Atemlos durch die Nacht
Wer hätte gedacht, dass der November so heiß wird? Bei uns in der Redaktion gibt es seit Wochen kein anderes Thema mehr als das WM-Duell zwischen Schachweltmeister Magnus Carlsen und seinem Herausforderer Fabiano Caruana. Vor dem Newsdesk haben wir ein vier mal vier Meter großes Spielfeld aufgebaut, auf dem wir die Partien der beiden Großdenker nachstellen. Es wird zunehmend schwieriger, unser Blatt zu füllen: Viele Kollegen erscheinen mit dicken Augenringen zur Morgenkonferenz, weil sie wieder bis in die Puppen mit Damen, Türmen und Bauern hantiert haben.
Zehnmal haben sich die Großmeister beharkt, auf dem Brett ging es drunter und drüber, aber die atemlose Spannung in London löst sich einfach nicht auf. Fünf zu fünf, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Zehn Remis in Folge, Weltrekord! Zum Fußball pilgern sie zu Zigtausenden, weil sie nicht wissen, wie’s ausgeht – wegen lächerlicher 90 Minuten. Beim Schach hat man auch nach 40 Stunden noch keinen Schimmer, wie’s ausgeht oder ob es überhaupt mal vorbei sein wird. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen sich was überlegt haben, das normale Leben muss ja irgendwann wieder weitergehen.
Schach wird unterschätzt, eindeutig. Springer und Rochaden kennen wir aus dem Büroalltag, aber Damentausch, das gibt’s sonst nur bei RTL. Außerdem ist Schach gefährlicher als das Dschungelcamp: Wegen einer Augenverletzung verspielte Carlsen in Match neun einen Vorteil durch einen überhastet gespielten Bauern. Wahnsinn! (hü)