Zur Intifada fehlen der Wille und die Mittel
So schnell der blutige Konflikt um den Jerusalemer Tempelberg ausgebrochen war, so schnell war er wieder vergessen. Zwei Wochen lang versetzten der Streit um das drittwichtigste islamische Heiligtum und die Angst vor einer dritten Intifada den Nahen Osten und die Weltpolitik in Unruhe. Wenige Tage später sind sie aus den israelischen Schlagzeilen verschwunden. Stattdessen geht es um Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, um den Todesschützen von Hebron, der einen verletzten palästinensischen Attentäter per Kopfschuss tötete, um die GayPride-Parade von Jerusalem und um einen Streit um Netanjahus Sohn und seine unkorrekte Tierhaltung.
Unterdessen rätseln Politiker und Politologen über die Ursachen dieser raschen Verfallszeiten. Nicht dass der Streit um die al-Aksa-Moschee oder der israelisch-palästinensische Konflikt damit ausgestanden wären. Aber im Vergleich zum Jahr 2000, als der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon mit seinem Tempelberg-Besuch die zweite Intifada lostrat, habe sich die Lage deutlich geändert, meint der frühere Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Eran Lerman. Nach seiner Analyse in der „Jerusalem Post“gibt es in Nahost heute breiter angelegte Machtkonstellationen und Rivalitäten, deren Mechanismen sich jetzt auch im Jerusalem-Konflikt zeigten.
Lerman sieht in den Konflikten der Region von Libyen bis zum Jemen vier Mächte, die um eine Vorherrschaft ringen: Iran, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die Muslimbrüder und das „Lager der Stabilität“. Der IS war in Jerusalem nicht involviert. Wohl aber Iran und das Lager der Muslimbrüder, zu dem Lerman die Hamas, die Türkei und Katar zählt, die den Konflikt aufzuheizen versuchten.
Abbas steckt im Dilemma
Auf der anderen Seite bemühten sich Israel, Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten zu bremsen. Sie haben wenig Interesse am Heiligen Krieg um den Haram al-Sharif, wie der Tempelberg auf Arabisch heißt. Sie machen sich Sorgen um Rückwirkungen solcher Unruhen auf die eigenen Straßen; und sie wollen sich nicht von ihrem primären Kampf gegen Iran und den IS ablenken lassen. In diesem Spiel der Lager möchten Abbas und seine Palästinenserregierung auf der Seite von Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten stehen, und nicht auf der von Hamas und Iran. Das Problem ist, dass sie somit auch auf die Seite Israels gestellt werden, was ihnen nicht gefällt.
Die Analyse Lermans sieht noch zwei weitere Gründe, warum sich der Haram-Konflikt nicht ausweitete. Den Palästinensern fehlen dazu der Wille und die Mittel. Seit Ausbruch der zweiten Intifada vor 17 Jahren habe sich viel getan. Die Menge an Waffen und Sprengstoffen, die damals vorhanden waren, gebe es heute gar nicht mehr. Die Israelis hätten die letzten Depots ausgehoben. Das würde erklären, warum die bevorzugte Waffe palästinensischer Terroristen heute das Messer sei. (KNA)