Ohne Strümpf’ und ohne Schuh
Barfuß durch den Hochschwarzwald
Das trockene Gras pikst. Doch nur einen Schritt weiter wächst weiches Moos und warmer Klee. Die Sonne steht hoch über dem Hügel bei Herrenschwand im Hochschwarzwald. Der Weg schlängelt sich eine Kuhweide hinauf. Wer noch etwas anderes spüren möchte als Steine, Stöckchen und Strohhalme, weicht dem Kuhdung nicht aus. Warm sei er, versichert Markus Dutschke, stinke nicht und könne am nächsten Brunnen einfach abgewaschen werden. Der Wanderführer bleibt an diesem Tag aber der einzige, der sich dazu überwindet und in den Kuhdung tritt. Die Gruppe wandert weiter über die weiche Weide, über einen steinigen Feldweg und über kleine stachelige Hecken. Doch niemand beschwert sich. Nach rund zwei Kilometern scheinen alle vergessen zu haben, dass sie keine Schuhe mehr anhaben.
Barfußgehen muss man eigentlich nicht lernen. Trotzdem bietet Dutschke Seminare ohne Schuhe an. Er möchte den Menschen die Verbindung zur Natur wieder näherbringen und zwar ohne Barrieren und Schutzschichten. „Bio-Wellness-Hacking“nennt er das. „Es geht darum, die natürlichste Art der Fortbewegung wieder ganz bewusst zu erleben“, erklärt Wanderführer Dutschke. „Das wird unterstützt von einem wunderbaren Urgefühl, an das sich unser Körper schnell erinnert.“Nach nur wenigen Minuten sei der Fuß wieder daran gewöhnt, sich dem Untergrund anzupassen. Am besten sei es, mit dem Vorderfuß aufzutreten: Dann werden beim Gehen mehr Muskeln trainiert und weniger Erschütterungen verursacht.
Seit mehr als zehn Jahren geht Dutschke im Alltag barfuß – auch im Winter. Nur wenn er bei Fremden zu Gast ist, hat er zunächst Zehenschuhe an. „Sobald die Stimmung aber locker genug ist, ziehe ich sie aus“, sagt Dutschke. Zu warm, zu eng und zu ungewohnt ist es für ihn mittlerweile, etwas an den Füßen zu tragen. Dass Schuhe auch Schutz bedeuten können, sei ihm aber bewusst. Wer mit dem Barfußgehen erst beginnt, sollte stets darauf achten, warm genug angezogen zu sein, um nicht aufgrund der fehlenden Barriere zum kälteren Boden auszukühlen. „Man sollte immer nur so viel und so lange barfuß laufen, wie man sich wohlfühlt.“Hornhaut habe er aber auch nach zehn Jahren Barfußgehen nicht. „Die Lederhaut an den Füßen wird fester. Hornhaut entsteht eher durch Druckstellen im Schuh“, erklärt der Wanderführer.
Die Wandergruppe legt eine Pause ein. Ein dichter Laubbaum bietet natürlichen Schutz vor der Mittagssonne. „Man muss sich ganz bewusst den Sonnenstrahlen aussetzen“, sagt Höhenklima-Experte Nicolaus Prinz. Er begleitet die Wanderer, um ihnen die Höhenklimaregion Hochschwarzwald zu zeigen. „Der Körper soll wieder lernen, sich mit Klimareizen auseinanderzusetzen, sich anzupassen und die Temperatur ganz natürlich zu regulieren“, erklärt Prinz. Kurze Zeit in der Sonne und leichte Kälte – das könne der menschliche Organismus selbst regeln.
Vitalwanderung in kühler Luft
18 ausgeschriebene Vitalwanderwege führen mittlerweile durch die Region. Die Wege sind zwischen vier und 13 Kilometer lang. Schattige, sonnige, ebene und ansteigende Streckenabschnitte wechseln sich ab. Als heilklimatische Kurorte wurden Hinterzarten, Titisee, Schluchsee, St. Blasien, Lenzkirch und Saig staatlich anerkannt.
Die reine Luft und die eher kühlen Temperaturen seien das Besondere im Hochschwarzwald, erklärt Prinz. Im Sommer seien die Temperaturen meistens rund zehn Grad unter denen in den Tälern rund um Freiburg. In den hügeligen Schwarzwaldhöhen von mehr als 1000 Metern könne man der drückenden Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit entfliehen. „Außerdem wird die Thermoregulation beim Vitalwandern angekurbelt. Zusätzlich können Morgentau, Bäche oder Brunnen als Abkühlung genutzt werden“, erklärt Klimaexperte Prinz.
An einem Brunnen endet dann auch die Wanderung. Quellwasser läuft in ein Becken. Eine eiskalte Erfrischung. Die Barfußwanderer zögern nicht lange: Einer nach dem anderen kühlt Füße und Beine ab. Die Temperaturregulierung des Körpers setzt automatisch ein. Und die Füße haben kurz Pause. Es fällt danach nicht allen Wanderern leicht, die Schuhe bei der Ankunft am Parkplatz wieder anzuziehen.