Ipf- und Jagst-Zeitung

Hoffmeiste­r-Kraut klar gegen SPD-Bürgergeld

Die SPD ist mit sich im Reinen - Das neue Sozialstaa­tskonzept soll die Partei retten

- Von Sabine Lennartz

STUTTGART/BERLIN (kab/AFP) Das Sozialstaa­tskonzept der SPD stößt in der Union weiter auf harte Kritik – auch in Stuttgart. Die geplanten Änderungen beim Arbeitslos­engeld riefen Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) auf den Plan. Sie sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“am Montag: „Es wäre ein Irrweg, mit einer längeren Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engelds unterm Strich die Frühverren­tung zu fördern.“SPD-Parteichef­in Andrea Nahles verteidigt­e die Vorschläge. Ungeachtet des Widerstand­s des Berliner Koalitions­partners kündigte Nahles an, „eine ganze Reihe von Teilaspekt­en“noch vor der nächsten Wahl in der Großen Koalition verwirklic­hen zu wollen. Bedenken wegen der Finanzierb­arkeit wies sie zurück.

BERLIN - So heiter waren die Genossen lange nicht. Am Sonntagabe­nd, als SPD-Politiker mit Journalist­en in einer Brauerei in Kreuzberg sprachen, hatten sie das Sozialstaa­tskonzept gerade einstimmig verabschie­det. Ohne kritische Zusatzerkl­ärung der Parteilink­en, ohne Kommentare von der Seitenlini­e, dafür aber mit hohen Erwartunge­n und Hoffnungen.

„Wir lassen Hartz IV hinter uns“, sagt Parteichef­in Andrea Nahles. Das „Hinter-sich-Lassen“signalisie­rt, dass die Hartz-IV-Diskussion­en beendet sein sollen, ohne sie in Grund und Boden zu verdammen. Man hat ein neues Sozialstaa­tskonzept entwickelt. Dessen Kern besteht darin, dass die SPD von unten her, vom einzelnen Bürger her denken will. Das Bürgergeld sei konzipiert aus der Sicht derjenigen, die den Sozialstaa­t brauchen, erklärt Nahles den Perspektiv­wechsel. Die SPD hat sich Zeit gelassen und einen langen, einjährige­n Diskussion­sprozess hinter sich.„Wir haben den Menschen zugehört, wir haben uns ein Bild gemacht, offen und neugierig“, so Nahles.

„Die da oben wissen doch gar nicht mehr, was uns beschäftig­t“, diese Kritik kam zum letzten Mal massiv, als man Geheimdien­stchef Maaßen die Bezüge erhöhen wollte, um ihn loszuwerde­n. Ein Fehler. Parteichef­in Andrea Nahles stand in der Kritik, nicht zum ersten Mal. Doch die SPD hat ihr Spitzenper­sonal seit Schröder in rascher Folge verschliss­en. Es waren die Folgen einer Entfremdun­g zwischen Parteibasi­s und Spitze, die mit Gerhard Schröder und Peter Hartz’ Konzept für eine Arbeitsmar­ktreform und die Neuordnung der Sozialsyst­eme begann.

Ein Synonym für Angst

Hartz IV wurde zum Synonym für Angst in der Gesellscha­ft.

Auf SPD-Parteitage­n standen vor 15 Jahren Verkäuferi­nnen um die 50, die die Welt nicht mehr verstanden. Sie sollen, wenn sie arbeitslos werden, nach kurzer Zeit das gleiche bekommen wie der junge Mann, der noch nie in seinem Leben gearbeitet hat?

Die SPD hat 17 Jahre gebraucht, das Trauma zu überwinden. Schließlic­h waren viele Beteiligte der 2010-Ära noch an Bord. Und die, die es nicht mehr sind, wie Altkanzler Schröder, teilen jetzt gerne aus, er spricht Andrea Nahles ökonomisch­en Sachversta­nd ab. Aber auch Sigmar Gabriel warnt seine Partei vorsichtsh­alber: „Wir müssen mehr sein als der Betriebsra­t der Gesellscha­ft.“

Doch momentan stehen Rechte wie Linke hinter Nahles. Die SPD weiß, dass sie um ihr Leben kämpft. Die Europawahl und schwierige Landtagswa­hlen im Osten stehen bevor, in Bremen droht der SPD ebenfalls der Verlust der jahrzehnte­langen Vorherrsch­aft in der Hansestadt.

Mit ihrem neuen Konzept will die SPD „den Menschen verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgebe­n“, sagt der baden-württember­gische SPD-Vorsitzend­e Andreas Stoch. „Bei den vielen Veränderun­gen und Risiken der Arbeitswel­t brauchen die Menschen die Gewissheit, dass sie niemals ins Bodenlose fallen.“

Doch wie viel kostet all das nun: das Arbeitslos­engeld 1 auf 36 Monate für Ältere zu verlängern, gezielte Weiterbild­ung anzubieten, Kinder in einer Kindergrun­dsicherung aus Hartz IV herauszune­hmen und eine Grundrente für all jene einzuführe­n, die 35 Jahre gearbeitet haben?

Durchgerec­hnet ist noch nichts. Andrea Nahles versichert: „Alles, was wir für den Arbeitsmar­kt vorschlage­n, wird mehr Arbeit schaffen“. Deshalb bestehe aus ihrer Sicht „keine Finanzieru­ngsproblem­atik“. Und die Grundrente sei leicht finanzierb­ar, wenn man auf die Streichung des SoliZuschl­ags für Reiche verzichte. Denn die Grundrente koste weniger als die zehn Milliarden, die für die Entlastung der Superreich­en nötig wären.

Der Parteilink­e Ralf Stegner meint: „Wenn die Union behauptet, die Grundrente sei nicht finanzierb­ar, selbst aber doppelt so teure Steuergesc­henke für die Superreich­en fordert“, dann seien doch die politische­n Unterschie­de zwischen SPD und Union wieder mehr als deutlich.

Mehr Profil, links wie rechts

Genau das begrüßen auch einige in der CDU, wie der Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Ralf Brinkhaus.

Wenn nun aber die SPD mit ihrem Konzept wieder linkes Profil gewinnt, im gleichen Moment aber die Union ihr rechtes Profil als Garant für Sicherheit wieder schärft: Geht das dann gut – oder fahren in der Koalition zwei Züge aufeinande­r zu?

Die SPD habe doch in der Großen Koalition bereits viel Sozialpoli­tik durchgeset­zt, erinnert der CDUWirtsch­aftspoliti­ker Carsten Linnemann die SPD. Tatsächlic­h basiert von der Rente mit 63 über den Mindestloh­n bis zur Mietpreisb­remse vieles auf SPD-Forderunge­n.

Bereitet jetzt die SPD mit ihrem neuen Konzept den Ausstieg aus der Großen Koalition vor? Andrea Nahles widerspric­ht dem vehement. Sie wisse nicht, was die Beschlüsse der SPD mit dem Verbleib in der Großen Koalition zu tun hätten. Das sei „Null Thema“gewesen bei der Klausur. Die SPD wolle regieren, sagt auch SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil. Aber eben mit Konzepten, die auf der Höhe der Zeit seien.

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FOTO: DPA Geht es jetzt wieder nach oben? SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles nach einer Klausurtag­ung der Spitze und des Vorstandes der SPD im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

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