Wie Integration funktioniert
Vom Niveau einer Grundschülerin zur Vorzeige-Absolventin in vier Jahren
- Als Sabah Kurdi vor gut vier Jahren mit ihrer Familie als syrischer Flüchtling nach Oberkochen gekommen ist, hat die damals 14-Jährige kein Wort Deutsch gesprochen und war auf dem Niveau einer Grundschülerin. Jetzt hat sie einen Schulabschluss mit Lob hingelegt, hat mit Erfolg zwei Kinder-KurGruppen der Caritas Ost-Württemberg in Tirol geleitet. Sie will ihren Führerschein machen und fängt eine Ausbildung als zahnmedizinische Fachangestellte an. Die lebensfrohe, immer optimistisch strahlende Sabah Kurdi ist ein gutes Beispiel für gelingende Integration.
Die junge Frau hat sich durchgebissen, hat viele Hürden überwinden müssen. Ihre Großfamilie – Sabah hat insgesamt acht Geschwister, ihre beiden großen Schwestern leben mit ihren Familien in der Türkei und im Libanon, ihr vierjähriger Bruder wurde in Deutschland geboren – stammt aus Aleppo. Als der Bürgerkrieg in Syrien immer größere Ausmaße annahm, musste sie zunächst innerhalb des Landes und dann in den Libanon fliehen.
An das harte Leben dort hat Sabah keine guten Erinnerungen. Schließlich kamen die Eltern und die minderjährigen Kinder als so genannte Kontingentflüchtlinge über den UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, nach Deutschland und nach Oberkochen.
Hier war der Anfang alles andere als leicht, erinnert sich die sympathische junge Frau. Kein Familienmitglied sprach Deutsch. „Das Leben ist schwer, wenn man die Sprache nicht kann“, erzählt Sabah. Aber die Kurdis sind fleißige Leute, haben die Zähne zusammengebissen und verdienen jetzt ihr eigenes Geld.
Kopftuch trotz Schwierigkeiten
Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte die älteste Tochter die Dreißentalschule besuchen. Jetzt spricht sie gut Deutsch und zeigt stolz ihren Schulabschluss mit Lob. Für ein Projekt zum Thema Islam und zur Rolle der Frau im Islam hat sie eine Eins bekommen. „Meine Religion ist mir wichtig“, sagt Sabah. Deswegen trage sie Kopftuch, auch wenn sie weiß, dass sie sich damit manche Erschwernis einhandelt und manches Vorurteil befördert.
Christa Pötzl, die die Familie schon lange betreut, sagt stolz: „Das zeigt, dass Sabah einen starken Willen und Prinzipien hat. Sie ist sehr zielorientiert.“Ohne Kopftuch wäre manches leichter. So konnte sie ein Praktikum im Kindergarten erst machen, nachdem Pfarrer Andreas Macho eingegriffen hatte. Der hatte die junge Frau und einen ihrer Brüder nämlich bei einem Caritas-Gottesdienst kennengelernt, in dem die beiden Fürbitten vorgetragen und von sich erzählt hatten.
Bei der Kinderbetreuung der Caritas hat Sabah sogar insgesamt fünf Wochen als Betreuerin einer Mädchengruppe gearbeitet. Drei Wochen waren vorgesehen, aber als sie wieder in Oberkochen war, gab es in Tirol Probleme und Sabah wurde gebeten, einzuspringen. Mit Kopftuch leitete sie eine Jungengruppe – ohne Probleme.
Dabei war die Fahrt nach Tirol erneut eine große Herausforderung für sie. Denn auf so eine lange Reise hatte sie sich noch nie allein mit dem Zug gemacht und in München musste sie umsteigen. Aber auch diese Aufgabe meisterte die junge Frau. Und bekam dafür eine hervorragende Beurteilung der Caritas.
30 Bewerbungen – drei Zusagen
Kein Wunder. Denn auch ihren Ausbildungsplatz hat sie praktisch im Sturm erobert. 30 Bewerbungen hatte sie geschrieben und 27 Absagen kassiert. Sie erhielt nur drei Zusagen, davon aber lediglich eine einzige aus dem näheren Umkreis. Bei einem Zahnarzt in Schnaitheim.
Um dort eine Ausbildung machen zu können, hätte sie eigentlich den Realschulabschluss gebraucht. Ihr künftiger Chef gab ihr dennoch eine Chance. Sie sollte eine Woche zum Praktikum kommen, dann würde er entscheiden. „Am Montag habe ich das Praktikum angefangen, am Mittwoch hatte ich die Zusage“, erzählt Sabah freudestrahlend.
Inzwischen hat sie zwei Monate in der Praxis gearbeitet und ist sich sicher: „Die Arbeit macht mir Spaß. Ich lerne jeden Tag etwas Neues.“Pötzl schmunzelt: „Sie hat in den vergangenen vier Jahren einen Riesensprung gemacht.“Sabah weiß aber auch, dass die erzwungene Flucht ihrer Eltern ihr Perspektiven eröffnet hat, die sie in ihrer angestammten Heimat nicht gehabt hätte. Ihre beiden älteren Schwestern haben keine Ausbildung gemacht und sind jung verheiratet worden. Mädchen haben keine solchen Chancen in der Gesellschaft, aus der sie kam – das weiß Sabah. Daher will sie ihre unbedingt nutzen. Und sich mit Heirat und Familie Zeit lassen. Der eigene Führerschein ist ein großer Traum. Den muss sie selbst finanzieren. Aber auch da ist sie guten Mutes – und paukt schon Verkehrsregeln.