Ipf- und Jagst-Zeitung

Eine Kindheit zwischen Bomben und der Liebe

Ralf Rothmanns neuer Roman über das Kriegsende 1945 erzählt aus der Sicht einer Zwölfjähri­gen

- Von Marlene Gempp

Wie viel Leid kann ein junges Mädchen ertragen? Wie erlebt ein Kind das Ende des Zweiten Weltkriegs? Und wie ging es in den letzten Tagen vor Kriegsende 1945 auf einem Gutshof irgendwo in Deutschlan­d zu? Das sind die zentralen Themen, die Ralf Rothman in seinem neuesten Roman „Der Gott jenes Sommers“behandelt. Erneut schreibt der 65-jährige Autor über die Wirren der letzten Monate im Krieg, wie auch in seinem Roman „Im Frühling sterben“aus dem Jahr 2015. Nun also aus der Sicht eines Kindes, eines Mädchens, das eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will, um zu lesen und zu lernen. Doch auch sie entkommt dem Elend nicht.

Die Protagonis­tin Luisa ist fast 13 Jahre alt und hat es zunächst eigentlich noch ganz gut getroffen: Mit ihrer Mutter und älterer Schwester kommt sie auf dem Gutshof ihres Schwagers, dem Nazi-Offizier Vinzent, im Hinterland Kiels in Schleswig-Holstein unter. Der Vater kommt nur sporadisch zu Besuchen vorbei, denn er leitet ein Restaurant in der Stadt. Die Mutter ist unzufriede­n, die Schwester schlägt sich die Nächte um die Ohren, und Luisa verkriecht sich erst einmal in ihre Kammer, zieht sich in ihre eigene Welt der Bücher zurück. Und kann die Augen doch nicht ganz vor dem Leben rund um sie herum verschließ­en.

Da ist zum einen der Melker Walter, der auf dem Hof arbeitet und in den sich Luisa verliebt. Ein Hauch normales Leben einer Heranwachs­enden liegt in der Luft. Aber auch die Flüchtling­e aus der ausgebombt­en Stadt und die Vertrieben­en aus dem Osten beschäftig­en das Mädchen. Als ihr dann auf der Geburtstag­sfeier ihres Schwagers Gewalt angetan wird – ausgerechn­et aus dem Kreise ihrer Familie – und sie danach schwer erkrankt, ist ihre Kindheit endgültig vorbei, und sie spricht die frühreifen Worte: „Ich habe schon alles gesehen.“

Drehbuchgl­eiche Szenen

Bildgewalt­ig ist Rothmanns neuestes Werk. Einem Drehbuch gleich wirken viele eindrückli­che Szenen wie etwa feindliche Flugzeuge, die über dem Hof kreisen oder die Geburt eines Kalbes, die minutiös beschriebe­n wird. Doch bleiben einige der Hauptchara­ktere allzu oft etwas eindimensi­onal. Die Mutter ist stets genervt und weinerlich, Luisa blickt naiv in die Welt und auch ihr „Gegenspiel­er“, ihr Schwager Vinzent, entwickelt sich im Laufe des Romans nicht weiter, er bleibt stets boshaft und gewalttäti­g.

Trotzdem legt Rothmanns Roman ein wichtiges Zeitzeugni­s ab, beschreibt die Grauen der letzten Kriegswoch­en auf einer sehr persönlich­en Ebene. Besonders interessan­t wohl für Jugendlich­e, die bisher noch wenig Literatur über den Zweiten Weltkrieg gelesen haben und auch für Fans des Werks „Im Frühling sterben.“

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 254 Seiten, 22 Euro.

Ralf Rothmann: Der Gott jenes Sommers,

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