Chaos statt Erholung
Experten warnen vor Kollaps des Flugverkehrs – Strukturelle Probleme werden schlimmer
- Bald geht die Urlaubszeit wieder los. Inspiration dafür bekommen Reisende ab Mittwoch bei der Internationalen Tourismus Börse in Berlin. Für viele bedeuten Ferien Vorfreude, doch Fluggästen wird das Chaos aus dem Sommer 2018 noch in Erinnerung sein. Wird 2019 genauso schlimm?
Für viele Fluggäste fing der vergangene Sommerurlaub so an: Gelangweilt hockten sie auf Metallstühlen in der Abflughalle, tippten stundenlang auf ihren Smartphones oder tigerten genervt umher. Warten auf den Koffer, warten auf den Abflug, warten auf die Abfertigung, statt im Meer zu planschen oder sich in der Sonne zu aalen – das war 2018 völlig normal. Besserung ist für diesen Sommer nicht in Sicht. Im Gegenteil. Experten prognostizieren: Diese Urlaubssaison wird noch viel schlimmer.
Die Flughäfen, Gesellschaften und die Flugsicherung sind am Limit angelangt. Wenn in den kommenden Wochen die Zahl der Flüge wieder ansteigt, könnte das System erneut kollabieren, prophezeit etwa Gerd Pontius von der Flugverkehrsberatungsfirma Prologis Strategy sowie das Fluggastrechteportal EU Claim. Zu wenig Sicherheitspersonal, zu wenig Fluglotsen, zu enge Zeitfenster – mit diesen Problemen müssen sich die Akteure auch in diesem Jahr wieder herumschlagen. Das Chaos in der Luft ist unausweichlich – und ausbaden müssen es die Passagiere. Flughäfen, Sicherung und Airlines arbeiten im Akkord daran, dass sich 2018 nicht wiederholt. Sie stehen – auch politisch – unter Druck. 2019 könnte deshalb ein Schicksalsjahr für den Luftverkehr werden.
Das vergangene Jahr war aus Sicht der Passagiere eine Katastrophe. 29 019 Flüge wurden nach Angaben des Fluggastrechteportals EU Claim annulliert. Das sind im Vergleich zum Vorjahr rund 7000 Flugzeuge mehr, die nicht gestartet sind. Bei den Verspätungen sieht es ähnlich schlecht aus. Da waren 2018 rund 8603 verspätet und damit 2000 mehr als 2017. Das ist Rekord.
Die Gründe lagen in den Streiks des Flughafenpersonals, dem schlechten Wetter im Frühjahr sowie den Problemen bei der Übernahme der Flugzeuge der pleite gegangenen Gesellschaft Air Berlin. „Deshalb war 2018 ein herausforderndes, ein besonders schlimmes Jahr“, sagt der Hauptgeschäftsführer des ältesten deutschen Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel.
Einige Probleme sind aber strukturell bedingt. Da wären zum Beispiel die Fluglotsen, die auf dem Markt Mangelware sind. Zwar hat sich die deutsche Flugsicherung dazu verpflichtet, mehr Fluglotsen anzustellen, doch bis diese ausgebildet sind, dauert es drei Jahre. Die Probleme könnten sich verschlimmern. Das zeigen die Wachstumsprognosen: So wird der Flugverkehr um etwa drei Prozent jährlich steigen. Sind es heute noch 33 000 Flüge pro Tag, werden es im Jahr 2030 fast doppelt so viel sein, nämlich 58 000.
Zahlen steigen schon
Wie schlimm es werden kann, zeigen bereits die ersten zwei Monate dieses Jahres. Laut EU Claim hat es im Januar und Februar in Deutschland mehr Verspätungen und Annullierungen gegeben als in den ersten beiden Monaten des Jahres 2018. „Ohne konsequentes Gegensteuern ist ein Kollaps nicht zu vermeiden“, sagt Berater Gerd Pontius.
Das wissen auch die Gesellschaften, Häfen und die Sicherung. Um eine Lösung zu finden, trafen sich die wichtigsten Protagonisten im Oktober. Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) war dabei und forderte, dass sich eine ähnliche Situation wie im Sommer 2018 nicht wiederholen dürfe. „Wir können Luftverkehr“, sagte er und präsentierte einen Katalog von 25 Maßnahmen. Zu den Konzepten gehören, dass mehr Fluglotsen eingestellt werden, dass diese mehr Überstunden machen und dass mehr Flächen für Sicherheitskontrollen bereitgestellt werden.
Einige der Maßnahmen wurden bereits umgesetzt. So erläutert ADVHauptgeschäftsführer Beisel, dass die Flughäfen seit dem Oktobergipfel mit Scheuer insgesamt zehn Prozent mehr Flächen für Sicherheitskontrollen zur Verfügung gestellt haben. Außerdem wurden mehr Mitarbeiter für das Be- und Entladen der Koffer eingestellt. Auch die Gesellschaften hätten an ihren Flugplänen gearbeitet und mehr Puffer eingebaut, sodass es zu nicht mehr so vielen Ausfällen kommen könnte. Des Weiteren sind Umleitungen von Flugzeugen im Gespräch, die zwar stark beflogene Strecken entlasten, dafür aber wegen der Umwege die Umwelt belasten. „Ich bin optimistisch und fest davon überzeugt, dass es im Jahr 2019 deutlich besser wird. Das heißt aber noch nicht, dass alles gut wird“, sagt Beisel.
Andere sind da skeptischer. „Die Maßnahmen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Luftraum-Berater Pontius. „Ich habe wenig Hoffnung, dass sie zu einer spürbaren Entlastung der Flughäfen und des Luftraums führen.“Pontius zufolge bedarf es daher nicht vieler kleiner Maßnahmen, sondern eines Plans, den alle Akteure trotz vorhandener Interessenskonflikte verfolgen. „Es braucht dringend eine gesamteuropäische Lösung“, fordert der Berater. So stünden aber aktuell nationale Egoismen seitens der 28 Mitgliedsstaaten einer gemeinsamen Steuerung des EU-Luftraums im Wege. Der Luftraum-Berater vermutet, dass der Druck auf die Gesellschaften, Sicherungen und Flughäfen einfach noch nicht groß genug ist. „Erst, wenn noch mehr Menschen betroffen sind, wacht die Politik auf – und dann bewegt sich etwas“, prophezeit Berater Pontius.
Das könnte im Jahr 2019 passieren. Im März kommen die Luftverkehrsakteure wieder zusammen und müssen vor Scheuer Rechenschaft ablegen. Doch auch dieser Gipfel wird nicht klären können, wie der Sommer 2019 werden wird und ob wieder Tausende Fluggäste wartend am Flughafen hocken oder auf andere Verkehrsmittel ausweichen müssen. „Die spannenden Monate beginnen im Mai“, sagt ADV-Hauptgeschäftsführer Beisel. Für die Akteure – und die Passagiere.