Der Dreck vor der eigenen Haustür
Gast bei Freunden oder Verwandten zu sein, hat durchaus angenehme Seiten: Man braucht für Essen und Trinken meist nichts zu bezahlen, der Abwasch geht einen nichts an und Staubsaugen fällt auch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Geladenen.
Eines allerdings ist eine weit verbreitete Pflicht, die der Gast zu erfüllen hat: das Ausziehen der Schuhe, bevor er über die blank gebohnerte Schwelle tritt. Dabei fällt auf, dass manche Gastgeber selbst ihre Straßenschuhe anbehalten. Damit bekommt das Diktum der Schuhlosigkeit den Schimmer eines merkwürdigen Machtgefälles. Denn so bedeutet der Zwang zur Strumpfsockigkeit einen empfindlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Eine Verschärfung in besonderer Weise erfährt die Situation immer dann, wenn der Gastgeber aus Sparsamkeitsgründen seine Räume nur mäßig bis saumäßig beheizt. Woher die Tradition des Schuheausziehens kommt, ist recht gut erforscht: Früher verfügte die Menschheit noch nicht über technisch ausgefeilte Hilfsmittel wie Saugroboter, elektrische Bodenwischeinheiten oder auch nur effizientes Putzzeug. Es war also ungleich mühseliger, die Bude nach der Heimsuchung grob beschuhter Gäste wieder in einen sauberen Zustand zu versetzen. Bloß: Diese Zeiten sind längst vorbei. Mit ihnen auszusterben droht auch die traditionelle Kehrwoche. Womit auch eine plausible Erklärung dafür gefunden wäre, warum immer weniger Leute dazu bereit zu sein scheinen, zuerst den Dreck vor der eigenen Haustür zu kehren, ehe sie sich der Weltanklage zuwenden.