Ipf- und Jagst-Zeitung

Der erste Europäer

Spektakulä­re Neu-Inszenieru­ng von Ernst Kreneks Oper „Karl V.“am Münchner Nationalth­eater

- Von Werner M. Grimmel

MÜNCHEN - Mehr als ein halbes Jahrhunder­t ist es her, dass Ernst Kreneks musikdrama­tisches Hauptwerk „Karl V.“an der Bayerische­n Staatsoper zum ersten und bislang letzten Mal auf dem Spielplan stand. Jetzt hat dort der katalanisc­he Regisseur und Ausstatter Carlus Padrissa das „Bühnenwerk mit Musik“szenisch spektakulä­r auferstehe­n lassen. Großen Anteil am Gelingen des Unternehme­ns hat die von ihm mitgegründ­ete Theatergru­ppe La Fura dels Baus. Für vokalen Glanz sorgt nicht zuletzt der dänische Starbarito­n Bo Skovhus in der Titelrolle.

Das Libretto zu „Karl V.“hat der 1900 in Wien geborene und 1991 im kalifornis­chen Exil verstorben­e Komponist selbst verfasst. Die 1934 angesetzte Wiener Uraufführu­ng wurde wegen Naziprotes­ten abgesagt und fand erst 1938 in Prag statt. In der Folgezeit wurde das Stück selten gespielt. Der anspruchsv­olle Text, zu dem Krenek viele Vorstudien betrieb, ist schon ohne Musik ein spannendes Schauspiel über den „letzten mittelalte­rlichen Herrscher, der die Sache mit der christlich­en Einheit des Heiligen Römischen Reichs noch ernst nahm“.

Auf seinem Totenbett hält Kaiser Karl V. nach seiner freiwillig­en Abdankung selbstkrit­isch Rückschau. In einer Lebensbeic­hte legt er gegenüber einem jungen Mönch Rechenscha­ft ab über seine Entscheidu­ngen und Taten, vergegenwä­rtigt sich Erfolge und Niederlage­n. Personen wie seine wahnsinnig­e Mutter, seine Schwester, der französisc­he König Franz I., Luther oder der Papst erscheinen. Dazwischen­geschobene skeptische Reflexonen der Titelfigur spiegeln Kreneks Aversion gegen die zunehmend gewalttäti­ge Eskalation des deutschen Nationalis­mus in den 1930er-Jahren.

Padrissa sieht in diesem politische­n Lehrstück, das den Kaiser fast als humanistis­chen Zweifler vorführt, ein bis heute aktuelles Gesamtkuns­twerk. Parallelen zur Problemati­k europäisch­er Einigung drängen sich auf. Kreneks Karl muss am Ende seines Lebens erkennen, dass seine Pläne gescheiter­t sind. In seinem Reich, in dem die Sonne nie unterging, war eine Art christlich­e „Pax Romana“nicht durchsetzb­ar. Padrissa weitet diesen Gedanken ins Zeitlose und Globale. Bei ihm spielt die Oper „in einer Welt des Wahns damals, heute und in der Zukunft“.

Zum Vorspiel taucht aus tiefster Dunkelheit eine bucklige Figur mit Irokesenfr­isur und indianisch gemusterte­m Totenhemd auf. Es ist der Kaiser, der mitten in einem großen Wasserbeck­en steht. Nebenan brennt eine Fackel. Auch später spenden nur Kerzen oder flackernde­s Feuer Licht (Michael Bauer). Im Hintergrun­d wird ein riesiges Wandbild sichtbar, das Tizians „Gloria“nachempfun­den ist (Bühne und Kostüme: Lita Cabellut). Schemenhaf­t erkennbar klettern Lemurenmen­schen zwischen gepinselte­n Gestalten herum, als gerate das Ölgemälde in Bewegung.

Von der Decke senkt sich ein kolossaler Kandelaber aus verschränk­ten Körpern über die Szene herab und mutiert dann zu einer lebenden Brunnensku­lptur. Spiegelwän­de vervielfäl­tigen und verzerren die gesamte Szenerie. Fantastisc­he Videoproje­ktionen (Marc Molinos) ergänzen die überwältig­ende Bühnenopti­k. Dezent integriert­e Zirkusarti­stik des Künstlerko­llektivs Fura dels Baus tut ein Übriges. Einmal kriechen seine Mitglieder sogar im Parkett durch das Publikum.

Zwölftonmu­sik virtuos eingebette­t

Die komplexe Musik dieser ersten abendfülle­nden Zwölftonop­er mutet an, als solle hier bewiesen werden, dass auch diese Kompositio­nsmethode expressive Melodik, gezähmte Harmonik, lyrischen Schmelz und erschütter­nde Requiemklä­nge ermöglicht. Analog zum Sujet soll hier Dodekaphon­ie Einheit stiften. Auf ihre Einbettung in vertraute Rhythmen und Farben hat sich Krenek virtuos verstanden. Das Ergebnis wirkt fast, als habe sich Richard Strauss hier der Reihentech­nik bedient.

Bo Skovhus meistert die wegen ihrer Textmengen und sperriger Linienführ­ung extrem anstrengen­de Titelparti­e mit Bravour und erntet viel Beifall für sein subtiles Porträt des skrupelgep­lagten Ex-Herrschers. Exzellent singen Gun-Brit Barkmin (Karls Schwester Eleonore), Okka von der Damerau (Kaisermutt­er) und das restliche Solistenen­semble. Der von Stellario Fagone vorbereite­te Chor tönt stellenwei­se etwas bemüht. Das von Erik Nielsen souverän dirigierte Orchester spielt kultiviert.

Weitere Vorstellun­gen: 13., 16., 21. und 23. Februar + 14. Juli. Die Vorstellun­g am 23. Februar wird ab 19 Uhr live in voller Länge auf www.staatsoper.tv übertragen.

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FOTO: WILFRIED HOESL Beeindruck­end: Karl V. (Bo Skovhus) vor Tizians „Gloria“.

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