Heia Safari!
Wilhelm Kuhnert und seine Tierbilder aus der Kolonialzeit Ostafrikas in der Frankfurter Kunsthalle Schirn
FRANKFURT - Eine Safari kann man sich sparen, so effektvoll, wie die Frankfurter Schirn zur Zeit das afrikanische Großwild in Szene setzt. Im zentralen Saal der Kunsthalle steht man Kaffernbüffel, Elefant und Löwe fast wie in der Steppe gegenüber. Der Tiermaler Wilhelm Kuhnert hat vor dem Ersten Weltkrieg die Kolonie Deutsch-Ostafrika bereist. Seine Großformate stellen die Tiere so dar, wie sie auch Aufnahmen zeigen, die Afrika-Urlauber heute von ihrer Fotopirsch im Geländewagen mit nach Hause bringen.
Wilhelm Kuhnert (1865-1926) startete als Illustrator für den Verleger Hans Meyer („Brehms Tierleben“). Der ermunterte ihn auch, nach Afrika zu reisen. Philipp Demandt – der Museumsdirektor hat selber kuratiert – lobt den Maler, dass er die Tiere nicht nur anatomisch präzise, sondern verhaltenstypisch in ihrer Umwelt erfasst. Die Ausstellung bietet noch eine weitere Erklärung dazu an. Es könnte sein, dass die Präsenz der Kuhnert-Bilder nicht nur von der Aufmerksamkeit des Malers herrührt. Sie könnte ein Effekt der Wirkmächtigkeit der Bilder selber sein. Denn sie sind mit den auflagenstarken Büchern, und dann noch als Sammelbilder von Stollwerck-Schokolade, populär und prägend geworden. Unser touristisches Auge, so die These, schaut also heute noch durch Kuhnerts Brille auf Afrika.
Die Ausstellung erprobt die These an den Löwen, Kuhnerts Lieblingssujet (daher der Ausstellungstitel „König der Tiere“). Er zeigt sie im Porträt, als Rudel, als Paar, wenn Herr und Frau Löwe gemeinsam ins Weite schauen. Auf einem Bild befinden sich, so der Titel, die „Löwen beim Mahl“. Ferner gibt es Kinderszenen: die Löwin mit zwei Kleinen im hohen Gras versteckt, artgemäß ohne Papa. Die Anmerkung, Kuhnert spiegele die kaiserzeitliche Vorstellung der behüteten bürgerlichen Familie an Afrikas wilder Tierwelt, läuft am Beispiel des Mutter-mitKind-Motivs freilich aus der Spur. Es würde bedeuten, dass die patriarchalische Kaiserzeit die Alleinerziehende zum Leitbild erhoben hätte.
Der Maji-Maji-Aufstand
Der zweite Ausstellungsteil bringt den kaiserzeitlich-kolonialen Kontext ins Spiel – im kleineren Format, aber unverblümt. Es ist das Bild der Schlacht von Mahenge, die in die Zeit des Maji-Maji-Aufstands (1905-1907) fällt. Dies war eine Erhebung gegen die deutsche Kolonialherrschaft (1880-1914). Diese war in Ostafrika damals nicht fest verankert, eher punktuell. So hatte sich Kuhnert während des Aufstands in die Militärstation Mahenge geflüchtet, dem größten deutschen Vorposten unter Leitung von Hauptmann Theodor von Hassel (dem Vater des Bundesministers Kai Uwe von Hassel der 1960er-Jahre). Sein Kommando beschränkte sich auf ein halbes Dutzend deutscher Soldaten und 60 Angehörige der afrikanischen Hilfstruppe. Die Angreifer waren in überwältigender Überzahl, aber im Vertrauen auf einen Magier des Maji-Kultes simpel ausgerüstet. Er hatte ihnen bei Einnahme eines Hirsewassers Unbesiegbarkeit und Schutz vor Kugeln versprochen. Die Station war mit zwei Maschinengewehren bewaffnet.
Das Ergebnis entsprach der Konstellation. Am ersten Tag brachen die Krieger den Angriff ab, als sie feststellten, dass ihre Magie wirkungslos blieb. Beim Angriff am nächsten Tag, dem 31. August 1905, nahm Kuhnert als versierter Jäger aktiv an der Abwehr der anstürmenden Krieger teil.
Der koloniale Kontext macht zudem verständlich, warum Kuhnerts Arbeiten auf internationalen Auktionen hohe Preise erzielen, während der Maler in Deutschland kaum noch bekannt ist. Seine Bilder werden meist mit Jagdtrophäen arrangiert, wie er das auch selber in seiner Berliner Wohnung am Zoo tat. Heute leben Sammler, die eine Vorliebe zu Kunst und Großkaliber zu vereinen wissen, gern in England, den Golfstaaten und den USA. Wie auch der ranghöchste Nimrod im Afrika jener Jahre der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt war.
Angesichts der Jubiläumstermine zum Ende von Krieg und Kaiserzeit bietet die Ausstellung ein interessantes Detail. Kuhnerts Bilder wurden auch für den Schulunterricht genutzt, für große Kartenrollen, deren Absturz vom Ständer im vordigitalen Zeitalter Höhepunkte des ErdkundeUnterrichts waren. Die Ausstellung zeigt eine solche Karte, die der Jugend das Leben in den Kolonien nahebringen sollte. Produziert wurde sie im Oktober 1918. Da war sozusagen das Fell des Löwen schon verteilt.