Tiefe Kratzer im Image
Das saubere Image der Medizintechnik hat in den vergangenen Tagen tiefe Kratzer bekommen. Auslöser sind massive Vorwürfe gegen die Branche, gegen Kliniken und Ärzte. Sie sollen fehlerhafte Implantate auf den Markt gebracht und in den menschlichen Körper eingesetzt haben und für zahlreiche Verletzungen und Todesfälle bei Patienten verantwortlich sein.
Der öffentliche Widerhall und die schmallippigen Reaktionen der Medizintechnikbranche lassen darauf schließen, dass das Recherchenetzwerk mit den „Implant Files“in ein Wespennest gestoßen hat. Am Pranger steht ein Überwachungssystem, das nicht richtig funktioniert. Wie sonst ist zu erklären, dass immer wieder Implantate in Menschen eingesetzt werden, die absolut unzureichend getestet worden sind.
Ein Blick hinter die Kulissen dieses Überwachungssystems offenbart seine Schwächen. Es offenbart ein System, das Interessenkonflikte ermöglicht: Die Hersteller wenden sich an eine Prüfstelle ihrer Wahl, reichen Unterlagen ein, bezahlen für die Zertifizierung und können dann ihr neues Medizinprodukt verkaufen. Neun von zehn Implantaten werden so in Patienten eingesetzt, ohne dass sie zuvor in klinischen Studien getestet wurden.
Mit der neuen Medizinprodukteverordnung, die ab Mai 2020 ihre volle Wirkung entfaltet, soll dieses System zumindest eingegrenzt werden. So soll es mehr klinische Studien geben. Die Branche aber läuft gegen die Verordnung Sturm. Unbestritten ist, dass das Regelwerk vor allem kleineren Firmen vor erhebliche Herausforderungen stellt und bei vielen Produktklassen über das Ziel hinausschießt.
Doch bei Hochrisikoprodukten, bei Implantaten, darf es keine Kompromisse geben. Wer eine höhere Patientensicherheit erreichen will, muss größeren Aufwand treiben. Und wenn es um Menschenleben geht, dürfen wirtschaftliche Kriterien keine Rolle spielen. Die gesamte Branche wird nicht umhinkommen, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und mitzuhelfen, die Unzulänglichkeiten des Systems abzustellen.