Soldaten helfen der Grenzpolizei
Österreichische Überlegungen zu Kontrollen auf dem wichtigsten Alpenpass überschatten eine Jubiläumsfeier und alarmieren Südtirol
(jau) - Ständige Kontrollen wird es auf Österreichs Seite des Brenners bis auf Weiteres nicht geben, bestätigt die Regierung in Wien. Inzwischen hat sie aber 70 Soldaten zur Unterstützung der Grenzpolizei in die Region geschickt. Das Militär soll im Hinterland des Passes aktiv werden. Wien hält solche Maßnahmen wegen der Zuwanderung von Flüchtlingen für nötig. Seit deren Zahl in Italien wieder steigt, fürchten die Österreicher einen Ansturm auf den Brenner.
- Emanuel erzählt: „Vor zwei Monaten habe ich Nigeria verlassen.“Jetzt steht der kräftige junge Mann samt einem Rucksack am Bahnhof auf dem Brennerpass – eine öde, wenig gepflegte Durchgangsstation, die in der Mittagssonne brät. Sie befindet sich gerade noch auf Südtiroler Seite, gehört also zu Italien. Österreich fängt nur ein paar Meter weiter nördlich an und ist das nächste Transitland auf Emanuels langer Reise. Er will nach Deutschland. „Dort ist es gut“, lauten seine Worte.
Er könnte ein reiner Armutsflüchtling sein. Eventuell liegt Emanuels Heimat auch in den Unruhegebieten Nordnigerias. Dies wird nicht klar. Die Verständigung ist zu schlecht. Zudem pressiert es ihm. Der nächste Zug fährt über Innsbruck nach München. Zwar scheucht ihn ein älterer italienischer Grenzer in steifer Uniform weg von der Waggon-Tür. Doch dann blickt die staatliche Autorität gebannt in eine andere Richtung. Emanuel schlüpft durch, verschwindet im Zug. Nach dessen quietschender Abfahrt meint der Grenzer achselzuckend: „Das ist doch jeden Tag dasselbe.“
Nun ist es weder nach dem Augenschein vor Ort noch laut behördlicher Statistik so, dass der Brennerpass von Flüchtlingen überrannt wird. Rund 20 Aufgegriffene zählt Österreichs Grenzpolizei im Schnitt pro Tag. Es waren schon mal wesentlich mehr gewesen. Trotzdem beherrscht das Flüchtlingsthema momentan alles, was mit dem Brenner zu tun hat. Auslöser war eine Verlautbarung des österreichischen Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil. Er faselte Anfang Juli davon, Panzer zum Pass zu schicken. Sie sollten helfen, die Grenze gegen Flüchtlinge abzuriegeln.
Zuvor hatte sich die Regierung in Wien alarmiert gezeigt. Wegen der verstärkten Flüchtlingszuwanderung nach Italien befürchteten die Österreicher einen Sturm auf die Brennergrenze. Aber gleich dort oben Panzer stationieren? Dies hielten auch die meisten von Doskozils Kabinettskollegen für eine abstruse Idee. Der Verteidigungsminister hat seitdem einen Spitznamen weg: „Panzer-Doskozil“. Aber der Gedanke, auf Europas wichtigster Alpenroute ständige Grenzkontrollen einzuführen, hatte es erneut auf die Tagesordnung geschafft.
Diese Entwicklung stört jedoch den Party-Gedanken aus Kreisen von Berufseisenbahnern, Schienenstrangund Touristikern. Sie wollten eigentlich für dieses Jahr ein grandioses Jubiläum im Mittelpunkt des Brenner-Geschehens stehen haben: 150 Jahre Überwindung des 1370 Meter hohen Passes mittels einer Eisenbahnstrecke. Das, was 1867 fertig geworden war, begriffen die Zeitgenossen beinahe als genial: eine Hochgebirgsbahn in fast schon direkter Linienführung ohne allzu viele teure Kunstbauten wie Viadukte oder Tunnels.
Ein Ingenieur aus Stuttgart
Hinter diesem Konzept steckt ein Stuttgarter Ingenieur: Carl von Etzel. Er hatte sich zuvor unter anderem als Planer der Geislinger Steige in seiner Heimat einen Namen gemacht, einer württembergischen Gebirgsstrecke. Etzels Hauptwerk ist aber die Brennerbahn. Dafür haben ihm Verehrer 1892 vor Ort ein Denkmal gesetzt. In Bronze gegossen stehen sein Kopf und Oberkörper seitdem auf einem Bahnsteig des Pass-Bahnhofs.
Die Büste ist in ähnlichem Zustand wie die Haltestelle: verstaubt, runtergekommen, dazu unbeachtet. Sie wirkt als ein übrig gebliebenes Relikt aus jener Zeit, als Österreich noch bis zum Gardasee reichte. Damit war 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkriegs Schluss. Italien annektierte alles tirolerische Land südlich des Brenners inklusive der dortigen deutschsprachigen Gegenden.
Österreich blieb Nord- und Osttirol. Diese Trennung schmerzt bis heute noch manchen Ureinwohner. Das gilt vor allem für Südtirol. Womit ein weiteres Problemfeld erreicht ist. Es berührt gerade die speziell gestaltete Jubiläumslok der Österreichischen Bundesbahnen. Sie haben auf die Zugmaschine zwei Flaggen lackiert: eine österreichische und eine italienische. Letztere geht nach Ansicht Gesamt-Tiroler Oberpatrioten gar nicht. Der Aufschrei unter ihnen war groß.
Am schnellsten hat sich der einflussreiche Südtiroler Schützenbund gemeldet. „Vor 150 Jahren gab es noch keine Grenze am Brenner. Deshalb werden italienische Fahnen an der Lok den historischen Tatsachen auch nicht gerecht“, attestiert Landeskommandant Elmar Thaler. Schon im Juni hatte er sich über einen Empfang des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen in der Südtiroler Hauptstadt Bozen mokiert. Neben der österreichischen Hymne sollte auch die italienische gespielt werden. Die sonst für die folkloristische Untermalung gerne mit Säbel und Gewehr bereitstehenden Schützen boykottierten daraufhin den Empfang. Ihre Kollegen aus Österreichisch-Tirol taten dasselbe.
Die Erben von Andreas Hofer
Sie empfinden sich als Erben von Andreas Hofer, dem Anführer im Tiroler Freiheitskampf 1809. In diesem Zusammenhang fügt ihnen gegenwärtig noch etwas anderes heftige Bauchschmerzen zu. Dies hat wiederum mit den Flüchtlingen zu tun. Sollte Österreich nämlich am Brenner ständige Personenkontrollen einführen, wäre der Pass erneut etwas Trennendes. Seit 1. April 1998 gibt es hier oben üblicherweise kein Ausweisvorzeigen mehr. Österreichs EU-Betritt drei Jahre zuvor hatte den Weg frei gemacht. Bald darauf wurde eine Euregioregion in Form des historischen Tirols gegründet – vom Karwendelgebirge an der bayerischen Grenze bis nach Riva am Gardasee. Tiroler Patrioten sahen darin ein Mittel für eine Art Wiedervereinigung durch die Hintertüre.
„Nein, Grenzkontrollen am Brenner können wir nicht wollen“, betont dann auch Franz Kompatscher von der Südtiroler Volkspartei. Er ist Bürgermeister von Gossensaß, dem Hauptort der Sammelgemeinde Brenner. Es handelt sich um den ersten größeren Flecken auf italienischem Gebiet. Reisende mögen sich vielleicht an die dortige hoch aufragende Burgruine Strassberg erinnern. „Eigentlich“, fährt Kompatscher fort, „hat der Brenner doch die meiste Zeit in der Geschichte etwas Verbindendes gehabt.“
Männer, die bei dem stämmigen Bürgermeister stehen, nicken. Es ist Maria Himmelfahrt, ein Festtag in Gossensaß. Im Bierzelt spielt zünftige Musik. Tracht wird getragen. Die Gesichter sind von sommerlicher Hitze und Alkohol bereits rot eingefärbt. Kompatschers standunsicher wirkender Nebenmann setzt zum Spotten über Österreichs Militär an: „Haben die überhaupt Panzer? Vielleicht sind es zwei Stück!“
Ganz so arm ist das österreichische Heer zwar nicht. Aber ein größerer Brenner-Einsatz mit Panzern sowie 750 Mann, wie ihn Verteidigungsminister Doskozil im Juli propagierte, würde die Militär-Kapazitäten spürbar berühren. Für den Moment ist man bei einer Kleinlösung gelandet: 70 Soldaten helfen den eigenen Grenzern im Hinterland beim Aufgreifen illegaler Zuwanderer. Sinnigerweise hat Rom auch Militär abgestellt. Beim alten Zoll steht eine Mini-Patrouille der Alpini. Dies sind jene italienischen Soldaten mit den lustigen Federhüten.
Schimpfende Rentnerin
Sitzt man im Kiosk auf der österreichischen Pass-Seite, lässt sich das Grenzschauspiel der Alpini gut beobachten. Dort hat sich auch Maria Hellensteiner für einen Kaffee niedergelassen, eine korpulente Rentnerin, die nebenan wohnt. „Die Flüchtlinge machen die Gegend unsicher. Die Grenze muss abgeriegelt werden“, findet sie. Das bleibt aber bis auf Weiteres nur eine vage Möglichkeit für die Zukunft, wie dieser Tage aus Wien mitgeteilt wurde.
Ständige Kontrollen am wichtigsten Alpenpass scheint man dann doch in den dortigen Regierungskreisen inzwischen politisch für sehr heikel zu halten. Am Pass gibt es seit vergangenem Jahr auch nur rudimentäre Vorbereitungen: provisorisch überdachte Zoll-Bereiche an der Autobahn und der Staatsstraße, damit die Kontrolleure im Fall der Fälle wettergeschützt sind.
„Die hätten schon einen Zaun ziehen können“, schimpft indes Rentnerin Hellensteiner beim Kaffeetrinken weiter. Während sie schwabuliert, laufen hundert Meter weiter zwei Schwarzafrikaner über den Schienenstrang nach Norden. 30 Minuten später bringt sie die österreichische Grenzpolizei über den Zoll zurück auf die italienische Brennerseite, lässt die beiden Männer formlos springen. Einige Passanten schauen kurz zu und eilen dann ins große örtliche Outlet-Center, der einzigen Einrichtung am Brenner, die wirklich noch floriert und nicht in Richtung Verfall tendiert. Seit die Brennerautobahn vor 50 Jahren fertig geworden ist und Reisende meist nur durchrauschen, kränkelt der Passort.
Ein weiterer Niedergang
Sollte an einem noch unbekannten fernen Datum auch der im Bau befindliche 64 Kilometer lange Basistunnel für die Eisenbahn betriebsbereit sein, droht ein weiterer Niedergang. Aber im Moment rollen die internationalen Züge noch. Jener über Innsbruck nach München verschwindet langsam talwärts. In ihm fährt jetzt der anfangs erwähnte Nigerianer Emanuel mit, jener Flüchtling, der sich mit knapper Not in den Zug schleichen konnte.
Wie weit er kommen wird, lässt sich aber bereits sagen: bis Innsbruck. Der Grund: Hinter ihm sind österreichische Grenzer eingestiegen. Wie die beiden Flüchtlinge, die über die Gleise nach Norden strebten, wird auch Emanuel vermutlich noch vor dem Abend wieder nach Italien gebracht. So sind die Spielregeln am Pass.