Der Ozeanmüllwerker
Im Jahr 2050 könnte mehr Plastik in den Weltmeeren schwimmen als Fische, warnen Forscher. Günther Bonin möchte das verhindern
Von Patrik Stäbler
- Sollten die Plastikteppiche in den Weltmeeren eines Tages tatsächlich kleiner werden, dann hätte womöglich auch Marilyn Monroe ihren Teil dazu beigetragen. Die USSchauspielerin, so erzählt es Günther Bonin, habe nämlich einst einige Nächte an Bord der Samarkand verbracht – einem Segelboot Baujahr 1958, das 2009 an einen deutschen Architekten verkauft wurde. Der wiederum sei ein Bekannter von ihm, sagt Bonin, und habe damals gefragt, ob er nicht Lust und Zeit hätte, die Samarkand als Skipper vom kanadischen Vancouver nach San Diego zu überführen.
„Das Segelboot hat sechs Kojen, die alle noch original sind. Die Chance war also nicht schlecht, dass ich in einer Koje schlafe, in der schon Marilyn Monroe geschlafen hat“, sagt Bonin, lächelt und lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. In seinem kleinen, schmucklosen Büro in einem Münchner Vorort fällt es nicht ganz leicht, sich die Geschichte von der glamourösen Schauspielerin und der Yacht vor Augen zu führen, aber Günther Bonin erzählt, dass die Reise mit der Samarkand sein Leben verändert hat. An Marilyn Monroe lag das jedoch nicht.
Es war 200 Kilometer vor der USKüste von San Francisco, als der Wahl-Münchner das Segelschiff plötzlich durch die Müllspur eines Frachters steuern musste; rechts und links zogen Plastiktüten mit Essensresten am Boot vorbei. „Was soll denn dieser Mist?“, habe er sich damals gedacht, erzählt Bonin. Die Frage hätte sich wohl vielen Menschen aufgedrängt, ehe ihre Gedanken zurück zum Schiff, zur Route oder zu Marilyn Monroe gewandert wären. Für Günther Bonin, der seinerzeit als IT-Unternehmer diverse Firmen in halb Europa leitete und besaß, spielte die Monroe plötzlich keine Rolle mehr. Für ihn war das Erlebnis im Pazifik die Initialzündung zu einer 180Grad-Wende in seinem Leben: Zurück in Deutschland gründete er den Verein One Earth – One Ocean (OEOO) und widmete sich fortan dem Kampf gegen den Plastikmüll in den Weltmeeren – anfangs im Alleingang, inzwischen mit gut einem Dutzend Mitarbeitern und an der Seite der Umweltkampagne #CleanSeas der Vereinten Nationen.
Müllabfuhr auf dem Wasser
Bonins Grundidee ist simpel und pragmatisch: „Wir haben an Land eine Müllabfuhr, also brauchen wir auch eine auf dem Wasser“, sagt er. „Eine maritime Müllabfuhr.“Hierfür entwickelt sein Verein verschiedene Boote, die Seen, Flüsse und Meere befahren, dort Plastikmüll einsammeln, ihn sortieren und entweder zum Recyceln an Land abgeben oder direkt auf dem Meer in schwefelfreies Heizöl umwandeln.
Angefangen habe alles mit dem Seehamster, sagt Bonin, springt auf und unterbricht seine Sätze, die er zuvor in atemberaubendem Tempo und mit hörbarer Leidenschaft aneinandergereiht hat. „Von dem müsste ich hier noch ein Modell haben.“
Sagt‘s und kramt selbiges im nächsten Moment heraus: das Modell eines im Original zwei mal vier Meter großen Katamarans, dessen Prototyp er 2012 zusammen mit einem Metallbauer aus seinem Heimatort Germering zusammengeschweißt hat – „aus zwei Kanalrohren“. Das Gefährt kann mit einem ausklappbaren Fangnetz Plastikmüll aus Seen und Flüssen fischen. Aktuell ist die fünfte Generation des Seehamsters im Einsatz, und zwar in Kambodscha, wo der Verein nicht nur einen Zufluss des Mekong regelmäßig reinigt, sondern auch Schulungen und Vorträge hält.
Doch mit dem Seehamster ließ es Günther Bonin nicht bewenden: 2016 folgte der Stapellauf der ungleich größeren Seekuh, die Buchten, Flussmündungen und Küstenabschnitte reinigen kann. Mittelfristig soll eine ganze Flotte von Seekühen den Plastikmüll sammeln und ihn zu einem umgebauten Containerschiff bringen, dem Seeelefanten. Dort wiederum, so der Plan, wird der Abfall aufbereitet, sortiert und in Heizöl umgewandelt. „Schauen Sie hier“, sagt Bonin und angelt einen Glasbehälter mit einer dunklen Flüssigkeit hervor. „Das ist Heizöl, das aus Plastik aus der Nord- und Ostsee gewonnen wurde.“
Der Seeelefant ist freilich noch Zukunftsmusik; aktuell laufe eine Machbarkeitsstudie, sagt Bonin. Kosten: 180 000 Euro. Die Entwicklung der Seekuh, die im OEOO-Büro in Kiel gebaut wurde, schlug mit rund 600 000 Euro zu Buche. Das Geld nehme sein Verein auch aus Mitgliedsbeiträgen ein, vornehmlich aber aus Spenden, sagt Bonin, der an diesem Tag ein ausgewaschenes TShirt zur Jeans trägt. „Ich ziehe mir meinen Anzug an und gehe zu den Unternehmen, da bin ich schmerzfrei“, sagt Bonin. „Ich war früher bei meinen Firmen auch für den Vertrieb verantwortlich. Mein Werdegang hilft mir, da entsprechend aufzutreten.“
Und noch etwas hilft Günther Bonin und seinem Verein: der Zeitgeist. Als der heute 63-jährige 2010 den Verein OEOO aus der Taufe hob, war das Thema Plastikmüll noch vorwiegend etwas für Ökopioniere. Inzwischen jedoch habe es einen „Hype“erfahren, so nennt das Bonin, „und der wird so schnell nicht mehr nachlassen“. Wurde er anfangs mitunter noch belächelt, so reißen sich inzwischen nicht nur die Medien um ihn und seinen Verein – sondern auch die Unterstützer. „Früher musste ich Klinken putzen, heute kommen die Firmen zu mir.“
Jedes Jahr zehn Tonnen mehr
Keine Frage, das Thema hat Fahrt aufgenommen – und muss es auch. Schätzungen zufolge treiben bereits 150 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen (siehe Kasten), und jedes Jahr kommen etwa zehn Millionen weitere Tonnen hinzu. Das ist, als würde in jeder Minute des Jahres ein mit Plastiktüten vollbeladener Mülllaster seine Ladung ins Meer kippen. Diese Rechnung hat die britische Ellen MacArthur Foundation aufgestellt; sie geht davon aus, dass im Jahr 2050 das Gewicht aller Plastikteile in den Ozeanen das der Fische übersteigen wird.
Je etwa zehn Prozent des Plastiks im Meer sollen auf die Schifffahrt und die Fischerei zurückgehen; der große Rest des Mülls stammt von Land. Dort wird er vornehmlich über die großen Flüsse in die Ozeane befördert – vor allem in Asien, wo es in etlichen Ländern noch kein geregeltes Recyclingsystem gibt. „Da steckt irgendjemand vier Pfosten in den Boden und dazwischen ist dann die Mülldeponie“, sagt Bonin. Dort werde das Plastik dann oftmals weitgehend schutzlos gesammelt, sodass Wind und Regen den Müll in der Landschaft verteilen – bis er irgendwann in einem Flussbett landet und weiter ins Meer gespült wird.
Wenn Günther Bonin über seine Mission und seinen Verein spricht, dann rattert er eine Reihe furchterregender Zahlen herunter – etwa, dass es weltweit rund 40 000 verschiedene Kunststoffsorten gebe, von denen gerade mal ein Prozent dokumentiert sei – was das Recycling enorm erschwere. Oder dass in Hongkong fünf Millionen mit Plastik beschichtete Mitnahmebecher im Müll landen. Pro Tag.
„Aber eigentlich sind all diese Zahlen auch total egal“, sagt Günther Bonin schon drei Sätze später. „Fakt ist, dass es immer mehr Plastik in den Meeren gibt – und dass wir etwas dagegen tun müssen.“