Die Kanzlerin kämpft
Plötzlich gibt es Bewegung. Angela Merkel kämpft. Der Druck wirkt. Bereits am Sonntag soll es beim Minigipfel der besonders betroffenen EU-Staaten einen neuen Anlauf für eine europäische Lösung der Asyl- und Flüchtlingsproblematik geben. Gelingt es der Bundeskanzlerin, bilaterale Abkommen mit Ländern wie Österreich, Italien, Griechenland und Bulgarien abzuschließen und auf diesem Wege Zurückweisungen und Rückführungen von bereits in EU-Staaten registrierten Flüchtlingen sicherzustellen, wäre dies ein wichtiger Schritt. Bundesinnenminister Horst Seehofer und die CSU müssten im Asylstreit wieder abrüsten.
Doch schon schießen die Christsozialen an anderer Stelle quer, stellen die deutsch-französische Einigung von Meseberg zu den notwendigen EU-Reformen infrage. Da ist von einem Deal die Rede: Schulterschluss zwischen Merkel und Macron in der Flüchtlingspolitik gegen Milliarden für ein Eurozonen-Budget. Erst der Streit über die Asylpolitik, jetzt der Konflikt über die Reform der EU – hundert Tage nach dem Start der schwarz-roten Regierung hängt bei den Schwesterparteien CDU und CSU der Haussegen mächtig schief. Beide Seiten steuern weiterhin ungebremst auf einen großen Crash zu. Bester Beleg hierfür sind die Aussagen von CSU-Spitzenpolitiker Markus Söder in Linz. Beim Treffen der Merkel-Kritiker mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz legte Bayerns Ministerpräsident nach. Von einer Schonfrist für die Kanzlerin bis zum EU-Gipfel Ende des Monats kann keine Rede mehr sein.
Bereits am kommenden Dienstag treffen sich Union und SPD zu einem Koalitionsgipfel im Kanzleramt. Der tiefe Riss, der durch die Unionsparteien geht, wird immer mehr zur ernsten Belastung für die Regierung. Ein schnelles Ende des Bündnisses scheint nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Die Auseinandersetzung gerät immer mehr außer Kontrolle. Die Warnung des besonnenen CDUVizechefs und hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier vor italienischen Verhältnissen hierzulande ist durchaus berechtigt.