Jenseits der Eigenkapitalrendite
Beim Bodensee Business Forum diskutieren Wirtschaft und Politik über „Profite mit gutem Gewissen“
FRIEDRICHSHAFEN - Falls gute Laune und gutes Gewissen zusammenhängen, dann sind sie bei Vetter in Ravensburg auf einem ganz guten Weg. Peter Sölkner, Geschäftsführer des Pharmazie-Dienstleisters Vetter, sagt: „Sie wissen ja nicht, wie gut ich sonst aussehe“, blickt in Richtung Publikum, kassiert grinsend die Lacher. Moderator Uli Reitz hatte gelobt, dass man Sölkner keinen Jetlag ansehe – obwohl er kurz zuvor noch in San Francisco gewesen ist und wenig später auf dem Abschlusspodium des Bodensee Business Forums in Friedrichshafen steht.
Danach wird es ernster. „Gewinn mit gutem Gewissen: Die Verantwortung der Unternehmen in der Welt“, ist die Veranstaltung betitelt. Und dass von fünf Personen auf dem Podium zwei aus der Pharma-Industrie sind, ist kein Zufall. Nur wenige Branchen stehen bei einem großen Teil der Bevölkerung so stark unter Verdacht, unmoralisch zu handeln. Neben Sölkner ist Petra MoroniZentgraf da, Medizinische Leiterin bei Pharmakonzern Boehringer Ingelheim in Biberach. Daneben Gerd Leipold, ehemaliger Chef von Greenpeace International und heute freiberuflicher Umweltberater – und Tanja Gönner, einst Landesministerin in Baden-Württemberg und heute Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GiZ), der wichtigsten staatlichen Entwicklungshilfeorganisation Deutschlands.
Eine Frage bestimmt die gesamte Diskussion: Wie ernst ist es gemeint, wenn Unternehmen sich zu fairem Wirtschaften bekennen, zu Verantwortung statt bedingungslosem Profit, oder – ins globale Business-Englisch übersetzt – zu Corporate Social Responsibility und nicht nur zu Shareholder Value? Im vergangenen Sommer haben die Chefs von 181 USamerikanischen Firmengiganten – unter ihnen Apple und Amazon – eine Absichtserklärung veröffentlicht, in der sie sich zu einem gerechteren Kapitalismus bekennen. Leipold, der Umweltschutzveteran, erwähnt diese Erklärung – und sagt: „Die Unternehmen spüren auch, dass sie nicht so großen Einfluss haben können, wenn sie nicht auch Antworten finden auf Probleme, die jenseits ihres Kerngeschäfts liegen.“
Dafür, was diese Verantwortung jenseits von Ebitda und Eigenkapitalrendite bedeutet, nennt Moroni-Zentgraf ein Beispiel aus dem Hause Boehringer Ingelheim: Fünf Jahre lang habe das Familienunternehmen den Anti-Aids-Wirkstoff Viramune nach dessen Entwicklung kostenlos in Entwicklungsländer geliefert, um zu verhindern, dass HIV-infizierte Mütter das Virus auf ihre Kinder übertragen. Rückfrage von Moderator Reitz: „Da kommt kein Aufsichtsrat und fragt: Wo ist unser Cash?“Antwort Moroni-Zentgraf: „Ich glaube, dass man nicht in unserem Geschäft sein kann, wenn man nicht ein großes soziales Gewissen mit sich trägt.“
Ein Schlagwort, das oft genannt wird, wenn Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung nach außen präsentieren, ist „Greenwashing“. Der Vorwurf dahinter: Manche Firmen würden sich eben nur geläutert geben – und in Wahrheit weiter schmutzig wirtschaften. „Ist Corporate Social Responsibility ernst oder ist es Greenwashing?“, fragt Reitz deshalb den seit Jahrzehnten umweltbewegten
Leipold. Und der antwortet:
„Wenn es Greenwashing ist, funktioniert es meistens nicht. Das haben, glaube ich, die meisten Unternehmen schon gemerkt.“
Aus der Hauptfrage der Diskussion leitet sich eine Nebenfrage ab – die besonders dringlich erscheint, da China auf dem Weg zur weltweit größten Volkswirtschaft ist: Welche
„Die Unternehmen spüren auch, dass sie nicht so großen Einfluss haben können, wenn sie nicht auch Antworten finden auf Probleme, die jenseits ihres Kerngeschäfts liegen.“Gerd Leipold, ehemaliger Chef von
Greenpeace International
Chance hat Deutschland im globalen Wettbewerb um neue Märkte überhaupt, so es denn auf sozial verantwortliches Wirtschaften setzt? Moderator Reitz stellt sich den Dialog zwischen Entwicklungsländern und deutscher Entwicklungshilfe im Gespräch so vor: „Die sagen: Ihr seid die mit der Moral – und die Chinesen kommen mit dem Geld.“GIZ-Vorstandssprecherin Gönner entgegnet, dass inzwischen auch in manchen afrikanischen Staaten wahrgenommen werde, wie problematisch die Entwicklungszusammenarbeit mit China sein könne – während Deutschland heute mehr als Partner auf Augenhöhe gesehen werde.
Gegen Ende der Diskussion passiert dann noch etwas, das eher selten vorkommt bei Diskussionen unter Wirtschaftsvertretern. VetterGeschäftsführer Sölkner lobt den deutschen Staat. Es gebe „tolle Rahmenbedingungen“hierzulande, deswegen sei Vetter ja mit der Forschungsabteilung weiterhin in Oberschwaben. Was dann freilich oft fehle, sei Mut zur Innovation, da „geißeln wir uns auch selber“, meint der Manager. Aber Sölkner, der in Kalifornien lebt, sagt auch: Im Silicon Valley, dem viel gelobten Hotspot der globalen digitalen Innovation, gebe es „stark kapitalistische Tendenzen“, Obdachlose, „sozialen Bodensatz“. Und dafür brauche es sozialen Ausgleich.
Zu Ende geht die Diskussion mit einem Appell, den Ex-GreenpeaceChef Leipold in Richtung Publikum ruft und mit dem er vor allem die vielen jungen Zuhörer anspricht: „Wir leben in einem guten Land. Und wenn wir positiver sind, können wir eine ganze Menge lösen.“