„Es gibt ein Leben außerhalb des Handys“
Gesundheitskonferenz beschäftigt sich mit den neuen Medien und Suchtverhalten
- Die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen ist nicht so süchtig nach Twitter, Instagram und Co., wie gemeinhin angenommen wird. Ihre Mediennutzung hängt allerdings entscheidend vom Vorbild ihrer Eltern ab. Diese müssen Leitlinien und echte Beziehungen vorleben und ihnen beibringen, dass es ein Leben außerhalb des Smartphones gibt.
Dies hat der von der Ostalb stammende Tübinger Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie, Dr. Gottfried Maria Barth, bei der Gesundheitskonferenz im voll besetzten Saal im Landratsamt unterstrichen. Sein Thema lautete: „Zocken, surfen & vernetzen – Ersatz für direkte soziale Kontakte?“
Jugendliche sind kritischer als ihre Eltern
Zwischen vier und fünf Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen seien mediensüchtig, mehr Mädchen als Jungen, räumte der Redner ein. Allerdings könne man noch nicht beurteilen, was die neuen Medien brächten. Es seien noch viele Fragen offen. Klar sei aber, dass das Bücherlesen nicht abgenommen, sondern eher noch zugenommen habe. Jugendliche hätten vielfach eine kritische Haltung gegenüber den neuen Medien entwickelt, oft mehr als ihre Eltern. Barths Fazit lautete deshalb: „Die Jugend macht das großartig, aber es gibt Probleme!“
Mobbing beispielsweise sei kein neues Phänomen, aber es habe eine neue Qualität. Denn wenn man alleine vor dem Gerät sitze, könne man sich nicht wehren, was früher von Person zu Person möglich gewesen sei. Es gebe also Gefahren, vor denen die Erwachsenen Kinder und Jugendliche schützen müssten. Auch diese selbst schätzten die negativen Seiten von Twitter und Co. realistisch ein. Außerdem: Habe man sich früher von Musik berieseln lassen, wählten Jugendliche heutzutage aus und träfen bewusste Entscheidungen. Barth: „Was ist besser?“
Andererseits könnten manchmal Kinder ihre Eltern gar nicht mehr ansprechen, weil diese dauernd im Internet seien. Eltern wiederum könnten immer schwerer kontrollieren, wann ihre Kinder im Internet seien, weil es überall verfügbar und ein Router nicht mehr zwingend erforderlich sei. Familien könnten sogar an den ständigen Auseinandersetzungen über die Mediennutzung zerbrechen, machte Barth auf weitere Gefahren aufmerksam.
Ziel ist nicht der völlige Verzicht auf die Medien
Andererseits könne das Smartphone auch bei der Therapie eingesetzt werden, berichtete der Mediziner aus seiner Praxis. Damit erreiche man Menschen im hintersten Schwarzwald, die keine Möglichkeit hätten, immer persönlich vorzusprechen. Er habe keine Scheu, das Gerät sogar bei Mediensüchtigen einzusetzen, verdeutlichte er auf Nachfrage. Denn über das Smartphone seien sie zu erreichen und das Ziel sei ja nicht, sie generell von den Medien wegzubringen. „Sonst können sie in dieser Welt nicht mehr leben!“
Das Smartphone sei auch als Beruhigungsmittel bestens geeignet. Ein Problem sei dabei allerdings, dass im Netz alles zugänglich sei. Und dass es die Diktatur der ständigen Erreichbarkeit gebe.
An der Podiumsdiskussion unter der Moderation von Landrat Klaus Pavel, bei der zahlreiche Fragen von den Zuhörern kamen, nahmen außer Barth der Psychologe Markus Hirsch von den Canisius-Beratungsstellen, Chefärztin Dr. Maike Preiß von der Kinder-und Jugendpsychiatrie der Sankt-Anna-Virngrund-Klinik Ellwangen, der stellvertretende Leiter des Kreismedienzentrums, Mario Schmid, und der Böbinger Lehrer und medienpädagogische Referent des Landesmedienzentrums BadenWürttemberg, Alexander Weller, teil. Sie machten deutlich, dass Eltern den Rahmen für die Mediennutzung ihrer Kinder setzen müssten. Dabei seien diejenigen Eltern das Problem, die einfach alles zuließen. Hirsch mahnte auch, das Tablet eigne sich nicht als Babysitter.