Neun Jahre Haft nach Exorzismus
Schweizer Gericht verurteilt Mann aus Landkreis Ravensburg wegen Exorzismus und Tot der eigenen Tochter zu neun Jahren Haft
(sz) - Ein 50-jähriger Mann aus Leutkirch (Landkreis Ravensburg) ist in der Schweiz zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich der Tötung seiner damals 25 Jahre alten Tochter schuldig gemacht hat. Der lernschwachen jungen Frau habe er bei einem Exorzismus „mit absolut brutaler Gewalt“, so das Gericht, einen Dämonen austreiben wollen. Infolge des Rituals starb die Tochter.
- Vanessa W. bricht in der Dusche zusammen. Sie atmet nicht mehr. Ihr Vater bringt sie in den Flur. Ihr Körper ist übersät von Hämatomen, alles ist rot und blau. Vanessa W. ist tot. Das war am 2. Januar 2016. Am Freitag ist ihr Vater, der aus Leutkirch im Landkreis Ravensburg stammt, vom Bezirksgericht Frauenfeld im Schweizer Kanton Thurgau zu einer neunjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich der eventualvorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hat. Nach Schweizer Recht liegt dann ein Eventualvorsatz vor, wenn ein Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn billigend in Kauf nimmt, aber den Tod nicht zum Ziel hat. Zudem muss er Schadensersatz und Schmerzensgeld von rund 62 500 Euro sowie die Anwalts-, Ermittlungsund Gerichtskosten in Höhe von rund 85 000 Euro bezahlen.
Mit brutaler Gewalt
Vanessa W., die bis zu ihrem Tod in Wilhelmsdorf im Landkreis Ravensburg lebte, muss in den späten Abendstunden des 2. Januars ein Martyrium durchleben, bis sie stirbt. Ihr Vater glaubt, sie sei von einem Dämon besessen. Er will ihn ihr austreiben. Immer wieder läuft er bei seinem Exorzismus barfuß über den kleinwüchsigen Körper der damals lernschwachen 25-Jährigen, stemmt sich mit vollem Gewicht auf sie, tritt senkrecht von oben auf sie ein. In Videos für die Tatrekonstruktion demonstriert der Beschuldigte Klaus S. sein Vorgehen. „Mit absoluter brutaler Gewalt“, sagt Gerichtspräsident Rudolf Fuchs bei der Urteilsbegründung. In ihrem Bericht stellt die Rechtsmedizin eine zertrümmerte Leber, einen Abriss des Zwölffingerdarms, eine Einblutung des Darmgekröses und einen Abriss der rechten Nierenarterie fest.
Nach ihrem Tod soll er die Tochter penetriert haben. Allerdings nicht aus sexuellen Motiven, betont er. Er habe so das erste Chakra „stimulieren“wollen, um sie wieder zu beleben. Dieses Wissen habe er „aus einem alten Yoga-Buch“. Einen Notruf setzt Klaus S. in dieser Nacht nicht ab. „Er war aber der irrtümlichen Überzeugung, sie reanimieren zu können“, so der Richter. Er leide an Selbstüberschätzung. Deswegen wurde er vom Vorwurf der Schändung und der Störung des Totenfriedens freigesprochen. Angerechnet wurde ihm eine leichte Schuldminderung unter anderem wegen seiner Persönlichkeitsstörung mit narzisstischer und dissozialer Ausprägung und Tendenz zur Schizophrenie.
Bei der Gerichtsverhandlung zeigt sich der 50-jährige Mann mit Pferdeschwanz und kurzgeschorenem Seitenhaar regungslos, ja emotionslos. Ein angedeutetes Lächeln ist auf sein Gesicht gezeichnet. „Dämonen trägt jeder in sich – gute und schlechte“, sagt er bei seiner Befragung leise. Manchmal spricht er so leise, dass der Richter ihn seine Aussage wiederholen lässt. Er habe Vanessa W. „nur massieren“wollen, das bringt auch die Verteidigung immer wieder vor.
Das Thema mit den Dämonen sei aus der Luft gegriffen, sagt der Beschuldigte Klaus S., obwohl er selbst bei der Vernehmung im Vorfeld des Prozesses immer wieder von „bösen Geistern“gesprochen habe, wie der Staatsanwalt ausführt. Auch später habe er noch über „schwarze Magie“geredet.
Während der Verhandlung offenbart sich, in welchem Umfeld sich Klaus S., Vanessa W. und ihr Exfreund bewegten. „Er lebte im Mittelalter“, sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer und berichtet von der Mittelalterszene. Man trifft sich auf speziellen Märkten, verkleidet sich, manche haben auch ein Faible fürs Okkulte.
Klaus S. nennt sich selbst „Baron“, beschäftigt sich mit Geschichte, Psychologie, dem alten Ägypten und mit Medizin. Der Staatsanwalt berichtet von einem Foto, das ihn kniend vor einer Statue des Dämons vom Château de Rennes in Frankreich zeigt, und von einer Tätowierung des ägyptischen Gottes Horus.
Der Leutkircher ohne Berufsausbildung ist kein unbeschriebenes Blatt. Sechsmal wurde er bereits in Deutschland verurteilt. Fünfmal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, einmal wegen Körperverletzung zu neun Monaten – weil er seine leibliche Mutter mehrfach geschlagen hatte. Dass er jetzt in der Schweiz auf der Anklagebank sitzt und dort wohl auch seine Strafe absitzt, hat mit dem Tatort zu tun.
Der befindet sich in Wagenhausen bei Stein am Rhein im Thurgau – in der Wohnung des Exfreundes von Vanessa W. Dort hatte sie zusammen mit ihrem Vater und dem Freund über Neujahr 2015/2016 ein paar Tage verbringen wollen. Doch dann eskaliert die Situation. Es gibt Streit. Vanessa W. beißt ihm in den Finger. Der Vater schlägt sie daraufhin. Sie berichtet von einem Kinderwunsch, den der Vater kategorisch ablehnt. Unter anderem deswegen glaube er, dass sie von einem Dämon besessen ist, heißt es in der Anklage. Ihr damaliger Freund ist zur Tatzeit nicht anwesend.
Die Verteidigung sieht im Handeln des 50-Jährigen lediglich eine fahrlässige Tötung, außerdem sei er vom Vorwurf der Schändung beziehungsweise sexuellen Nötigung und der Störung des Totenfriedens freizusprechen, weswegen Verteidiger Daniel Christen eine dreijährige Freiheitsstrafe fordert. „Die Staatsanwaltschaft hat mit der Dämonenaustreibung ein Motiv konstruiert“, so Christen. Der Angeklagte sei beim „Massieren“vorsichtig gewesen, er habe seine Tritte abgefedert und den Druck „wohl dosiert“.
„Dämonen trägt jeder in sich – gute und schlechte.“Der Verurteilte Klaus S.
„Behandlung und Misshandlung“
Außerdem habe Vanessa W. an Geister geglaubt und bei der „Behandlung“, im Urteil ist von „Behandlung und Misshandlung“die Rede, keine Schmerzenslaute von sich gegeben. Das bringt den Nebenkläger Michael Gehring auf die Palme, der sogar den Tatbestand des Mordes als erfüllt sieht: „Es kann Klaus S. nicht entgangen sein, dass seine Tochter Schmerzen erleidet! Völlig unmöglich!“
Reue zeigt Klaus S. kaum. Auch wenn er sich am Freitag beim Halbbruder von Vanessa W. entschuldigt hat und die Forderungen nach Schmerzensgeld und Schadensersatz akzeptiert. „Ich drücke mein Bedauern aus“, sagt er lediglich bei seiner Vernehmung. Auf ein Schlusswort verzichtet er ganz.