Die Schuldfrage bleibt offen
Der wegen Mordes verurteilte Jens Söring ist nach 33 Jahren Haft in Freiheit
(dpa) - Jens Söring steigt am Frankfurter Flughafen in den Aufzug. „Baujahr, 1987. Das war ein Jahr nach meiner Verhaftung“, sagt er trocken. Dicht zusammengedrängt mit Journalisten, Fotografen und Filmteams geht es zum Konferenzsaal im Airport Center, wo ihn seine Freunde und Unterstützer erwarten. Kurz darauf: großer Jubel und Applaus. „Ich freu mich so sehr, nach 33 Jahren, sechs Monaten und 25 Tagen endlich, endlich hier in Deutschland zu sein.“Mehr als drei Jahrzehnte – also mehr als sein halbes Leben – saß der in den USA wegen Doppelmordes verurteilte Mann in Haft.
„Ich muss hier psychologisch und emotional ankommen in Deutschland. Ich habe dieses Land drei Jahrzehnte nicht mehr gesehen“, sagt der 53-Jährige. Und in der Tat: Als Jens Söring 1986 verhaftet wurde, war dieses Land ein anderes. Deutschland trennte eine Mauer, Helmut Kohl war Bundeskanzler und das Internet noch nicht verbreitet.
Die Geschichte Sörings nimmt 1984 ihren Anfang: Der deutsche Diplomatensohn kommt an die University of Virginia, wo er seine erste große Liebe, die Kanadierin Elizabeth Haysom, trifft. Im März 1985 werden deren Eltern in ihrem Haus in Virginia mit zahlreichen Messerstichen ermordet. Es sei gewesen, als ginge man in ein „Schlachthaus“, erinnert sich ein Polizist später. Als Söring und Haysom unter Verdacht geraten, fliehen sie. Ein Jahr nach dem Mord f
Scheckbetrugs auf. Sie werden verhaftet und später an die USA ausgeliefert. Haysom wird wegen Anstiftung zum Mord zu zweimal 45 Jahren Haft verurteilt, Söring bekommt zweimal lebenslang.
Er hatte die Morde zunächst gestanden, dann das Geständnis widerrufen und erklärt, die psychisch kranke und drogenabhängige Elizabeth habe ihre Eltern ermordet. Er habe seine Freundin vor der Todesstrafe schützen wollen und deshalb die Tat auf sich genommen, sagte er später. Er sei davon ausgegangen, dass er als Diplomatensohn nach
Deutschland ausgeliefert werde und dann nach einer mehrjährigen Haftstrafe freikomme. Der spektakuläre Fall ist nach wie vor rätselhaft – und polarisiert. „Die Schuldfrage ist meines Erachtens bis heute nicht abschließend geklärt“, sagt Transatlantik-Koordinator Peter Beyer. „Es sind immer noch viele Fragen offen.“So passten am Tatort gefundene DNASpuren nicht auf Söring. Dagegen zweifelt der ehemalige US-amerikanische Strafverteidiger Andrew Hammel nicht an dessen Schuld. „Bei der Beweislage wäre Söring zweifelsohne auch in Deutschland für schuldig befunden worden“, schrieb er kürzlich in der „FAZ“. Söring selbst beteuert bis heute seine Unschuld. Mehrfach hatte er erfolglos seine Entlassung beantragt. Vor wenigen Wochen entschied dann das zuständige US-Gremium, ihn auf Bewährung freizulassen und abzuschieben. In Deutschland ist Söring ein freier Mann. In die USA darf er nie wieder einreisen.
Seine Unterstützer wollen den 53Jährigen auf dem Weg in sein neues Leben begleiten. Sie haben eine Wohnung, ein Handy und Kleidung besorgt. Über den Jahreswechsel wird der Ex-Häftling jetzt aber erst einmal in den Urlaub fahren. Danach will er durch das Land reisen und schauen, wo er sich niederlassen möchte. „Ich bin so gespannt, wie sich Deutschland verändert hat. Und ich will unbedingt durchs Brandenburger Tor gehen!“, zitiert ihn sein Freundeskreis auf Twitter.
Wie wird sich Söring in einer völlig veränderten Welt zurechtfinden? „Er muss nicht resozialisiert werden, sondern sozialisiert werden. Er muss Lebenstechniken und Verhaltensweisen lernen, um in dieser Gesellschaft draußen zu überleben“, sagt Kriminologe Bernd Maelicke. „Das ist wie bei einem kleinen Kind – zu lernen, wie ist das mit den Verkehrsregeln, mit dem Internet, mit Smartphones.“