Zahl junger Musiker auf dem Land sinkt
Begabtenförderung in Städten ausgeprägter als in ländlichen Gebieten, kritisieren Experten
(kab) - Immer weniger junge Menschen beteiligen sich an den regionalen Wettbewerben von „Jugend musiziert“. Während sich in den städtischen Gebieten seit 2012 kaum etwas verändert habe, sei der Rückgang auf dem Land spürbar – das erklärt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) auf eine Anfrage des Wangener CDU-Abgeordneten Raimund Haser, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Experten erklären dies mit mangelnder Begabtenförderung junger Talente auf dem Land.
- Kein anderes Land bringt jährlich so viele Preisträger beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“hervor wie Baden-Württemberg. Doch immer weniger begabte Jungmusiker kommen aus dem ländlichen Raum. Das zeigen aktuelle Zahlen, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen. Experten sprechen von „Bildungsungerechtigkeit“bei der Förderung junger Talente in ländlichen Gebieten – und fordern vom Land mehr Anstrengungen.
Jungmusiker aus Baden-Württemberg brillieren regelmäßig bei „Jugend musiziert“– auch 2018 kam ein Viertel aller Preisträger aus dem Südwesten. Bevor sie am Bundeswettbewerb teilnehmen dürfen, müssen sich die Jugendlichen bei Regionalwettbewerben und beim Landeswettbewerb beweisen. Auf Anfrage des Wangener CDU-Abgeordneten Raimund Haser erklärt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), dass die Teilnehmerzahlen an den 23 Regionalwettbewerben seit sechs Jahren sinken.
Die Regionalwettbewerbe sind nach Instrumenten in drei Kategorien aufgeteilt. In jeder Kategorie messen sich die Musiker alle drei Jahre. Die Teilnehmerzahlen haben – mit einer einzigen Ausnahme – zwischen 2000 und 2012 in jeder Kategorie kontinuierlich zugenommen, danach gehen die Zahlen massiv zurück. Beispiel: 4000 Jugendliche spielten bei den Regionalwettbewerben im Jahr 2000 unter anderem mit ihrem Blasoder Zupfinstrument vor. 2012 waren es 5300, im vergangenen Jahr knapp 4600. Dabei gibt es laut Ministerium ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Bauer spricht von einer stabilen Teilnehmerzahl aus dem städtischen Bereich, doch die Teilnahme von Jungmusikern vom Land sei „in den letzten Jahren spürbar zurückgegangen“.
Landesmusikrat will G 9 zurück
Der Landesmusikrat, der den Wettbewerb auf Landesebene ausrichtet, sieht im achtjährigen Gymnasium einen Grund für den Rückgang. Präsident Hermann Wilske, der als Honorarprofessor an der Musikhochschule Trossingen tätig ist, spricht von einem „industriellen Verwertungsprozess“der Jugendlichen. Seine Forderung: Rückkehr zu G 9. Zudem sollten dringend mehr als die aktuell drei Prozent der Schüler beruflicher Gymnasien Musikunterricht haben. „Das finde ich skandalös, die gehen uns verloren“, beklagt Wilske. Klaus Weigele, Direktor der Landesakademie für die musizierende Jugend in Ochsenhausen, pflichtet Wilske bei. „Eine rückläufige Teilnehmerzahl ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren“, sagt Weigele. „Einer ist sicher die Verdichtung des schulischen Lebens und damit der Wegfall von Freizeit.“
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will das nicht gelten lassen. „Das achtjährige Gymnasium hat aus unserer Sicht der musikalischen Begeisterung und Vielfalt keinen Abbruch geleistet.“Zumal die Teilnehmerzahlen dann schon seit der Einführung von G 8 im Jahr 2004 hätten zurückgehen müssen. Auch Heinrich Korthöber vom Landesverband der Musikschulen bezweifelt die G-8Theorie, denn „das trifft ja auch den städtischen Raum“.
Landesakademie-Direktor Weigele sieht ein anderes Problem für talentierte Jugendliche auf dem Land: „Die Fördermöglichkeiten sind nicht so gut wie die in den Städten.“Als Beispiel nennt er Stuttgart: Dort hat ein Gymnasium eine Kooperation mit der Musikschule und der Musikhochschule vor Ort. „Das ist eine andere Ausgangssituation als die für Schüler in Wangen oder Leutkirch“, so Weigele. „Die haben die Exzellenzförderung einfach nicht vor Ort.“Der CDU-Abgeordnete Haser pocht darauf, dass Begabtenförderung auch auf dem Land möglich sein muss, etwa durch Kooperationen. „Die Lösung darf nicht heißen: Wenn du exzellente Musik machen willst, musst du nach Stuttgart oder Karlsruhe. Die Kinder sollen an ihrem Wohnort exzellent Musik machen können.“
Konzept scheitert am Geld
Dafür hat die Ochsenhausener Akademie gemeinsam mit der Musikhochschule Trossingen im Auftrag des Regierungspräsidiums Tübingen ein Konzept namens Comes erarbeitet, wie Weigele erklärt. Die Kernpunkte: Für jeden begabten Jungmusiker wird ein Jahresplan erstellt. Der Lehrer an der örtlichen Musikschule arbeitet mit dem Schüler an dem Plan – in Zusammenarbeit mit Hochschullehrern aus Trossingen oder mit Dozenten aus Ochsenhausen. Zudem kommt der Schüler zu Workshops mit den Hochschullehrern übers Wochenende in die Landesakademie nach Ochsenhausen.
Vor eineinhalb Jahren hat Weigele das Konzept im Kultusministerium vorgestellt – realisiert wurde es aus Kostengründen nicht, erklärt eine Sprecherin von Kultusministerin Eisenmann. „Jedoch wird sich das Kultusministerium dafür einsetzen, dass der Landeszuschuss für die Akademie in Ochsenhausen von derzeit 816 200 Euro ab dem Jahr 2020 auf 900 000 Euro jährlich erhöht werden soll“, sagt die Sprecherin.