Rentenprotest in Frankreich wird lauter
Erneut versammelten sich Hunderttausende im ganzen Land gegen die Reformpläne von Präsident Macron
G- Falls Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gehofft hatte, dass der Protest gegen die Rentenreform nach der Vorstellung seiner Pläne nachlässt, wurde er am Dienstag enttäuscht. Erneut gingen Hunderttausende gegen sein Prestigeprojekt auf die Straße. Die Gewerkschaften demonstrierten erstmals gemeinsam gegen die Reform, die sogar von den gemäßigten Arbeitnehmervertretern abgelehnt wird. „Es geht darum, die Regierung zur Vernunft zu bringen“, sagte der Chef der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger.
Der Boss der größten Gewerkschaft Frankreichs trat nur ganz kurz beim Pariser Protestzug auf und vermied jeden Kontakt mit radikalen Gewerkschaften wie der kommunistisch geprägten CGT. Die CGT lehnt die Rentenreform komplett ab, während die CFDT und ihre Verbündeten sich lediglich gegen das Rentenalter von 64 wenden, das für die volle Rente künftig gelten soll. „Wie kann man bis 64 arbeiten, wenn man mit 16 oder 18 Jahren auf dem Bau angefangen hat?“fragte die Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry, die in der nordfranzösischen Stadt mitdemonstrierte. Die sichtlich empörte Sozialistin nutzte wie viele andere Teilnehmer die Gelegenheit, um die Regierung zu kritisieren. „Es herrscht eine Mischung aus Unkenntnis der Realität und Inkompetenz“,
sagte die frühere Arbeitsministerin.
In Paris trugen die Demonstranten eine Fotomontage durch die Straßen, die Macron als Sonnenkönig Ludwig XIV. zeigte. „14. Mai 2017 Wiederherstellung der Monarchie“stand darauf. Das Datum markiert den Amtsantritt Macrons, dem die Demonstranten sein Schweigen zur Rentenreform vorwarfen. „Er ist abwesend und arrogant“, sagte eine Rentnerin, für die der Protest gegen die Rentenpläne die erste Kundgebung überhaupt war.
Der Präsident hatte vergangene Woche seinen Regierungschef Edouard Philippe vorgeschickt, der die
Details der Reform vorstellte. Die 42 Sonderregelungen für einzelne Berufsgruppen sollen durch ein einheitliches System ersetzt werden. Bei der Berechnung soll das gesamte Berufsleben herangezogen werden. Bisher waren es im öffentlichen Dienst die letzten sechs Monate, in der Privatwirtschaft dagegen die besten 25 Jahre.
Die Änderungen treffen vor allem die Beschäftigten der Staatsbahn SNCF und der Pariser Verkehrsbetriebe RATP, die die Speerspitze der Streikbewegung sind. Mehr als 70 Prozent der Zugführer beteiligten sich am Dienstag am Ausstand. In Paris verkehrte nur etwa jede fünfte
Metro. Im Fernverkehr fielen drei Viertel der TGV-Schnellzüge aus. Laut einer Umfrage des Instituts Harris Interactive unterstützen 62 Prozent der Franzosen die Streiks. 69 Prozent wünschen sich allerdings eine Pause an den Feiertagen kommende Woche.
„Streik oder stirb“
Zusammen mit den Gewerkschaften protestieren auch mehrere Berufsgruppen, die durch die Reform schlechter gestellt werden. Vor allem Lehrer, die in Frankreich ohnehin nur etwa halb so viel verdienen wie in Deutschland, werden dadurch verlieren. Die Regierung versprach zwar Ausgleichszahlungen, wurde aber nicht konkret. „Streik oder stirb“, stand auf den Schildern, die sich junge Lehrer in Paris umgehängt hatten. In den Protestzügen waren auch viele Krankenhausangestellte in weißen Mänteln zu sehen. Das Krankenhauspersonal hatte den Protesttag vor längerer Zeit angekündigt, um mehr Mittel für die Krankenhäuser und bessere Gehälter zu fordern.
Wie in den vergangenen Wochen demonstierten auch Gelbwesten mit. „Im Gegensatz zu den Gelbwesten reden die Gewerkschaften mit der Regierung. Das ist wichtig“, sagte die Aktivistin Patricia. Am Mittwoch sollte Regierungschef Edouard Philippe erneut mit den Vertretern der Gewerkschaften zusammenkommen.