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Von der Forschung mit Tiersendern sollen Tierschutz, Medizin und Katastrophenschutz profitieren – Zuerst muss eine Antenne an der ISS-Hülle montiert werden
(dpa) - Wenn zwei Kosmonauten heute Abend die Internationale Raumstation ISS verlassen, werden deutsche Forscher vom Moskauer Kontrollzentrum aus jede Bewegung gespannt verfolgen. In einem rund siebenstündigen Außeneinsatz wollen Oleg Artemjew und Sergej Prokopjew einen Mast samt Antenne an die Außenhülle des russischen ISS-Moduls montieren. Die Anlage ist das Herzstück von Icarus – einem Mammutprojekt zur Tierbeobachtung.
„Jahrelang haben wir über das Projekt gesprochen“, sagt Martin Wikelski, Direktor am Max-PlanckInstitut für Ornithologie in Radolfzell. „Jetzt geht es tatsächlich los.“Er hat Icarus vor mehr als 16 Jahren erdacht und konzipiert. Forscher wollen Tiere mit Minisendern ausstatten und mithilfe der ISS beobachten. Das soll Aufschluss geben etwa über die Wanderungen von Zugvögeln und so auch zum Schutz der Arten beitragen. Zudem hofft man, dass Icarus in Zukunft als Frühwarnsystem für Epidemien und auch für Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüche dient.
Schon lange gibt es Berichte, dass Tiere vor solchen Ereignissen unruhig werden. Ziegen am Ätna etwa bewegen sich vor Eruptionen auffällig. Diesen vermeintlichen siebten Sinn wollen Forscher nutzen. „Das System erlaubt uns nicht nur, zu beobachten, wo ein Tier ist, sondern auch, was es gerade tut“, erläutert Wikelski. „Wir könnten ein globales System intelligenter Sensoren einsetzen, um die Welt zu beobachten.“
Mithilfe von Icarus sind viele solche Untersuchungen geplant. So wollen Forscher Papageien in Nicaragua in der Nähe eines Vulkans beobachten, Ziegen im erdstoßgeplagten Mittelitalien mit Sendern versehen, Bären als Erdbebenwächter auf der ostrussischen Halbinsel Kamtschatka nutzen. „Wir fangen jetzt damit an, Tiere an Orten zu besendern, wo Naturkatastrophen auftreten“, sagt Icarus-Koordinatorin Uschi Müller. Zunächst sind 1000 Sender geplant, die Zahl soll rasch steigen. „Letztlich wollen wir 100 000 tierische Spürhunde für die Menschheit“, sagt Wikelski. „Wenn wir all diese Informationen kombinieren, erhalten wir ein völlig anderes und neues Verständnis vom Leben auf diesem Planeten.“
Wikelski hatte seine Idee damals der US-Raumfahrtbehörde Nasa vorgestellt – und war abgeblitzt. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos war aufgeschlossener. Beteiligt sind außerdem die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Universität Konstanz. Die deutschen Partner finanzieren die Entwicklung der Technik, die Russen kümmern sich um den Transport und die Installation im All.
Entscheidend für die Forschung sind eigens entwickelte Minisender, die sogar größeren Singvögeln wie etwa Amseln rucksackartig auf den Rücken geschnallt werden können. Sie wiegen etwa fünf Gramm, sind zwei Kubikzentimeter groß, haben eine 15 Zentimeter lange Drahtantenne und eine Speicherleistung von 500 Megabyte. Sechs Sensoren übermitteln nicht nur die Position des Tiers, sondern auch seine Beschleunigung, die Ausrichtung zum Magnetfeld der Erde, die Umgebungstemperatur sowie Luftdruck und Feuchtigkeit.
Die ISS umkreist die Erde 16-mal pro Tag. Mithilfe der Antenne liest sie dabei einen etwa 800 Kilometer breiten Erdstreifen aus, der ungefähr die Fläche zwischen den beiden 56. Breitengraden umfasst – also zwischen Kopenhagen und Moskau im Norden und Feuerland im Süden. Nähert sie sich einem Sender, sendet der ein kleines Datenpaket hoch.
Das Icarus-System auf der ISS kann alle drei Sekunden Signale von etwa 120 Sendern empfangen. Es leitet die Informationen weiter an die Bodenstation, von dort gehen sie an die jeweiligen Forscherteams. Das Verhalten der Tiere ist dennoch schwer zu interpretieren. Wird eine Ziegenherde am Ätna unruhig, weil ein Ausbruch bevorsteht oder weil ein Wolf in der Nähe ist? „Die Interpretation vieler Daten müssen wir noch lernen“, sagt Walter Naumann, Geschäftsführer der Firma IGOS aus Solingen, die die Sender mitentwickelt hat.
Dass auch die Medizin von dem Projekt profitieren kann, soll Wikelskis eigene Forschung zeigen. Der Biologe will in Afrika Flughunde, die in riesigen Schwärmen über den Kontinent ziehen, mit Sendern versehen. Die Tiere kommen nach Meinung vieler Forscher mit dem Erreger des Ebolavirus in Kontakt und tragen deswegen Antikörper. Im Fall einer Epidemie könnte man, so hoffen die Wissenschaftler, anhand der Wanderungsbewegungen der Tiere ermitteln, wo der jeweilige Erreger herstammt – und so die bislang unbekannten Ebolareservoire aufspüren.
Forscher weltweit interessieren sich für Icarus. „Wir haben Tausende Anfragen“, sagt Müller. „Aber zunächst haben deutsche und russische Projekte Priorität.“