... und Müller gibt den Bundesoptimismusminister
Der Münchner übernimmt in Sotschi die Rolle, die jahrelang Lukas Podolski innehatte in der Nationalmannschaft
- Natürlich haben sie sich etwas dabei gedacht, die Verantwortlichen beim DFB. Weil sie sich einen Effekt erhofft haben von der Aufstellung für Tag eins am Schwarzen Meer, der Operation Luft- und Launeveränderung. Nicht im Training, nicht mit Blick auf das „erste K.-o.Spiel gegen Schweden“(20 Uhr/ ARD und Sky), wie Teammanager Oliver Bierhoff es bezeichnete, am Samstag. Nein, es ging um die Nominierung für die erste Pressekonferenz in den Tagen von Sotschi. Am Dienstag vor der Abreise aus Moskau hatte Kapitän Manuel Neuer recht sachlich von der Mannschaftssitzung im Anschluss an das 0:1 gegen Mexiko berichtet, dies jedoch im nüchternen Ton eines Krisenmanagers, der die Dinge lieber intern abwickelt. Aufbruchstimmung schwappte aus dem fernen Russland so nicht zu den Fans in die Heimat herüber.
Also wurde Thomas Müller nominiert, erstmals seit Beginn der Vorbereitung in Südtirol. Er, der Vielsprecher des FC Bayern und der Nationalelf, der jedoch in den vergangenen Jahren durch seine Leistungen und Tore auch zum Lautsprecher geworden ist – nach innen und außen. Einen, den das verunsicherte DFBTeam dieser Tage dringend braucht, schließlich ist es auch das erste Turnier seit ewigen Zeiten ohne Spaßvogel Lukas Podolski, dessen gute Laune innerhalb der Gruppe ansteckende bis mitreißende Wirkung entfaltete.
„Werden nicht gewinnen, wenn wir uns selbst zerfleischen“
Müller nahm auf dem Podium Platz als Bierhoff noch sprach, feixte mit ihm und lachte frohen Mutes in die Gesichter der Journalisten, noch bevor die erste kritische Frage – ähnlich wie ein Gegenangriff der Mexikaner letzten Sonntag – angeflogen kam. Das ist Müller. Immer positiv. Immer mit einem Lächeln, das Gegenüber schon partiell entwaffnet.
Als erstes sprach er über die mediale Aufarbeitung des 0:1 gegen Mexiko und räumte ein: „Wir haben uns natürlich angreifbar gemacht, sind aber selbstkritisch genug.“Doch der negative Ton in der Berichterstattung war ihm zu krass. „FußballDeutschland ist besorgt, aber es ist selten so, dass ich das Gefühl hatte, man wird als Mannschaft gepusht, unterstützt.“Dieses Mal wohl besonders. Als Müller dann von „wir“sprach, meinte er die Nationalelf: „Wir müssen jetzt gemeinsam nach vorne blicken. Wir haben zwei dicke Aufgaben zu erledigen.“
Zum Thema Grüppchenbildung und ersten Rissen im Mannschaftsgefüge, von dem berichtet worden war, stellte er klar. „Wir werden die beiden Spiele nicht gewinnen, wenn wir uns selbst zerfleischen und auffressen sowie die Fehler bei dem anderen suchen.“Müller appellierte an den Teamgeist: „Wichtig wird sein, dass wir gemeinsam nach vorne blicken.“Ob auf dem Rasen oder beim Essen.
Dass die Spieler dieses Mal anders als bei früheren Turnieren andere Sitznachbarn bekommen – ein Rotationsprinzip für mehr Kommunikation – findet Müller nicht dramatisch. „Wir haben mehrere Tische beim Essen, nicht eine große Tafel“, erklärte er, „natürlich sitzen da Spieler nebeneinander, die sich auch privat gut verstehen. Aber ich bin auch dort variabel einsetzbar.“Er grinste, die Reporter lachten. Etwas Druck entweicht dem Kessel. Müller lässig weiter: „Ich versuche überall meine Ohren zu spitzen. Diese Grüppchenbildung, die wir 2012 sicher etwas hatten, davon ist nichts zu spüren.“
Auch sportlich hat Müller Lösungen parat, ohne die kein Politiker Stimmung für sich und seine Partei macht. Man müsse „in gewissen Situationen schnell nach vorne spielen, aber wenn man zu überhastet spielt, zu ungeduldig ist, kann das auch nach hinten losgehen“, referierte der Weltmeister ausführlich und erinnerte an die Fehler des Mexikospiels. Diese Mischung aus rasantem und kontrolliertem Offensivspiel sei „der Goldene Kelch oder irgendein anderes Synonym“.
Müller freute sich über den neu erschaffenen Begriff und witzelte: „Ich habe noch keine Trainingsübung gesehen, die Leichtigkeit trainiert.“
Druck? Kennt er, kompensiert er, der mittlerweile 28-Jährige, dessen Stern bei der WM 2010 aufging. Wenn einer neben dem physischen Umzug aus Moskau ins palmenreiche Sotschi auch noch den zwischenmenschlichen Klimawechsel im DFB-Team hinbekommt, dann er: der Bundesoptimismusminister.