Bundesarbeitsgericht beschränkt Spielraum der Kirchen
Nach dem Europäischen Gerichtshof stärken auch Deutschlands oberste Richter konfessionslosen Bewerbern den Rücken
(dpa) - Die Kirchen sind große Arbeitgeber: Allein die Diakonie beschäftigt mehr als 525 000 Menschen, bei der Caritas sind es 620 000. Ihre Freiheit, besondere Anforderungen an ihre Mitarbeiter zu stellen, wurde am Donnerstag vom Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt beschnitten. Fragen und Antworten zum Urteil:
Worin liegt die besondere Bedeutung des Falls?
Das BAG verhandelte darüber, ob eine Sozialpädagogin aus Berlin diskriminiert wurde, weil sie als Konfessionslose nicht zu einem Einstellungsgespräch für einen Job der Diakonie eingeladen wurde. Abzuwägen war einerseits das vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei ihren Angelegenheiten – auch als Arbeitgeber. Auf der anderen Seite steht das Diskriminierungsverbot, das für Religionszugehörigkeit, aber auch Alter oder Geschlecht gilt. Und es war die erste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum kirchlichen Arbeitsrecht im April 2018. Die Herausforderung für die Richter bestand nach Meinung des Bonner Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing darin, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kirchen mit der des Europäischen Gerichtshofs in Einklang zu bringen.
Warum hat sich die Berlinerin bis in die höchste Instanz geklagt?
Die Frau hatte sich 2012 auf eine von der Diakonie ausgeschriebene Referentenstelle beworben. Kandidaten sollten kirchlich gebunden sein. Sie machte in ihrer Bewerbung keine Angaben zur Konfession. Es gab 38 Bewerber für die Stelle, vier wurden zum Gespräch eingeladen. Sie nicht. Die Sozialpädagogin sah sich wegen ihrer Konfessionslosigkeit diskriminiert und klagte sich seit 2013 mit der Forderung auf eine Entschädigung von rund 9800 Euro durch die Instanzen.
Was entschied das Bundesarbeitsgericht nun?
Es fällte ein Grundsatzurteil, das den Sonderstatus der Kirchen im Arbeitsrecht enger fasst als bisher. Die Richter schränkten die Freiheit der Kirchen ein, besondere Anforderungen an ihre Mitarbeiter bei der Religionszugehörigkeit zu stellen. Es sei nur dann zulässig, eine bestimmte Religionszugehörigkeit bei Einstellungen zur Bedingung zu machen, wenn das für die konkrete Tätigkeit objektiv geboten ist. Dies zu überprüfen obliege den Gerichten. Im Fall der Klägerin stellten die Richter eine Diskriminierung fest, ihr wurden zwei Bruttomonatsverdienste – etwa 4000 Euro – als Entschädigung zugesprochen.
Warum hat sich auch der Europäische Gerichtshof mit dem deutschen Fall beschäftigt?
Das Bundesarbeitsgericht, bei dem die Klage 2016 landete, rief den EuGH an. Es wollte von den Richtern in Luxemburg klären lassen, ob kirchliche Arbeitgeber die Konfession von Bewerbern als Einstellungskriterium festlegen dürfen – und ob diese Praxis vereinbar mit EU-Recht ist, insbesondere mit der Antidiskriminierungsrichtlinie. Die Entscheidung aus Luxemburg stärkte die Rechte konfessionsloser Bewerber bei kirchlichen Arbeitgebern und lieferte quasi eine Orientierung für das Urteil der Bundesarbeitsrichter.
Ist das Urteil für viele Menschen von Bedeutung?
Die Kirchen sind große Arbeitgeber in Deutschland. Jährlich werden Tausende Stellen allein bei der Diakonie neu besetzt, unter anderem Mitarbeiter in Kitas, in Altenheimen oder Krankenhäusern.