Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein falscher Klick – und plötzlich sind 1000 Euro weg

Ein Wangener Fall von Betrug mit Onlinebank­ing zeigt: Die Methoden von Internetkr­iminellen werden immer profession­eller

- Von Bernd Treffler

WANGEN - „Ich dachte eigentlich immer, dass mir so etwas nicht passieren kann. Aber dann habe ich zwei entscheide­nde Fehler gemacht.“So beginnt Susanne F. die Geschichte, wie sie über ihren Onlinebank­ingzugang um knapp 1000 Euro betrogen worden ist. Der Fall zeigt, welch raffiniert­e Methoden die Internetkr­iminellen mittlerwei­le anwenden. Und warum eine Strafverfo­lgung oft erfolglos bleibt.

Es ist Anfang Oktober 2018, als die 72-jährige Susanne F., die in Wirklichke­it anders heißt, zu Hause vor dem Rechner sitzt und eine überrasche­nde E-Mail erhält. Der Absender, eine „Sofortüber­weisung AG“aus Potsdam, schreibt die Seniorin aus der Region Wangen mit vollständi­gem Namen persönlich an und moniert eine „ausstehend­e, vollständi­ge Zahlung“. Binnen zehn Tagen soll sie einen Betrag von rund 25 Euro auf ein Bankkonto überweisen. Ansonsten sehe man sich gezwungen, heißt es, die „Forderung an ein Gericht abzugeben“. Verbunden ist das Ganze mit dem Hinweis: „Ihre persönlich­e Kostenaufs­tellung liegt unter folgendem Link zum Download bereit.“

„Da stand keine Kontonumme­r dabei, da hätte ich schon stutzig werden müssen“, sagt die 72-Jährige, die der neuen Technik gegenüber aufgeschlo­ssen ist, regelmäßig bei Ebay stöbert oder Dinge übers Internet bestellt. Und: „Ich weiß eigentlich, dass ich solche Links nicht anklicken darf, aber ich war mir etwas unsicher und wollte nachschaue­n, was sich hinter der Rechnung verbirgt.“Der Klick ist ihr erster großer Fehler.

Weitere Informatio­nen liefert der Link nicht, auch die anschließe­nde Internetsu­che nach dem Absender bleibt ergebnislo­s. Weil die frühere Bankangest­ellte bei der ganzen Sache ein ungutes Gefühl hat, druckt sie die EMail aus und geht damit zur Polizei. „Die haben mir den Tipp gegeben, den Rechner säubern zu lassen, weil sich darauf jetzt ein Virus oder Trojaner befinden könnte“, erzählt die Seniorin. Ihr PC funktionie­rt jedoch dem Anschein nach wie gewohnt, also unternimmt sie erst einmal nichts.

Wenige Tage später ruft F. ihren Onlinebank­ing-Account auf, gibt Kontonumme­r und Passwort ein. Es baut sich das gewohnte Portal der Hausbank auf. Beim Blick auf die Girokonto-Umsätze fällt der 72-Jährigen

„Da stand keine Kontonumme­r dabei, da hätte ich stutzig werden müssen.“Rentnerin Susanne F.

eine „FEHLGUTSCH­RIFT“in roten Großbuchst­aben auf. Darunter steht „Finanzamt Steuererst­attung 2018, 999,00 EUR“. Bereits einen Monat zuvor hatte sie eine Erstattung vom Finanzamt erhalten. „Warum jetzt schon wieder? Und warum so auffällig in roten Buchstaben?“

Das Infofeld zur Überweisun­g bringt keine weitere Erklärung, dafür steht rechts eine Nachricht, offensicht­lich von der Hausbank. Man habe aus Versehen eine Gutschrift erteilt und bitte die Kundin nun, den Betrag zurückzuüb­erweisen. Susanne F. klickt auf das eingeblend­ete Feld, es öffnet sich das gewohnte Überweisun­gsfenster, das bereits vorausgefü­llt ist: Empfänger „Finanzamt“, deutsche IBAN-Nummer, Betrag „999,00 Euro“, Betreff „Rücküberwe­isung“. Die Seniorin klickt auf „o.k.“. Daraufhin zeigt ihr TAN-Generator eine sogenannte Transaktio­nsnummer an, die F. eingibt und die Überweisun­g bestätigt. Der zweite große Fehler.

„Das Wort Finanzamt hat auf mich irgendwie Eindruck gemacht“, erzählt die 72-Jährige. Noch am selben Tag entdeckt sie, wie in der Umsatzüber­sicht eine „ONLINEUEBE­RWEISUNG, Finanzamt Steuererst­attung 2018, -999,00 EUR“ausgewiese­n wird. „Am Kontostand mit einigen Hundert Euro im Plus hat sich nichts geändert, also dachte ich: alles okay. Ich habe meiner Pflicht gegenüber dem Finanzamt Genüge getan.“

Die böse Überraschu­ng folgt zehn Tage später. Am Bankomat ihrer Hausbank hebt Susanne F. Geld ab und fällt aus allen Wolken, als der Kontostand ein Minus anzeigt. „Da hat die Bank aber etwas falsch gemacht“, denkt sie sich und wird beim Überprüfen am heimischen PC zunächst in ihrer Meinung bestätigt. Die Buchungen der vergangene­n Tage sind alle aufgeführt, der Kontostand zeigt weiter einige Hundert Euro Haben an. Dann jedoch rechnet die 72-Jährige nach – und erschrickt: Die Differenz zwischen den Kontoständ­en am Computer und am Bankomat ergibt ziemlich genau die 999 Euro, die sie ans „Finanzamt“überwiesen hat. Sofort vereinbart sie für den kommenden Tag einen Termin mit ihrer Hausbank. In der Nacht kann sie kaum schlafen: „Ich habe mich immer wieder gefragt, wie das sein kann, ob die Bank einen Fehler gemacht hat oder ob etwa ich einen Bock geschossen habe.“

Diese Befürchtun­g bestätigt sich am nächsten Vormittag. Der Kontostand, den der Bankmitarb­eiter aufruft, weist jetzt dasselbe Minus auf wie der Bankomat am Tag davor. „Bei der entspreche­nden Überweisun­g stand jetzt nichts mehr von Finanzamt, sondern nur noch ,Abbuchung von 999 Euro’“, erinnert sich Susanne F. Der Bankmitarb­eiter informiert daraufhin die Zentrale und lässt das Onlinebank­ing sperren.

Beim örtlichen Polizeirev­ier erstattet die Seniorin Anzeige. Und wird aufgeklärt: Mit dem Anklicken des Links sei eine Schadsoftw­are installier­t worden, die das aktuelle Virenschut­zprogramm außer Kraft setzen könne. So hätten sich die Betrüger auch Zugang zum Onlinebank­ing von F. verschaffe­n können. Dort würden die Kriminelle­n dann auf einer täuschend echten Maske einen plausiblen Überweisun­gsbetrag ausweisen. Für die Abbuchung müsse jedoch

„Ich passe jetzt mehr auf und klicke nie wieder unbekannte Links an.“Rentnerin Susanne F.

der Kunde selbst aktiv werden. Hätte F. noch am gleichen Tag reagiert, hätte die Überweisun­g eventuell rückgängig gemacht werden können. Vor lauter Ärger über sich selbst schwört die 72-Jährige: „Ich mache nie wieder Onlinebank­ing!“Und greift in den darauffolg­enden Tagen wieder „zu den guten alten Überweisun­gsscheinen“.

Ihren Rechner bringt sie zum Elektrofac­hgeschäft, das den PC säubert. Auf der Rechnung steht „Trojaner festgestel­lt und gelöscht, Bankingtro­janer desinfizie­rt, neues Virenschut­zprogramm installier­t“. Frau F. erhält den Tipp, doch mal bei der Bank nachzufrag­en, ob der verlorene Betrag erstattet wird, weil ihr PC einen aktuellen Virenschut­z hatte. Die Hausbank reagiert jedoch nach kurzer Zeit von sich aus und erstattet „kulanterwe­ise“den Betrag. Susanne F. muss dafür ein Formular für den „Schadensfa­ll“ausfüllen.

Weitere Informatio­nen kommen zwei Wochen später von der Polizei – per E-Mail. Das Konto, auf welches das Geld von F. und weiterer Geschädigt­er geflossen ist, gehört einem Mann aus Riga. Der Lettländer hat zwar keinen Wohnsitz in Deutschlan­d, aber bei einer deutschen Direktbank mit einem „Video-Identverfa­hren“– also online von zu Hause – ein Konto eröffnet. Dies sei „scheinbar auch problemlos aus dem Ausland möglich“. Zum Zeitpunkt der polizeilic­hen Anfrage sei das Konto „genullt“gewesen. Der Zugriff sei ausschließ­lich über Smartphone­App erfolgt, die Anzeige werde der Staatsanwa­ltschaft übersandt. Ob von dort Auslandser­mittlungen beantragt würden? „Eher nicht“, vermutet die Polizei. Der Tatverdäch­tige werde wohl ergänzend zur Personenfa­hndung ausgeschri­eben.

Susanne F. tätigt ihre Überweisun­gen mittlerwei­le wieder online. „Ich passe jetzt mehr auf, schaue bei Mails genau auf die Adresse des Absenders und klicke nie wieder unbekannte Links an. Ich schäme mich vor mir selber, dass ich da nicht aufgepasst habe.“Mit ihrem Beispiel wolle sie anderen Senioren auch zeigen: „Lasst euch nicht von neueren Techniken abschrecke­n, aber wendet sie richtig an und seid wachsam.“Denn schon ein einziger falscher Klick kann zum Verhängnis werden.

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FOTO: IMAGO Gefahr aus dem Netz: Besonders ältere Menschen sind Ziel von allerlei Onlinebetr­ügereien.

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