Unersättlicher Tausendsassa
ZKM-Chef Peter Weibel wird 75 Jahre alt
(epd) - Er ist Künstler, Medientheoretiker, Kurator und Direktor des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Peter Weibel ist ein Tausendsassa mit unersättlichem Wissenshunger. Am heutigen Dienstag wird Weibel 75 Jahre alt. Sich selbst bezeichnet er als „Nomade zwischen Kunst und Wissenschaft“. Darauf deutet auch sein Lebenslauf hin. Geboren am 5. März 1944 in Odessa (Ukraine) wuchs er in Oberösterreich auf. Er studierte zunächst in Paris Französisch und französische Literatur, begann 1964 in Wien ein Studium der Medizin, bis er zur Mathematik mit Schwerpunkt Logik wechselte. Der Philosoph Peter Sloterdijk würdigt Weibel als „eminenten Künstler und subtilen Theoretiker“.
Nicht nur das ZKM, auch Weibel selbst beschäftigt sich schon lange mit den rasanten Veränderungen der Kunstlandschaft vom unbewegten zum bewegten Bild, erzählt er in atemberaubendem Sprechtempo und österreichischem Akzent. Der Einzug von Apparaten habe mit dem Beginn der Fotografie vor 150 Jahren und dem bewegten Bild vor 100 Jahren neue Darstellungsformen befördert. „Mit der Sprache haben die Menschen vor Jahrtausenden begonnen, Gegenständen Worte und Bilder zuzuordnen.“Heute würden den Dingen Daten zugeordnet.
Technik will Wandel
Dies soll auch die gerade eröffnete Ausstellung „Writing the History of the Future“zum 30-jährigen Bestehen des Museums zeigen, die der Medienkünstler mitkuratiert hat. Die Gegenwart aus der Geschichte heraus verstehen, ist einer der Ansprüche des Hauses, das er seit rund 20 Jahren leitet. Längst sind die Zeiten vorbei, als das ZKM als „Spielothek“bezeichnet und belächelt wurde. Heute gilt es als weltweit bedeutende Kunstinstitution. Was den kommerziellen Kunsthandel angeht, habe es die Medienkunst allerdings immer noch schwer. Der Kunstmarkt habe das Potenzial dieser Kunstform noch nicht erkannt, sagt Weibel. „Kunst will Ewigkeit, Technik will Wandel“, sagt der Lenker des ZKMs, das sich auch für den Erhalt des digitalen kulturellen Erbes einsetzt. Dabei kritisiert er auch die „Technophobie“der Deutschen und fordert „Aufklärung statt diffuser Panik“.
Mit der Digitalisierung sei der Traum der 1960er-Jahre, „alle Macht den Amateuren“, sichtbar geworden. Man müsse allerdings genau schauen, wie sich diese Utopie verwirklicht hat. Heute sei zwar jeder Mensch ein Kreativer. Dabei gehe die Spirale aber nach unten, kritisiert Weibel. Er bezieht dies etwa auf das Niveau vieler YouTube-Videos. Allerdings nutzt er den Hype um die sozialen Medien auch für sein Haus. So ehrte Weibel kürzlich die InstagramInfluencerin Pamela Reif mit dem Baden-Award für Neue Medien.
Wenn er den ZKM-Vorsitz im nächsten Jahr abgibt, will er sich mit seinen 40 000 Büchern in einem zwölfstöckigen Bücherturm aus SeeContainern in Wien niederlassen. Mittendrin soll ein einziger großer bewohnbarer Aufzug sein – mit Bett, Sessel und Schreibtisch.