Wenn der Staubsauger der beste Freund ist
Das Bild einer vereinsamten Gesellschaft entwirft Toshiki Okada an den Münchner Kammerspielen
G- Seit Jahren geistert das japanische Phänomen Hikikomori durch die Medien. Hikikomori sind Menschen, die sich von der Außenwelt abkapseln, ihr Zimmer nicht verlassen, mit niemandem sprechen, oft nicht einmal mit den Eltern, in deren Haus sie leben und von denen sie versorgt werden.
In seiner vierten Arbeit für die Münchner Kammerspiele thematisiert der japanische Regisseur Toshiki Okada dieses Phänomen. In „The Vacuum Cleaner“ist im Gegensatz zur Statistik eine Frau Hikikomori. Die dysfunktionale Familie besteht aus Vater Choho (Walter Hess), um die 80 Jahre alt, seiner 50jährigen Tochter Homare (Annette Paulmann) und dem etwas jüngeren Sohn Richigi (Damien Rebgetz). Richigi hat zumindest einen Freund, Hide (Thomas Hauser), der so tut, als würde er tagsüber in der Bibliothek arbeiten, aber eigentlich schlägt er die Zeit auf einer Bank in einer Passage, in Parks oder am Flussufer tot.
Ursachen der Abkapselung
Homare sitzt auf einem Podest in ihrem Zimmer und starrt wahlweise die Wand oder die Decke an und schreit zum Sound des Staubsaugers: „Du hast mich doch gar nicht erzogen, versagt hast dDu!“Bruchstückhafte Erinnerungen an die Kindheit deuten Überforderung als Ursache für die Abkapselung an.
Dominic Huber hat der Familie ein traditionelles japanisches Haus auf die Bühne gebaut, ein Labyrinth aus schwarz-weißen japanischen Schiebetüren, die schwefelgelb, türkis, pink, lachsfarben oder hellblau strahlen (Licht: Pit Schultheiss), so wie Richigi sich im Kopf vorstellt, sein Elternhaus anzumalen.
Kazuhisa Uchihashi überzieht die Inszenierung mit einer spröden Komposition aus Staubsaugergeräuschen und Klavier-, Akkordeon oder dunklen Xylophontönen, die genauso vereinzelt daherkommen wie die Figuren.
Jeder hat einen Tick
Okada schreibt den Schauspielern Bewegungsticks auf den Leib, sodass sie agieren, als hätten sie Körpertourette. Bei Walter Hess’ Choho beschränkt sich das auf eine leichtes Tänzeln. Annette Paulmanns Bewegungsvokabular besteht aus verlangsamtem Kriechen und Kopfüberhängen, nur als sie von beruflicher Wiedereingliederung erzählt, ballettöst sie grazilen Schrittes. Ihre einzige Beziehung unterhält sie zum Staubsauger, zu dessen Lärm sie täglich schreit. Wie spielt man einen Staubsauger? Julia Windischbauer als Deme ist der titelgebende „Vacuum Cleaner“. Und hupfballt mit ausgreifenden Armbewegungen in einem Love-Parade-tauglichen Outfit (Kostüme: Tutia Schaad) über die Bühne, turnt herum, als würde sie die Meisterschaft in rhythmischer Sportgymnastik anstreben. Manchmal aber hält sie auch mit der einen Hand den andere Arm fest, als wollte sie sich oder ihr Staubsaugerrohr aufhalten.
Gelegentlich entwickelt sich in dieser Bewegungschoreografie überraschend Interaktion, wenn Rebgetz sich weit ausgreifend abrupt umdreht und Windischbauer wie von einer starken Böe getroffen zurückweicht. Meist aber bleiben die Figuren in ihrer Vereinzelung eingekapselt. Auch Hausers Hide, der gelegentlich wie ein boxendes Känguru herumspringt, entwickelt seine engste Beziehung zu einem Gegenstand: dem Handscanner, den er Kommandant Dschungel nennt und mit dem er vier Tage lang in der Scheißhaufen-Firma gearbeitet hat, die unschwer als Versandriese Amazon zu entschlüsseln ist.
Nicht nur körperlich, auch thematisch hat jeder so seinen Tick. Choho lässt sich weitschweifig über Kaffee mit Erdbeeraroma aus. Richigi hat Angst vor der Krumpeligkeit, die das untere Ende des Hemdes entwickelt, wenn es lächerlich in die Hose gesteckt ist. In solchen Fixierungen scheint eine Absurdität auf, die Okadas vorige Inszenierung „No Sex“zu einem großen Vergnügen machte. Doch „The Vacuum Cleaner“geht dies leider ab. Homare tauscht sich mit Deme über Tötungsarten aus: mit Kissen ersticken, Kehle durchschneiden, Pistole. Sie überlegt sich, ob sie ihren Vater umbringen sollte, und resümiert, dass er das eher mit ihr täte. Einmal angelt sie mit dem Fuß von oben nach dem Vater,. Das ist der wohl einsamste und anrührendste Moment in diesem Tableau isolierter Menschen.