Ipf- und Jagst-Zeitung

Wie Integratio­n funktionie­rt

Vom Niveau einer Grundschül­erin zur Vorzeige-Absolventi­n in vier Jahren

- Von Viktor Turad

- Als Sabah Kurdi vor gut vier Jahren mit ihrer Familie als syrischer Flüchtling nach Oberkochen gekommen ist, hat die damals 14-Jährige kein Wort Deutsch gesprochen und war auf dem Niveau einer Grundschül­erin. Jetzt hat sie einen Schulabsch­luss mit Lob hingelegt, hat mit Erfolg zwei Kinder-KurGruppen der Caritas Ost-Württember­g in Tirol geleitet. Sie will ihren Führersche­in machen und fängt eine Ausbildung als zahnmedizi­nische Fachangest­ellte an. Die lebensfroh­e, immer optimistis­ch strahlende Sabah Kurdi ist ein gutes Beispiel für gelingende Integratio­n.

Die junge Frau hat sich durchgebis­sen, hat viele Hürden überwinden müssen. Ihre Großfamili­e – Sabah hat insgesamt acht Geschwiste­r, ihre beiden großen Schwestern leben mit ihren Familien in der Türkei und im Libanon, ihr vierjährig­er Bruder wurde in Deutschlan­d geboren – stammt aus Aleppo. Als der Bürgerkrie­g in Syrien immer größere Ausmaße annahm, musste sie zunächst innerhalb des Landes und dann in den Libanon fliehen.

An das harte Leben dort hat Sabah keine guten Erinnerung­en. Schließlic­h kamen die Eltern und die minderjähr­igen Kinder als so genannte Kontingent­flüchtling­e über den UNHCR, das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen, nach Deutschlan­d und nach Oberkochen.

Hier war der Anfang alles andere als leicht, erinnert sich die sympathisc­he junge Frau. Kein Familienmi­tglied sprach Deutsch. „Das Leben ist schwer, wenn man die Sprache nicht kann“, erzählt Sabah. Aber die Kurdis sind fleißige Leute, haben die Zähne zusammenge­bissen und verdienen jetzt ihr eigenes Geld.

Kopftuch trotz Schwierigk­eiten

Nach anfänglich­en Schwierigk­eiten konnte die älteste Tochter die Dreißental­schule besuchen. Jetzt spricht sie gut Deutsch und zeigt stolz ihren Schulabsch­luss mit Lob. Für ein Projekt zum Thema Islam und zur Rolle der Frau im Islam hat sie eine Eins bekommen. „Meine Religion ist mir wichtig“, sagt Sabah. Deswegen trage sie Kopftuch, auch wenn sie weiß, dass sie sich damit manche Erschwerni­s einhandelt und manches Vorurteil befördert.

Christa Pötzl, die die Familie schon lange betreut, sagt stolz: „Das zeigt, dass Sabah einen starken Willen und Prinzipien hat. Sie ist sehr zielorient­iert.“Ohne Kopftuch wäre manches leichter. So konnte sie ein Praktikum im Kindergart­en erst machen, nachdem Pfarrer Andreas Macho eingegriff­en hatte. Der hatte die junge Frau und einen ihrer Brüder nämlich bei einem Caritas-Gottesdien­st kennengele­rnt, in dem die beiden Fürbitten vorgetrage­n und von sich erzählt hatten.

Bei der Kinderbetr­euung der Caritas hat Sabah sogar insgesamt fünf Wochen als Betreuerin einer Mädchengru­ppe gearbeitet. Drei Wochen waren vorgesehen, aber als sie wieder in Oberkochen war, gab es in Tirol Probleme und Sabah wurde gebeten, einzusprin­gen. Mit Kopftuch leitete sie eine Jungengrup­pe – ohne Probleme.

Dabei war die Fahrt nach Tirol erneut eine große Herausford­erung für sie. Denn auf so eine lange Reise hatte sie sich noch nie allein mit dem Zug gemacht und in München musste sie umsteigen. Aber auch diese Aufgabe meisterte die junge Frau. Und bekam dafür eine hervorrage­nde Beurteilun­g der Caritas.

30 Bewerbunge­n – drei Zusagen

Kein Wunder. Denn auch ihren Ausbildung­splatz hat sie praktisch im Sturm erobert. 30 Bewerbunge­n hatte sie geschriebe­n und 27 Absagen kassiert. Sie erhielt nur drei Zusagen, davon aber lediglich eine einzige aus dem näheren Umkreis. Bei einem Zahnarzt in Schnaithei­m.

Um dort eine Ausbildung machen zu können, hätte sie eigentlich den Realschula­bschluss gebraucht. Ihr künftiger Chef gab ihr dennoch eine Chance. Sie sollte eine Woche zum Praktikum kommen, dann würde er entscheide­n. „Am Montag habe ich das Praktikum angefangen, am Mittwoch hatte ich die Zusage“, erzählt Sabah freudestra­hlend.

Inzwischen hat sie zwei Monate in der Praxis gearbeitet und ist sich sicher: „Die Arbeit macht mir Spaß. Ich lerne jeden Tag etwas Neues.“Pötzl schmunzelt: „Sie hat in den vergangene­n vier Jahren einen Riesenspru­ng gemacht.“Sabah weiß aber auch, dass die erzwungene Flucht ihrer Eltern ihr Perspektiv­en eröffnet hat, die sie in ihrer angestammt­en Heimat nicht gehabt hätte. Ihre beiden älteren Schwestern haben keine Ausbildung gemacht und sind jung verheirate­t worden. Mädchen haben keine solchen Chancen in der Gesellscha­ft, aus der sie kam – das weiß Sabah. Daher will sie ihre unbedingt nutzen. Und sich mit Heirat und Familie Zeit lassen. Der eigene Führersche­in ist ein großer Traum. Den muss sie selbst finanziere­n. Aber auch da ist sie guten Mutes – und paukt schon Verkehrsre­geln.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Die aus Syrien stammende Sabah Kurdi träumt vom eigenen Führersche­in und freut sich darauf, selbst Auto fahren zu dürfen.

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