VW-Prozess: Erster Dämpfer für Kläger
Gericht verhandelt Milliardenklage von VW-Aktionären
(dpa) - Schon der Auftakt des Musterverfahrens von Anlegern zur VW-Dieselaffäre hat zu Diskussionen zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Klägerseite geführt. Die Ansprüche der Kläger bis Mitte 2012 könnten verjährt sein, sagte der Vorsitzende Richter Christian Jäde. Klägeranwalt Andreas Tilp geht dagegen davon aus, dass Volkswagen schon 2008 hätte zugeben müssen, die Technologie zur Dieselabgasreinigung nicht zu beherrschen.
(dpa) - Wer hat jetzt wirklich Grund zu jubeln – VW oder die Kläger im Anlegerverfahren rund um „Dieselgate“? Der Komplex ist gewaltig, nur einzelne Antworten zeichnen sich zum Prozessauftakt am Montag ab.
Christian Jäde ist nicht zu beneiden. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Braunschweig sitzt mehr als 50 Anwälten gegenüber und setzt sich mit ihnen darüber auseinander, was im VW-Dieselskandal alles passiert ist – und wann möglicherweise VW den Kapitalmarkt über den Betrug hätte informieren müssen . Zu fast jedem Punkt gibt es teils heiße Diskussionen mit Klägeranwalt Andreas Tilp.
Doch in einer Verhandlungspause macht Tilp, der die Musterklägerin Deka Investment in dem MammutVerfahren vertritt, nicht ohne Triumph klar: „Der Senat hat gesagt, VW hätte ab dem 10. Juli 2012 den Markt informieren müssen über die vorgenommene Manipulation der zweiten Motorengeneration.“Dabei geht es um Modelle in den USA und den Skandalmotor, dessen Abgasreinigung VW per Abschalteinrichtung manipuliert hat. Volkswagen sieht das anders: Das Gericht habe lediglich angeblichen Ansprüchen aus der Zeit vor dem 10. Juli 2012 eine Absage erteilt, diese seien verjährt, sagt VWAnwalt Markus Pfüller.
Doch worum geht es? VW-Investoren fordern im Musterverfahren Schadenersatz in Milliardenhöhe für erlittene Kursverluste nach Bekanntwerden des Dieselbetrugs. Die Richter müssen jetzt beurteilen, ob VW die eigenen Investoren rechtzeitig über die Affäre rund um millionenfachen Betrug mit manipulierten Dieselmotoren informiert hat.
Mit der Ende Februar eingereichten Klageerwiderung im Musterverfahren erklärt Volkswagen, es habe aus Konzernsicht keine konkreten Anhaltspunkte für eine Kursrelevanz der Affäre gegeben, bis die US-Umweltbehörden am 18. September 2015 unerwartet mit ihren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen. Tilp betont seinerseits, spätestens im Juni 2008 hätte Volkswagen zugeben müssen, die geltenden US-Stickoxidnormen nicht einhalten zu können.
Der Klägeranwalt hebt auch hervor: Das Gericht habe erklärt, dass die Beweislastumkehr zulasten von VW greife – das heißt, VW muss beweisen, dass dem Konzern nicht zur Last gelegt werden kann, wenn etwa leitende Angestellte unterhalb des Vorstands über den Betrug Bescheid wussten. Tilp betont, alle Ansprüche, die aus Käufen aus der Zeit nach Juli 2012 entstanden waren, seien nicht verjährt. „Die Tür ist offen ab dem 10. Juli 2012, und wir sind sehr zuversichtlich, dass es da Geld gibt.“
Durchbruch oder Dämpfer
Ist das ein Durchbruch für die klagenden Anleger, die insgesamt knapp neun Milliarden Euro an Schadenersatz geltend machen? Keineswegs, denn immer wieder gibt es Punkte, an denen Jäde es nach vorläufiger Beurteilung als fraglich ansieht, ob VW den Kapitalmarkt über den Dieselbetrug hätte informieren müssen. Und: Insgesamt gibt es in dem Verfahren 193 Feststellungsziele. Alle müssen geklärt werden – bislang hat das Oberlandesgericht dafür 13 Verhandlungstage angesetzt. Ob das reichen wird, ist fraglich. Doch was war eigentlich passiert? Unmittelbar nach Aufdeckung des Skandals durch die US-Behörden Ende September 2015 brach der Kurs der VW-Aktie ein – zeitweise verloren die Vorzugspapiere des Konzerns fast die Hälfte ihres Werts. Anleger erlitten heftige Verluste. Helfen soll das sogenannte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – dabei werden zentrale Fragen vorab von der nächsthöheren Instanz, in diesem Fall dem Oberlandesgericht, entschieden. Liegt der Musterentscheid vor, ist er für die Gerichte in allen Verfahren bindend.
Klägeranwalt optimistisch
Aus Tilps Sicht hat der Senat wichtige Pflöcke eingeschlagen. Er habe noch nie ein Musterverfahren erlebt, bei dem ein Senat sich „aus unserer Sicht schon verhalten optimistisch, aber klar positioniert hat“. Viel hängt von der Frage der Verjährung ab – doch da könnte VW möglicherweise zumindest verhalten jubeln: Denn die Ansprüche der Kläger bis zum Zeitpunkt Mitte 2012 könnten verjährt sein, sagt Jäde.
Aktionärsschützer fordern derweil, Manager künftig persönlich haften zu lassen, wenn sie Informationspflichten verletzen. „Die Politik sollte den Fall VW zum Anlass nehmen, Aktionären einen direkten juristischen Durchgriff auf verantwortliche Manager zu geben, statt sie dazu zu zwingen, gegen ihr eigenes Unternehmen zu klagen“, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).