Neue Festnahmen verschärfen Krise zwischen Türkei und Deutschland
Türkischstämmigen Bundesbürgern wird Gülen-Anhängerschaft vorgeworfen – Özdemir bezeichnet Erdogan als „Geiselnehmer“
- Die Festnahme von zwei weiteren Bundesbürgern durch die Türkei lässt die Dauerkrise in den Beziehungen zwischen Ankara und Berlin weiter eskalieren. Die Festnahmen stärken den Verdacht, dass die türkischen Sicherheitsbehörden mutmaßliche Staatsfeinde in Westeuropa beobachten, um sie bei einer Einreise in die Türkei festnehmen zu können.
Die türkischstämmigen Deutschen K. A. und S. A., ein Ehepaar, wurden am Freitag am Flughafen von Antalya wegen des Verdachts festgenommen, Anhänger des Predigers Fethullah Gülen zu sein. Die genauen Vorwürfe waren zunächst nicht bekannt.
Laut türkischen Medien widersprachen die Behörden in Antalya der Darstellung der Bundesregierung, wonach deutsche Stellen nicht über die Festnahmen informiert worden seien: Das deutsche Außenamt sei sehr wohl in Kenntnis gesetzt worden.
Die türkische Staatsanwaltschaft sieht in den Festgenommenen Gefolgsleute von Gülen, dem in Ankara die Verantwortung für den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im vergangenen Jahr angelastet wird. Der Vorwurf der Gülen-Anhängerschaft wird laut Kritikern von der Erdogan-Regierung als Vorwand benutzt, gegen Andersdenkende jeder Couleur vorzugehen.
Seit dem Putsch sind mehr als 150 000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen worden, mehr als 50 000 sitzen im Gefängnis. Darunter sind der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, die türkischstämmige deutsche Übersetzerin Mesale Tolu aus Ulm und der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner. Insgesamt sollen rund ein Dutzend Bundesbürger aus politischen Gründen in türkischer Haft sitzen.
Erdogan wirft der Bundesregierung vor, mit der Aufnahme von Gülen-Anhängern und kurdischen Aktivisten in Deutschland türkische Staatsfeinde zu unterstützen. Der Staatspräsident ermächtigte sich vor wenigen Tagen, selbst über die Abschiebung von inhaftierten Ausländern zu entscheiden, was von Kritikern als Zeichen gewertet wurde, dass Erdogan westliche Bürger in türkischen Gefängnissen gegen Gülen-Anhänger im Ausland austauschen will.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der „Bild“-Zeitung: „Erdogan ist kein Präsident, sondern ein Geiselnehmer.“SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte Gegenmaßnahmen gegen die Türkei. Das müsse bereits in den nächsten Tagen von der Bundesregierung geprüft werden, sagte Schulz am Freitag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte bei einem Auftritt in Nürnberg, Festnahmen wie die am Freitag hätten in den „allermeisten Fällen keinerlei Grundlage“. Angesichts der jüngsten Ereignisse müsse die Bundesregierung ihre Türkeipolitik „vielleicht weiter überdenken.“
Nicht nur potenzielle türkische Versuche eines Geiselhandels bereiten Erdogan-Gegnern im Westen Sorgen. Es gibt Hinweise darauf, dass sich türkische Sicherheitsbehörden über Ausspähaktionen in Westeuropa – etwa bei Erdogan-kritischen Demonstrationen – und per Internet Informationen über mutmaßliche Regierungsgegner im Ausland verschaffen, um diese dann bei einer Einreise in die Türkei festzunehmen.