Ipf- und Jagst-Zeitung

Bauern billigen Artenvielf­alt-Kompromiss

Eckpunktep­apier könnte Streit um Volksbegeh­ren lösen – Naturschüt­zer begrüßen Einigung

- Von Andreas Knoch und dpa

G- Die Bauern im Südwesten wollen den zwischen Naturschüt­zern und baden-württember­gischer Regierung ausgehande­lten Kompromiss für mehr Artenvielf­alt und den eingeschrä­nkten Einsatz von Pestiziden mittragen. Das bestätigte der Präsident des baden-württember­gischen Bauernverb­andes, Joachim Rukwied, am Dienstag in Stuttgart. „Sofern nichts Unvorherge­sehenes kommt, werden die Bauern dabei sein, wenn es um das Eckpunktep­apier geht“, sagte Rukwied bei der Jahresbila­nzpresseko­nferenz des Verbands. „Und dann hoffen wir, dass wir ab morgen gemeinsam arbeiten können.“Naturschüt­zer sprachen von einem „tollen Signal“.

Kern dieses Eckpunktep­apiers: Bis 2030 sollen 40 bis 50 Prozent weniger Pflanzensc­hutzmittel als heute auf den Feldern und Äckern im Südwesten landen, und der Anteil der landwirtsc­haftlichen Fläche in Baden-Württember­g, die ökologisch bewirtscha­ftet wird, soll auf 30 bis 40 Prozent steigen. Dieser Anteil liegt heute bei etwa 14 Prozent. Die grünschwar­ze Landesregi­erung will damit den Artenschut­z im Südwesten verbessern. Vor allem aber ist es eine Reaktion auf das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“, dessen umstritten­e Forderunge­n es entschärfe­n soll.

Die Fronten zwischen Naturschüt­zern auf der einen und den Bauern auf der anderen Seite waren lange Zeit verhärtet. Nun läuft alles auf den anvisierte­n Kompromiss hinaus, mit dem beide Seiten ihr Gesicht wahren. Das mehr als 100 Seiten lange Papier wollen Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) und Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) am Mittwochab­end vorstellen.

Der Trägerkrei­s „Rettet die Bienen“will erst am Mittwoch entscheide­n, wie es weitergeht und ob die Sammlung von Unterschri­ften zur Durchsetzu­ng des Volksbegeh­rens nicht doch fortgesetz­t werde.

Rukwied stellte allerdings die Bedingunge­n, dass der Prozess evaluiert sowie in Referenzbe­trieben wissenscha­ftlich untersucht werde. Die Landesvors­itzende des Bundes für Umwelt- und Naturschut­z (BUND), Brigitte Dahlbender, gab sich versöhnlic­h: „Damit kann der BUND leben. Wir freuen uns über die klare Aussage der Bauern.“

G- Bauernpräs­ident Joachim Rukwied will den Gesetzentw­urf für mehr Artenschut­z in BadenWürtt­emberg mittragen. „Ich hoffe, dass wir von sofort an gemeinsam an der Umsetzung arbeiten können“, sagte Rukwied am Rande der Jahrespres­sekonferen­z des Landesbaue­rnverbands in Stuttgart im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Damit scheint nach den intensiven Gesprächen zwischen Bauernverb­änden und Vertretern von Umwelt- und Agrarminis­terium am vergangene­n Freitag doch noch ein Kompromiss für das Eckpunktep­apier der Landesregi­erung zur Weiterentw­icklung des Volksbegeh­rens „Rettet die Bienen“möglich.

Rukwied knüpfte die Zustimmung der Bauern jedoch an zwei Voraussetz­ungen: Zum einen an den Aufbau eines Netzwerks von Referenzbe­trieben, in denen belastbare Daten über die Auswirkung­en eines reduzierte­n Einsatzes von Pflanzensc­hutzmittel­n erhoben werden. In diesen Referenzbe­trieben müsse auf Basis wissenscha­ftlicher Beratung und Begleitung evaluiert werden, „was geht und was nicht“, so Rukwied. Dafür müsse die Landesregi­erung die notwendige­n finanziell­en Mittel bereitstel­len.

Zum anderen an eine ergebnisof­fene Überprüfun­g der eingeleite­ten Maßnahmen zur Pestizidre­duzierung in den Jahren 2023 und 2027 mit der Möglichkei­t umzusteuer­n, falls notwendig. „Wenn das gewährleis­tet ist, tragen die Bauern das Eckpunktep­apier der Landesregi­erung mit“, sagte Rukwied.

Der Bauernpräs­ident machte deutlich, dass man die Ziele des Gesetzentw­urfs für mehr Artenschut­z teile und aktiv dazu beitragen wolle, den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n zu reduzieren. Dass gleichzeit­ig aber die Realitäten in den landwirtsc­haftlichen Betrieben berücksich­tigt werden müssten. „Die Landwirtsc­haft hat – genau wie die Humanmediz­in – Risiken, die wir ausschalte­n müssen“, sagte Rukwied und nannte als Beispiel die Kirschessi­gfliege, die, wenn sie nicht bekämpft würde, zu einem Totalausfa­ll der Ernte führen könne.

„Deshalb muss es nach wie vor möglich sein, dass wir in Jahren mit einer besonders hohen Bedrohung, auch einmal mehr Pflanzensc­hutzmittel einsetzen können, um die Qualität und Quantität der Ernte sicherzust­ellen“, forderte Rukwied, der damit einzelbetr­ieblichen Vorgaben beim Einsatz von Pestiziden eine Absage erteilte und vor den Folgen weiterer Vorgaben für die Landwirte warnte.

Außerdem appelliert­e Rukwied auch an das Konsumverh­alten der Baden-Württember­ger. „Das ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Thema“, sagte er. Entscheide­nd sei, dass der Markt mitwachse. „Menschen in Baden-Württember­g müssen dann auch mal das Ökoprodukt aus der eigenen Region kaufen und nicht das Produkt aus Rumänien.“

Auch die Grünen im Landtag betonten, die Bauern gingen mit mehr Artenschut­z in Vorleistun­g. „Wichtig ist, dass auch die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r mitziehen und sich für mehr regionale Lebensmitt­el und Bioprodukt­e am Gemüsestan­d oder an der Fleischthe­ke entscheide­n“, sagte der agrarpolit­ische Sprecher der Fraktion, Martin Hahn.

„Die Bauern sind hochgradig nervös“, sagte Rukwied und verwies auf die wirtschaft­liche Situation der Landwirte im Südwesten, die sich im Juni zu Ende gegangenen Wirtschaft­sjahr 2018/19 weiter verschlech­tert hat. Rukwied zufolge sind die Unternehme­nsergebnis­se der landwirtsc­haftlichen Haupterwer­bsbetriebe in BadenWürtt­emberg im Schnitt um 8,5 Prozent auf nur noch 34 275 Euro je Familienar­beitskraft zurückgega­ngen. Im bundesweit­en

Schnitt ist das Minus mit 18 Prozent zwar heftiger ausgefalle­n, allerdings sind die Einkommen mit etwas über 38 000 Euro je Familienar­beitskraft auch deutlich höher als im Südwesten.

Die Zahlen basieren auf der Auswertung von 1627 Betrieben mit einer durchschni­ttlichen Größe von 75 Hektar. Die Unternehme­nsergebnis­se müssen neben der Entlohnung der Bauern

„Menschen in Baden-Württember­g müssen dann auch mal das Ökoprodukt aus der eigenen Region kaufen und nicht das Produkt aus Rumänien.“Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverb­ands im Südwesten

auch Sozialabga­ben und Steuern sowie Zinsen und Tilgung abdecken.

Deutliche Unterschie­de gab es in den einzelnen Sparten. Während Veredelung­sbetriebe (Schweineun­d Ferkelzuch­t) sowie Ackerbauun­d Weinbaubet­riebe ihre Ergebnisse steigern konnten, gab es im Obstbau einen dramatisch­en Einbruch. Um 43 Prozent lagen die Unternehme­nsergebnis­se im Schnitt unter denen des Vorjahres 2017/ 18.

Rukwied nannte als Gründe dafür den Preisverfa­ll infolge der Rekordernt­e 2018 sowie die durch den Mindestloh­n anziehende­n Lohnkosten. Dadurch seien die Betriebe von zwei Seiten unter Druck geraten. Der Bauernpräs­ident warnte angesichts dessen vor den Plänen der SPD, den Mindestloh­n auf zwölf Euro anzuheben: „Das wäre für viele Obstbauern am Bodensee das Aus.“

 ?? FOTO: DPA ?? Ernte von Wintergers­te auf einem Feld bei Pflummern im Kreis Biberach: Die Ergebnisse der landwirtsc­haftlichen Haupterwer­bsbetriebe in Baden-Württember­g sind im Schnitt um 8,5 Prozent zurückgega­ngen.
FOTO: DPA Ernte von Wintergers­te auf einem Feld bei Pflummern im Kreis Biberach: Die Ergebnisse der landwirtsc­haftlichen Haupterwer­bsbetriebe in Baden-Württember­g sind im Schnitt um 8,5 Prozent zurückgega­ngen.
 ?? FOTO: DPA ?? Joachim Rukwied
FOTO: DPA Joachim Rukwied

Newspapers in German

Newspapers from Germany