkunde. Seine erste Station war Dortmund. Von dort aus wurde er nach Hamburg weitergeschickt, stellte dort im Mai 2015 einen Asylantrag. Der wurde Ende des vergangenen Jahres abgelehnt. Seitdem hätte er eigentlich ausreisen müssen. Doch die Papiere dazu fehlten.
Der Fall weist einige traurige Parallelen zu Geschehnissen des vergangenen Jahres auf. Auch die Attentäter von Würzburg, Ansbach und vom Berliner Weihnachtsmarkt kamen als Schutzsuchende nach Deutschland und entluden hier ihren Hass. Der Attentäter von Berlin, Anis Amri, war den Sicherheitsbehörden vorher ebenfalls als Islamist bekannt, bestens sogar. Auch sein Asylantrag hatte keinen Erfolg, auch er hätte ausreisen sollen. Doch nichts passierte. Nach den drei Anschlägen wurden damals hitzige politische Debatten geführt, Untersuchungsgremien eingesetzt, Gesetze verschärft, Abschiebungen erleichtert, die Überwachung von Gefährdern verstärkt. Am Samstag erst war das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht in Kraft getreten. Danach können Ausreisepflichtige einfacher in Abschiebehaft genommen oder überwacht werden. Sogenannten Gefährdern kann eine elektronische Fußfessel angelegt werden.
Könnte Wahlkampfthema werden
Alles umsonst? Direkt nach der Hamburger Tat werden erste Rufe nach einer noch härteren Abschiebepolitik und strengeren Einreisekontrollen laut. Im Internet und der Realwelt beginnen Rechtsausleger sofort mit „Wir-haben-es-doch-immer gesagt“-Rufen. Die Messerattacke von Hamburg hat das Potenzial, den Wahlkampf in eine neue Richtung zu drehen.
Als erster kommt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer aus der Deckung: „Wenn eine Radikalisierung bekannt ist, müssen solche Personen aus dem Verkehr gezogen und festgesetzt werden, bevor sie Taten begehen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Der „verfahrenstechnische Teufelskreis“müsse beendet werden. CSUGeneralsekretär Andreas Scheuer sagte der „Bild am Sonntag“: „Wenn eine Radikalisierung bekannt ist, müssen solche Personen aus dem Verkehr gezogen und festgesetzt werden, bevor sie Taten begehen.“
Und der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka stellt die Frage, warum der Mann nicht in Abschiebehaft saß. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagte er: „Der Fall muss jetzt schonungslos ausgewertet werden: Warum wurde die Gefahr des Attentäters, der den Behörden bekannt war, falsch eingeschätzt?“Nach Ansicht Lischkas ist es aber verfrüht, schon wieder über schärfere Gesetze zu streiten. „Die Problemlagen befinden sich weniger im gesetzlichen, als vielmehr im administrativen Umfeld.“Im Klartext: Die Möglichkeiten, die Gefahr einzudämmen und den Täter abzuschieben, waren da, wurden aber nicht genutzt.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltet sich ein: „Die Gewalttat muss und wird aufgeklärt werden.“Sie fordert schnelle Klarheit über die Hintergründe – steht doch abermals der Verdacht im Raum, die Sicherheitsbehörden hätten versagt, die Gefahr eines ausländischen Islamisten unterschätzt und nicht konsequent abgeschoben.