SPD vor der Zerreißprobe
Streit eskaliert – Partei laut Umfrage bei 18 Prozent
(sal) - Kurz vor dem Sonderparteitag der SPD in Bonn haben Gegner und Befürworter einer neuen Großen Koalition noch einmal ihre Anhänger mobilisiert. Die Parteilinke Hilde Mattheis und Juso-Chef Kevin Kühnert forderten in Berlin, keine Neuauflage einer Großen Koalition mehr zuzulassen. Sie schade der Partei und führe zu zunehmender Profillosigkeit. Laut einer ForsaUmfrage rutschte die SPD auf 18 Prozent ab. 61 Prozent derer, die bei der Bundestagswahl SPD wählten, seien für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, hieß es. SPD-Chef Martin Schulz warb an der Seite von DGB-Chef Reiner Hoffmann für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
Auch in den Landesverbänden wird noch immer heftig diskutiert. Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Norbert Zeller hat an Hilde Mattheis einen offenen Brief geschrieben.
- Da steht er nun und kann nicht anders. Juso-Chef Kevin Kühnert, der 28-jährige Berliner, hat seine Arme lässig in die Hüften gestemmt, er ist stolz auf seine Partei. Genauer gesagt, auf die leidenschaftliche Auseinandersetzung, ob die SPD noch einmal in eine Große Koalition gehen soll. Kühnert sagt Nein und ist zum Wortführer der GroKoGegner geworden.
„Wir haben die Verantwortung, uns und dem Land eine Hängepartie zu ersparen“, meint er. In den vergangenen zwölf Jahren habe die SPD fast 15 Prozentpunkte verloren, „aus Hasenfüßigkeit immer wieder in eine GroKo zu gehen, verzwergt die SPD“. 80 bis 90 Jusos aus den verschiedenen Landesverbänden sind unter den 600 Delegierten, die am kommenden Sonntag in Bonn über Koalitionsverhandlungen mit der Union abstimmen.
Schon am Morgen tritt die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21, zusammen mit dem Abgeordneten Marco Bülow und Silvia Kunze als Vertreterin der Basis-Initiative NoGroKo in Berlin vor die Presse. Sie ist sich sicher, dass die SPD den notwendigen Erneuerungsprozess in einer GroKo nicht durchsetzen kann. „Diese Partei steht auf Messers Schneide“, warnt Mattheis. Sie will auch nicht die AfD als stärkste Opposition im Bundestag erleben, schließlich habe sich die SPD immer als Bollwerk gegen rechts verstanden. In den vergangenen Jahren sei die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland weiter auseinandergegangen, so Mattheis. Sie wolle keine Politik tolerieren, die zu einem „Weiter-so“führe. Die Frankfurterin Silvia Kunze hat die NoGroKo Initiative mitgegründet. Der Dortmunder Abgeordnete Marco Bülow meint, es gebe Zeiten, da müsse man streiten. Schließlich habe die SPD seit 1998 schon die Hälfte der Wähler und Mitglieder verloren. Trotzdem müssten sich die, die gegen eine neue Große Koalition sind, rechtfertigen, und nicht die, „die jede Woche eine andere Meinung vertreten“. Bülow hat keinerlei Hoffnung, dass es mit einer dritten Auflage der Großen Koalition besser werden könnte.
Verstärkung durch den DGB
Angesichts so vieler Pressekonferenzen in Berlin hat sich auch Parteichef Martin Schulz Verstärkung geholt. Eine Viertelstunde vor dem Auftritt von Juso-Chef Kevin Kühnert im WillyBrandt-Haus wird für den Mittag schnell ein Termin anberaumt, an dem Schulz Seite an Seite neben DGB-Chef Reiner Hoffmann steht und sagt: „Wir sind einmütig zum Ergebnis gekommen, den Delegierten zu empfehlen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.“Reiner Hoffmann betont, es seien eine Reihe von Fortschritten erreicht worden, die vertieft und intensiviert werden könnten.
Es ist ein fast verzweifeltes Werben um die Genossen, von beiden Seiten. Doch wie soll es weitergehen, wenn am Sonntag die Delegierten in Bonn wirklich Nein zu weiteren Verhandlungen sagen. Muss dann nicht Parteichef Schulz zurücktreten?
Diesen Aspekt wollen weder Kühnert noch Mattheis groß beleuchten. Es gehe um Inhalte und nicht um Personen, meinen beide. Mattheis könnte sich vorstellen, dass Thorsten Schäfer-Gümbel oder Malu Dreyer in Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnten, sie seien Politiker, die auch Zwischentöne vertreten haben. Vor allem aber hofft Mattheis, dass es wie in Großbritannien auch in Deutschland eine Entwicklung hin zur Sozialdemokratie geben könnte, wenn man wieder linkes Profil gewinne. Labour-Vorsitzender Jeremy Corbyn liege in Umfragen bei 43 Prozent.
Silvia Kunze erinnert an das Anfangshoch von Martin Schulz im Frühjahr vergangenen Jahres, als fast 30 Prozent sich plötzlich für die SPD begeistern konnten. Das deute darauf hin, dass auch für die deutschen Sozialdemokraten „mehr drin“sei. Bei Neuwahlen könnte die SPD auf 15 Prozent abrutschen, hatten dagegen die konservativen Seeheimer in der SPD gewarnt.
Eines steht für die Gegner fest: Auch wenn der Parteitag der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen sollte, geht ihr Protest weiter. Wenn es ganz knapp wird, empfiehlt Mattheis, den Mitgliederentscheid vorzuziehen, „bevor man mit sechs Stimmen Mehrheit in Verhandlungen geht“. Kühnert ist dafür, dann beim vereinbarten Prozess zu bleiben, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen und dann die Mitglieder entscheiden zu lassen. „Unsere Kampagne aber wird weitergehen.“