Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Erfüllen die Sparkassen trotz vielfacher Filialschließungen ihren öffentlichen Auftrag noch? – Eine Analyse
- Die Zahlen zeichnen ein Bild des Niedergangs: Binnen fünf Jahren haben die Sparkassen in Baden-Württemberg 13,5 Prozent ihrer Filialen geschlossen. Waren Ende 2012 noch 2428 Geschäftsstellen im Südwesten geöffnet, sind es aktuell noch 2100. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Sparkassenverbandes, die der „Schwäbischen Zeitung“exklusiv vorliegt. Vor allem in ländlichen Regionen nimmt die Dichte der bekannten Logos mit dem roten S und dem Punkt obenauf immer mehr ab. Die Entwicklung ist brisant. Denn mit jeder geschlossenen Filiale drängt sich die Frage auf, inwieweit Sparkassen ihren öffentlichen Auftrag eigentlich noch erfüllen können.
Dieser öffentliche Auftrag beinhaltet, die Bevölkerung im Geschäftsgebiet der Institute mit Bankdienstleistungen zu versorgen – angefangen von der Bargeldversorgung über die Vermögensbildung bis hin zur Vergabe von Krediten für Privathaushalte und Unternehmen. Er geht zurück auf das Grundgesetz, in dem von deutschlandweit gleichen Lebensverhältnissen die Rede ist. „Egal wo wir in Deutschland leben: Es soll eine Post, eine Bank und nach Möglichkeit auch Zugang zu Schule oder Ärzten geben“, erklärt Horst Gischer, Leiter des Lehrstuhls für monetäre Ökonomie und öffentlich-rechtliche Finanzwirtschaft an der Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg. Als öffentlich-rechtliche Kreditinstitute müssen Sparkassen gewährleisten, dass auch in strukturschwachen, vorwiegend ländlichen Regionen, ein ortsnaher Zugang zu Bankdienstleistungen sichergestellt ist.
Landkreise begehren auf
Anfang des Jahres schreckte der Chef des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke, die Bankengruppe auf, als er gegen den schleichenden Rückzug der Sparkassen aus der Fläche aufbegehrte: „Die Sparkassen sind kein Franchisesystem à la McDonalds. Man sollte nicht generell den Rückzug aus der Fläche propagieren, nur weil es vielleicht hier und da nicht wirtschaftlich ist“, wetterte Henneke in der „Süddeutschen Zeitung“. Wenn eine Sparkasse zu viele Filialen schließe, gehe die Verankerung im Raum verloren. Hennekes Worte haben Gewicht, denn die Landkreise sind Träger von rund 260 der noch 390 Sparkassen in Deutschland.
Der Konter kam postwendend: „Sparkassen werden auch in Zukunft mit ihrem Filialnetz flächendeckend in allen Regionen Deutschlands vertreten sein“, hieß es vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Weil die Kunden ihre Geldgeschäfte aber zunehmend online und mobil erledigen würden, könnten „gerade kleine Filialen nicht an jedem Standort erhalten werden“. Zum Beweis führt der DSGV Auswertungen heran, nach denen der durchschnittliche Sparkassenkunde heute einmal im Jahr eine Filiale besucht, im gleichen Zeitraum aber mehr als 100-mal digitale Zugangswege nutzt. Ähnliche Zahlen präsentieren die regionalen Sparkassenchefs im Südwesten auf Fragen zum Nutzungsverhalten ihrer Kundschaft.
Alles also halb so schlimm? Mitnichten. Denn gerade die ältere Kundschaft im ländlichen Raum fällt oft genug durch dieses Durchschnittsraster. „Ich glaube nicht, dass in diesen Regionen 80 oder 90 Prozent der Sparkassenkunden Onlinekunden sind“, sagt Matthias Wohltmann, zuständig unter anderem für den Bereich öffentliche Sparkassen beim Deutschen Landkreistag in Berlin. Es sind Orte wie Hettingen im Landkreis Sigmaringen oder Bärenthal im Landkreis Tuttlingen, wo mit jeder Filialschließung ein Stück Infrastruktur und Lebensqualität für die Bürger verloren geht. Natürlich müssen die Institute wirtschaftlich arbeiten. Doch die Geschäftsstellenpolitik kann nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Kriterien erfolgen – zumal die Gewinnerzielung nach Sparkassenrecht nicht der Hauptzweck des Geschäftsbetriebs ist. „Sparkassen haben einen öffentlichen Auftrag und damit eine besondere Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit“, erinnert Wohltmann.
Das Problem: Der Versorgungsauftrag der Sparkassen als Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge ist ein wachsweicher Begriff. „Er ist sehr vage und weit gefasst, die Einschätzung, ob der harte Kern dieses Auftrags noch erfüllt wird oder nicht, entsprechend schwierig“, urteilt ein Verfassungsrechtler im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Horst Gischer von der Uni Magdeburg antwortet auf die Frage, ob die Sparkassen ihren öffentlichen Auftrag noch erfüllen, mit „ja und nein“. „Der Zugang existiert, doch die Zugangswege haben sich verändert.“Für Gischer, der sich als Direktor des Forschungszentrums Sparkassenentwicklung intensiv mit den Veränderungen in dem Sektor befasst, ist Kritik am Verhalten der Institute aber nur eine Seite der Medaille. Denn eine Mitverantwortung haben auch die Träger – in der Regel also die Landräte, die im Verwaltungsrat der Sparkassen sitzen und die Geschäftspolitik mittragen. „Kommunalpolitiker wollen auf der einen Seite Gewinnausschüttungen der Sparkassen, auf der anderen Seite beklagen sie das Filialsterben“, beschreibt Gischer die mitunter paradoxe Konstellation. Ein Interessenkonflikt wird von allen Beteiligten zwar vehement abgestritten – doch Zweifel bleiben.
Gestraffte Strukturen
Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“sehen die Verantwortlichen der Träger den öffentlichen Auftrag ihrer Sparkassen nicht beeinträchtigt. So glaubt der Verwaltungsratschef der Kreissparkasse Ravensburg, Landrat Harald Sievers (CDU), mit der Weiterentwicklung des Filialkonzepts – das Institut dampft sein Filialnetz zwischen Wangen, Bad Waldsee und Ravensburg von 51 auf 35 Filialen ein – „einen guten Mittelweg gefunden zu haben“. Bei Thomas Reinhardt, Landrat des Landkreises Heidenheim, klingt das ähnlich. Die Kreissparkasse Heidenheim hatte im Jahr 2013 ihre Filialstruktur überarbeitet und gestrafft. „Mit insgesamt 23 Geschäftsstellen und einer Vielzahl von weiteren Geldausgabeautomaten erfüllt das Institut mit Sicherheit den öffentlichen Auftrag in unserem Trägergebiet“, erklärt der CDU-Politiker. Etwas konkreter wird Heiko Schmid (Freie Wähler), Landrat des Landkreises Biberach und in dieser Funktion Verwaltungsratschef der Kreissparkasse Biberach: „Auf meinen Vorschlag hin haben wir uns innerhalb der Kreissparkasse darauf verständigt, dass in jeder politischen Gemeinde mit mehr als 2000 Einwohnern nach wie vor eine Geschäftsstelle vor Ort sein soll. Uns ist es wichtig, nah an den Kunden zu sein, das ist unser Markenkern und das zeichnet unsere Kreissparkasse vor Ort aus“, so Schmid. Die Kreissparkasse Biberach hat in den vergangenen Jahren – gegen den Trend – in Kirchberg und Eberhardzell sogar neue Geschäftsstellen eröffnet.
Am großen Bild ändert dieses Beispiel aber nichts. Denn die Daseinsvorsorge wird von den Kommunen – nicht nur in Bezug auf Bankdienstleistungen – peu à peu zurückgefahren. So hat die Privatisierungswelle der vergangenen Jahre in den Bereichen Energie, Abfall oder Telekommunikation dafür gesorgt, dass immer mehr Aufgaben, die früher staatlich oder kommunal organisiert waren, inzwischen in privater Hand sind. „Und seit etwa zehn Jahren stellen wir fest, dass das nicht richtig funktioniert“, sagt Gischer. Hinzu kommt, dass die Daseinsvorsorge einem gesellschaftlichen und technologischen Wandel unterliegt. War damit früher der Zugang zu Wasser und Elektrizität gemeint, zählt heute der Anschluss ans schnelle Internet dazu.
Das individuelle Gesicht
Das alles heißt nicht, Sparkassen und ihre Träger aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Auch wenn digitale Zugangswege für Bankdienstleistungen massiv an Bedeutung gewinnen: die Präsenz vor Ort – auf welchem Weg auch immer – ist für viele Bürger nach wie vor unverzichtbar. Das kann die Geschäftsstelle sein, die nur noch halbtags öffnet. Das kann der Sparkassenbus sein, der auch im Südwesten in etlichen Regionen tourt. Und das können auch gänzlich neue Zugangswege sein. „Bei den Apotheken gibt es MedikamentenBringdienste. Warum soll das nicht auch bei der Bargeldversorgung in ländlichen Regionen möglich sein?“, fragt Gischer. Auch bei Beratungsgesprächen etwa über eine neue Baufinanzierung müssten Kunden nicht zwangsläufig die Filiale aufsuchen. Der Banker könnte – wie ein klassischer Versicherungsvertreter – auch in die heimischen vier Wände kommen.
Die Digitalisierung des Bankgeschäfts sei wichtig, sagt Landkreistagschef Henneke, aber die Sparkasse dürfe sich davon nicht ihr individuelles Gesicht nehmen lassen.