Am schönsten Ende der Welt
In Samaná im Nordosten der Dominikanischen Republik ist der Massentourismus noch nicht angekommen
Die Wintersonne beschließt, allmählich unterzugehen in der Bucht von Samaná. Sie hat ihr Tagwerk getan: Sie hat Mangrovenwälder bestrahlt und Mangos reifen lassen, Touristen bespaßt und schwitzende Kokusnussbauern bei 30 Grad im Schatten zum Fluchen gebracht. Wäre die Welt ein 80er-JahreWerbespot, jener vielleicht, den sie hier am Cayo Levantado einst für Bacardi drehten, man würde nun beobachten, wie diverse markante Männer mit Dreitagebart ein blitzblankes Bötchen vertauen, wie sich diverse Modelgroupies mit halbnassen Haaren Rum trinkend unter Palmen räkeln. Und wären wir im Europa von 2018, Hunderte junge Menschen würden sich in diesem Moment zum Selfie ins Gegenlicht stellen oder mit Spritzwasser durch Handybilder hüpfen. Und relativ sicher würde jemand versuchen, mit Gangsta-Rap oder Helene Fischer den Abend auf der Bacardi-Insel noch erfreulicher zu gestalten.
Aber wir sind an einem Strand am Ende der Welt, im vom Massentourismus noch unbelästigten Nordosten der Dominikanischen Republik. Und da ist nur Martin, ein Hotelangestellter, der T-Shirts verkauft. Martin hatte einen harten Tag, in einer Stunde wird er mit der letzten Fähre wieder zurück aufs Festland fahren. Aber nun will er noch chillen und träumen, sehen, dass alles gut ist, das Leben, die Natur. Und das kann man hier wie vielleicht nirgendwo sonst. Der Strand am Ende der Isla Bacardi ist sehr besonders, er ist geriffelt und steigt zur Mitte leicht an, so dass die ankommenden Wellen sich von links und rechts vereinigen und alle paar Sekunden ein neues Kunstwerk für die Augen kreieren. Mal formen sie ein Blatt, mal ein Herz, mal krümmen sie sich mit Verve zu einem konkaven Dreieck, ehe sie wieder zehn Meter zurückfließen, um sich die nächste kristallklare Romantik zu überlegen. Man traut sich kaum, mit den Zehen in die Figuren einzutauchen.
Wale, Pelikane, Wasserfälle
Martin hat sich entfernt, er steht 30 Meter weiter links, raucht eine Zigarette und sieht glücklich aus. Er weiß, die schönen Dinge im Leben kann man nur alleine genießen. Schweigend. Andächtig. Ehrfürchtig. Nach 20 Minuten ruft er laut und zeigt aufs Meer. Junge Einheimische rudern vorbei, im Drachenboot. Von Ende Januar bis März werden sie wieder den Walen Platz machen müssen, die hier im seichten Wasser ihren Nachwuchs zur Welt bringen – und zur zweiten Touristenattraktion werden neben dem türkisblauen Wasser und seinen schneeweißen Ufern.
Wer in den Süden der Dominikanischen Republik reist, zur Puntacana, der weiß, was er bekommt – passable Strände, gute All-inclusive-Hotels und Gesellschaft aus aller Herren Länder – Millionen Gleichgesinnte reisen Jahr für Jahr ins touristische Zentrum der Karibik. In den unberührten, immergrünen Nordosten, in die Region Samaná, die drei Stunden östlich vom aufgeregt-heißblütigen Puerto Plata liegt, verirren sich nur wenige. Doch die, die es tun, bereuen es selten. Das mondäne FünfsterneHotel Luxury Bahia Principe, das die Bacardi-Insel quasi in Besitz genommen hat, betörende Ausblicke von den Zimmern liefert und keinen Wunsch offen lässt – nächtlichen Heimkehrern wird auf Wunsch just in time ein Bad mit Rosenblättern eingelassen – ist der ideale Ausgangspunkt für zahlreiche Exkursionen, etwa einen Motorboottrip zum 208 Quadratkilometer großen Nationalpark Los Haitises. Allein die – zuweilen vogelwilde Fahrt – durch zahllose Wasserarme und Sumpfgebiete des Flussmündungsgebiets lohnt. Sie werden von Mogotes gesäumt, steil aus dem Wasser ragenden Karstkuppen aus Korallenkalk, auf denen sich riesige Fregattvögel, Blaureiher, Sittiche oder blaue Pelikane niederlassen. Und in der Cueve da La Linea, einer Höhle, in der die Taino, die Ureinwohner, erstaunlich gut erhaltene Felszeichnungen ritzten, kommen auch Anthroposophen, Freunde von Voodoo-Legenden und Liebhaber eines kurzzeitig kühleren Klimas auf ihre Kosten.
Die größte Spaßstätte Samanás ist ebenfalls in Reichweite der BacardiInsel: der Wasserfall von Limon. Aus 52 Metern strömt das Wasser kaskadenförmig in feinsten Fäden in ein hellgrünes, weitläufiges Becken, in dem man herrlich plantschen kann. Bereits der einstündige Fußmarsch durch dichten Tropenwald, den Fluss Limon und offenes Hügelland ist ein Genuss für die Sinne – wer auf Maultieren daherreitet, wie zahllose Kleinstunternehmer am Straßenrand dringend raten, ist selbst ein Esel.
Ob der Limon zu den zehn großartigsten Wasserfällen der Welt zählt? Womöglich gibt es noch schönere. Die Playa Rincón bei Las Galeras, dem letzten Ort der Halbinsel von Samaná, den man nach 30 Kilometern langer Küstenfahrt entlang von Palmenwäldern erreicht, wird dem Ranking diverser Reiseführer allerdings gerecht. Der Strand gehöre zu den zehn schönsten der Welt, sagt man, und den Superlativ hat er schon deshalb verdient, weil er auch zu den zehn einsamsten zählen dürfte. Drei Kilometer lang entfaltet sich ein glasklares, dunkelblaues Atlantikpanorama, dahinter thronen die Berge des Cabo Cabrón, auf den Hügel ganz am Rand hat die Sängerin Shakira ihre Traumvilla stellen lassen. Kneipen oder Strandverkäufer gibt es hier keine – wer Durst hat, muss selbst eine Kokosnuss pflücken.
Südfrüchte und Glücksspiel
Und wer doch mal Lust hat auf ein wenig Trubel, dem sei Las Tarrenas empfohlen, ein durch haitianische Flüchtlinge und Einwanderer französisch angehauchtes Städchen mit einem Markt, der ungefähr jede real existierende Südfrucht und Gemüsesorte der Tropen anbietet – und vor dem Händlerinnen Fruchtteppiche aus Kochbananen, Maniokwurzeln, Avocados und Süßkartoffeln anpreisen. Man sieht in Las Tarrenas auch die typischen karibischen Bodegas, die wuselnden Motorradtaxis, deren Fahrer sich einen feuchten Kehricht um die Helmpflicht scheren, Hunderte von Schulkindern in blauen Hemdchen, die berühmten Colmados (Tante-Emma-Läden) und die allgegenwärtigen Bancas, die Lotterieshops – unfassbare 3,5 Milliarden Euro im Jahr geben die Dominikaner für Glücksspiel und Sportwetten aus.
„Sie spielen eigentlich immer – wenn sie nicht gerade Merengue oder Bachata tanzen“, sagt Frank, unser Guide, und fügt an: „Hier in Samaná arbeiten die Menschen, um zu leben. Nicht umgekehrt.“Und sie haben die Natur, die sie immer daran erinnert, dieses Leben zu ehren.