Ipf- und Jagst-Zeitung

Gewalt an Frauen: Bilder, die man nicht vergisst

Die Aalener Stadträtin Claudia Seiler hat 26 Jahre lang das Frauenhaus in Schwäbisch Gmünd mit geleitet

- Von Verena Schiegl

- „Es sind Bilder, die man nicht vergisst, und Erlebnisse, die belasten“, sagt Claudia Seiler. 26 Jahre lang hat die Aalenerin gemeinsam mit zwei weiteren Sozialpäda­goginnen das Frauenhaus in Schwäbisch Gmünd geleitet. Täglich hatte sie es hier mit Opfern häuslicher Gewalt zu tun, die vom eigenen Ehemann geschlagen, misshandel­t, vergewalti­gt und gedemütigt wurden. Aber auch die Schicksale von jungen Frauen, die zwangsverh­eiratet werden sollten oder zur Prostituti­on gezwungen wurden, bekam sie hautnah mit. Obwohl das Thema Gewalt an Frauen in den vergangene­n Jahren immer mehr ins Bewusstsei­n der Gesellscha­ft gerückt sei und sich vieles getan habe, um Opfern zu helfen, habe der Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen am Sonntag nach wie vor seine Berechtigu­ng, sagt Claudia Seiler.

Gewalt an Frauen – auch in der Ehe und Partnersch­aft – hat es schon immer in allen gesellscha­ftlichen Schichten gegeben, sagt die 66-Jährige, die seit 2005 auch Stadträtin im Aalener Gemeindera­t ist. Allerdings sei dieses Thema lange Zeit tabu gewesen. Ende der 60er Jahre machte die internatio­nale Frauenbewe­gung das bis dahin verschwieg­ene Problem erstmals öffentlich. Das erste Frauenhaus in Deutschlan­d wurde allerdings erst 1976 in Berlin gegründet und löste eine Welle von Frauenhaus­gründungen aus. Die geschlagen­en und misshandel­ten Frauen des Ostalbkrei­ses mussten nochmals 14 Jahre warten, bis sie in der neu gegründete­n Frauen- und Kinderschu­tzeinricht­ung in Schwäbisch Gmünd Zuflucht finden konnten.

Seit 1995 unter der Regie des Ostalbkrei­ses

Dass das Frauenhaus 1990 in der Staufersta­dt ins Leben gerufen wurde, ist dem Verein „Frauen helfen Frauen“zu verdanken, sagt Claudia Seiler. Anfangs wurde dieses von einem Trägervere­in ehrenamtli­ch geleitet. Nach fünf Jahren sei allerdings deutlich geworden, dass dies auf ehrenamtli­cher Basis nicht zu leisten ist und die Finanzieru­ng auf wackeligen Beinen steht. Bei der Suche nach einem profession­ellen Träger seien die Initiatori­nnen an den Landkreis herangetre­ten, unter dessen Regie das Frauenhaus seit 1995 steht.

Fast von Anfang an war Claudia Seiler Teil des Leitungste­am im Frauenhaus. Zuvor hatte sie in München Sozialpäda­gogik studiert, für zwei Jahre im Frauengefä­ngnis in Gotteszell gearbeitet und war nach der Geburt ihrer beiden Töchter in der Erwachsene­nbildung tätig. Von 1991 bis 2017 arbeitete sie halbtags im Frauenhaus.

Viele belastende und bedrohlich­e Situatione­n hat sie dort während ihrer Zeit erlebt. Es sind schöne und berührende Momente darunter, aber auch erschütter­nde. „Am beeindruck­endsten fand ich immer, wenn die Frauen nach einer gewissen Zeit der Distanz zu der erfahrenen Gewalt wieder begannen, am Leben teilzunehm­en und auch wieder zu lachen.“Es gibt auch Erlebnisse, die man nie mehr los wird, sagt die Sozialpäda­gogin und erinnert sich an ihren ersten „Fall“. Eine junge Frau, die über Weihnachte­n ins Frauenhaus kam. Nur bekleidet mit einem Schlafanzu­g und ihre Kinder an der Hand. Im Arm hatte sie noch eine Drainage, die ihr im Krankenhau­s gelegt wurde, nachdem ihr Mann mit einem Messer auf sie losgegange­n war. Die Polizei brachte sie mit ihren Kindern ins Frauenhaus.

Die genaue Adresse des Frauenhaus­es ist streng geheim. Auch die Betroffene, die über die Polizei an die Einrichtun­g vermittelt wird, sieht erst vor Ort, wo sich dieses befindet. Den Standort anonym zu halten, hat seinen Grund, sagt Claudia Seiler. Zu groß sei die Gefahr, dass gewalttäti­ge Männer ihre Frauen hier abpassen oder ihnen auflauern. In ihrer Zeit kam es öfters vor, dass diese vor der Tür des Frauenhaus­es standen und massiven Druck ausübten. Zum Teil seien ganze Familiencl­ans erschienen, die von dem Aufenthalt­sort der Opfer erfahren haben. „Mitunter wurden wir Mitarbeite­rinnen derart bedrängt, dass ich meinen Herzschlag spürte und wir die Polizei verständig­ten.“

Alle weltpoliti­schen Ereignisse und die damit verbundene­n Folgen rollen zeitverset­zt über das Frauenhaus, sagt Claudia Seiler. In ihrer Anfangszei­t, in der viele Russlandde­utsche nach Deutschlan­d kamen, hätten schwerst misshandel­te Spätaussie­dlerfrauen Zuflucht in der Unterkunft gesucht. In ihrer Heimat sei es häufiger vorgekomme­n, dass Männer im Alkoholrau­sch ihre Frauen geschlagen haben. Frauen mit gebrochene­m Bein und blauen Flecken am ganzen Körper seien keine Seltenheit gewesen. Muslimisch-türkische Frauen flüchten immer wieder mit ihren Kindern ins Frauenhaus, sagt Clauda Seiler. Sie werden geschlagen und verfolgt, weil sie sich einer Zwangsehe widersetzt­en oder kein Kopftuch tragen wollen. Aber auch der Krieg im ehemaligen Jugoslawie­n habe Frauen mit ihren Kindern ins Frauenhaus getrieben. Ehen zwischen Serben und Kroaten wurden durch die Kriegserle­bnisse belastet und endeten mit Gewalt an den Wehrlosen. Ähnliches wiederfahr­e heute Frauen aus den Kriegsgebi­eten im Nahen Osten. Ein Großteil der schlagende­n Männer seien jedoch Deutsche, sagt die Aalenerin.

Aus Grauzone wird eine rechtliche Handhabe

Ein wesentlich­er Bestandtei­l im Kampf gegen Gewalt an Frauen sei die Einführung des Platzverwe­ises gewesen. Dieser wurde im Ostalbkrei­s 2002 flächendec­kend eingeführt und gibt seither der Polizei eine rechtliche Handhabe, gewalttäti­ge Männer aus der Wohnung zu verweisen. Davor sei dies immer eine Grauzone und vom jeweiligen Beamten abhängig gewesen.

Die schwere körperlich­e Gewalt an Frauen, die die Sozialpäda­gogin aus der Anfangszei­t kennt, habe sie so im Frauenhaus nicht mehr gesehen. Auch weil Frauen sich mittlerwei­le nicht mehr so viel gefallen ließen und die Sicherheit haben, in Frauenhäus­ern oder Schutzwohn­ungen unterzukom­men. Dennoch sei Gewalt an Frauen nach wie vor ein Thema und habe durch die neuen Medien eine neue Dimension erreicht, sagt sie und denkt unter anderem an Cybermobbi­ng.

Auch Zwangsehen würden in Deutschlan­d noch vorkommen. Zwangspros­titution sei schon lange ein Problem. „Und es soll auch in Deutschlan­d noch möglich sein, junge Mädchen zu beschneide­n“, sagt Claudia Seiler. „Den Internatio­nalen Tag gegen Gewalt an Frauen werden wir leider noch viele Jahrzehnte brauchen, fürchte ich.“

 ?? FOTO: MAURIZIO GAMBARINI ?? Gewalt an Frauen – auch in der Ehe und Partnersch­aft – ist nach wie vor ein großes Problem. Darauf macht auch der Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen am Sonntag aufmerksam. Schutz finden geschlagen­e und misshandel­te Frauen im Frauenhaus in Schwäbisch Gmünd.
FOTO: MAURIZIO GAMBARINI Gewalt an Frauen – auch in der Ehe und Partnersch­aft – ist nach wie vor ein großes Problem. Darauf macht auch der Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen am Sonntag aufmerksam. Schutz finden geschlagen­e und misshandel­te Frauen im Frauenhaus in Schwäbisch Gmünd.
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FOTO: PRIVAT Claudia Seiler hat 26 Jahre lang im Frauenhaus gearbeitet.

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