„Viele Ansprüche gegen VW-Händler verjähren“
Die Konstanzer Juristin Astrid Stadler über die Chancen von VW-Aktionären und -Kunden im Dieselskandal
- Rund 5000 Besitzer von Volkswagen klagen in Deutschland wegen des Dieselbetrugs gegen den Autobauer auf Schadenersatz. Doch ihre Chancen sind gering, sagt die Konstanzer Juraprofessorin Astrid Stadler im Interview mit Kerstin Conz. Besser seien die Chancen für Aktionäre. Die Juristin ist im Aufsichtsrat der niederländischen Stiftung Volkswagen Investor Settlement Foundation, die für VW-Aktionäre einen Vergleich mit weltweiter Wirkung aushandeln will.
Die Volkswagen Investor Settlement Foundation will den durch den Dieselskandal geschädigten Menschen helfen. Weshalb sitzt die Stiftung in den Niederlanden und nicht in Deutschland?
Einen weltweiten Vergleich im Namen aller Geschädigten und ohne Gerichtsverfahren lässt nur das niederländische Recht zu. Die Europäische Union versucht zwar seit Langem, eine Lösung für solche Massenschäden zu erreichen, der Widerstand ist bislang allerdings groß – vor allem auch seitens der deutschen Wirtschaft.
Wen genau vertritt die Volkswagen Investor Settlement Foundation?
Unsere Stiftung vertritt die Aktionäre. Sie hätten keine Aktien mehr gekauft, wenn sie von der SchummelSoftware und den auf VW zukommenden Straf- und Schadenersatzzahlungen gewusst hätten. Der Kurs der VW Aktie ist infolge des Skandals enorm gefallen. Sobald der VWVorstand vom Einsatz der Software erfahren hat, hätte er den Kapitalmarkt sofort in einer Ad-hoc-Mitteilung über die Risiken informieren müssen. Das hat er nicht getan. Das niederländische Stiftungsmodell gilt aber auch für Kunden, die einen VW gekauft oder geleast haben. Die Interessen dieser Gruppe von Geschädigten vertritt eine andere Stiftung – die „Stichting Volkswagen Car Claim“.
Gibt es in Deutschland gar keine Chance auf Entschädigung?
Sowohl amerikanische als auch deutsche Kanzleien bereiten Sammelklagen der VW-Kunden gegen VW vor oder haben schon Klagen eingereicht – und zwar sowohl im Ausland, als auch in Deutschland. Das deutsche Recht kennt allerdings keine Sammelklagen nach Art der amerikanischen sogenannten Class Actions, bei denen automatisch alle Geschädigten erfasst werden. In Deutschland muss grundsätzlich jeder Geschädigte individuell klagen. Man kann Klagen nur dadurch bündeln, dass viele Geschädigte gemeinsam einen Anwalt beauftragen oder indem sie ihre Ansprüche an ein Unternehmen abtreten, das diese für sie einklagt. Eine solche Abtretung geht sogar im Internet – etwa auf myRight. Allerdings ist das nicht ganz günstig. Im Fall eines Erfolges muss der Geschädigte etwa 35 Prozent an die Plattformbetreiber abgeben.
Welche Klagen gibt es in Deutschland genau?
Neben einigen Verfahren, die von VW-Kunden initiiert wurden, klagen derzeit etwa 1600 Aktionäre vor dem Landgericht Braunschweig. Die geltend gemachte Schadenssumme liegt bei rund 8,2 Milliarden Euro. Das dürfte eine Rekordsumme für Deutschland sein.
Nicht nur VW-Aktionäre sind durch den Skandal geschädigt, sondern auch die Besitzer von VWDieselautos. Was ist mit denen?
Seitens der Besitzer sind in Deutschland etwa 5000 Klagen anhängig. Anders als bei den Aktionären halte ich ihre Chance, eine Entschädigung zu bekommen, für nicht sehr groß. Die VW-Käufer haben grundsätzlich nur Ansprüche gegenüber ihrem Vertragspartner, also dem VW-Händler. Und diese wussten selbst nichts von der Schummel-Software und haften daher nicht auf Schadensersatz. Auch eine Rückabwicklung der Verträge wurde bislang überwiegend abgelehnt.
Viele Fälle drohen zu verjähren ...
Ja! Die Zeit drängt. Ansprüche gegen die VW-Händler verjähren zwei Jahre nach Kauf, diese Fristen sind überwiegend abgelaufen. In den meisten Fällen verjähren auch die Ansprüche gegen die VW AG am Ende dieses Jahres. Schon deshalb wird ein großer Teil der Besitzer ohne Entschädigung bleiben.
Wie kann man an einem möglichen Erfolg der Stiftung gegen VW teilhaben?
Aktionäre und Anleihenbesitzer können sich im Internet bei der Stiftung als Geschädigte registrieren. Man muss dies aber im Grunde nicht, je mehr Leute dies jedoch tun, desto besser ist die Verhandlungsposition der Stiftung gegenüber VW. Der Beitritt ist kostenlos und mit keinerlei Verpflichtungen verbunden. Wenn ein Vergleich gelingt und vom Gerichtshof in Amsterdam genehmigt wird, kann jeder Geschädigte unabhängig von einer solchen Registrierung eine Entschädigung aus dem Fonds verlangen.
Kann man den Schaden durch den Dieselskandal überhaupt schon beziffern?
In den USA belaufen sich die Kosten für die Entschädigung von VW-Besitzern und Straf- und Bußgeldzahlungen bislang auf rund 21 Milliarden Dollar. Offen ist in den USA noch eine große Klage von amerikanischen Investoren. In Deutschland liegt der Streitwert der Aktionärsklagen in Braunschweig bei etwa acht Milliarden Euro. Das dürften die größten Posten sein, mit denen VW derzeit rechnen muss. Aber natürlich kön- nen auch noch Gerichtsverfahren außerhalb der USA und Deutschlands hinzukommen.
Wer steckt hinter der Stiftung und wie finanziert sie sich?
Die Anschubfinanzierung hat die US-amerikanische Kanzlei Bernstein Litowitz Berger & Grossmann übernommen. Sie vertritt auch die Kläger in der noch anhängigen class action in Kalifornien. Diese Kanzlei würde auch den Vergleich mit VW aushandeln.
Wie gesprächsbereit ist VW gegenüber der Stiftung?
Gar nicht. Bislang spielt VW auf Zeit. Es gibt keinen direkten Kontakt. Die Korrespondenz läuft nur über Anwälte. Möglicherweise fährt VW diese Hinhaltetaktik, weil sie den Ausgang im Musterverfahren in Braunschweig und im Prozess in den USA abwarten wollen. Dort ist in Kalifornien noch ein großes Verfahren amerikanischer Aktionäre anhängig, muss aber auch erst neue Rückstellungen bilden, die bisherigen wurden bereits verbraucht. Ich bin jedoch überzeugt, dass VW 2018 seine Strategie ändern muss. Nur ein Vergleich mit einer Stiftung könnte eine weltweite Wirkung erzielen, weil alle Geschädigten erfasst werden und VW dann nicht mehr mit weiteren Klagen rechnen muss. VW wäre damit alle Ansprüche mit einem Schlag los und könnte seine Bücher bereinigen.
In den USA wurden bereits die ersten VW-Manager verurteilt. Was bedeutet das für die Stiftung?
Das kann die Beweislage der geschädigten Investoren erleichtern und VW möglicherweise gesprächsbereit stimmen. Bisher behauptet der Vorstand, dass er von dem Einsatz der Software lange nichts gewusst habe. Spätestens seit den Aussagen des Ex-Audi-Vorstandes Giovanni P. in dem gegen ihn persönlich gerichteten Stafverfahren in München wurde deutlich, das der Vorstand schon sehr früh informiert war.