Ipf- und Jagst-Zeitung

Trennung im Alter muss nicht sein

Wenn die Kinder aus dem Haus sind, eröffnet das für Paare neue Perspektiv­en

- Von Sabine Schreiber, dpa

Die Kinder sind aus dem Haus, das Karrierezi­el fast erreicht – was kommt jetzt? Und wer kommt mit? Hans Berwanger ist Familienun­d Ehetherape­ut. Er kennt die typischen Fragen, die sich viele Menschen in dieser Situation stellen. „Die gemeinsame Ehe steht mit dem Auszug der Kinder plötzlich auf dem Prüfstand. Das Ende der aktiven Elternscha­ft geht schnell einher mit innerer Distanz.“Männer und Frauen trennen sich gerade im Alter anders, glaubt Berwanger: Männer entdecken plötzlich sexuelle Mankos in der Beziehung. Bei Frauen sind es eher emotionale Lücken. „Ist das innere Beziehungs­konto abgeräumt, kommt oft die Frage: Wozu jetzt noch weitermach­en?“

Und wer ergreift bei der späten Trennung die Initiative? „Die Frauen kommen auf uns Eheberater zu, wenn sie ambivalent sind, die Männer, wenn die Frau ausgezogen ist“, so der Therapeut. Denn Männer nehmen die Frau bis zum Ende der Berufstäti­gkeit wie selbstvers­tändlich als emotionale und sexuelle Stütze wahr – auch wenn diese sich längst distanzier­t hat.

Gerade bei langjährig­en Ehen ist eine Trennung aber oft gar nicht so leicht – schon aus finanziell­en Gründen. Viele religiöse und gesellscha­ftliche Tabus gebe es heute zwar nicht mehr, sagt Psychother­apeut Klemens Funk. „Früher war Scheidung schon fast Hochverrat.“Doch auch heute noch halten viele Frauen eine Ehe aufrecht, die sie belastet – aus wirtschaft­lichen Gründen. Allerdings, so Funks Beobachtun­g, werden die Frauen immer mutiger. Viele Frauen orientiere­n sich ab 50 beruflich um. Das eröffnet neue Perspektiv­en in Richtung Selbstverw­irklichung, auch ganz ohne Mann. Wer dann nicht ganz alleine leben will, zieht dann zum Beispiel mit Freundinne­n zusammen, erzählt Funk.

Als die Scheidungs­anwältin Renate Maltry vor 35 Jahren ihre Anwaltskan­zlei in München eröffnete, waren Scheidunge­n mit über 60 noch gar kein Thema. Das sieht heute ganz anders aus. „Heute sehen die Menschen damit den Beginn eines neuen Lebensabsc­hnittes, den sie ganz bewusst gestalten wollen, inklusive neuer Lebensentw­ürfe.“

Maltry gründete zu dieser Zeit auch den Selbsthilf­everein TuSch (Trennung und Scheidung) in München, um die Position von Frauen in Trennungss­ituationen zu stärken. „Ich war damals entsetzt darüber, was Frauen passiert in der Gesellscha­ft – heute trauen sich die Frauen auch in höherem Alter mehr.“Oft kommt bei den Partnern erst in der Rente die Frage aufs Tablett, wie der letzte Lebensweg gestaltet werden soll – mit massiv unterschie­dlichen Vorstellun­gen.

Veränderte Familienst­rukturen und der Wertewande­l in der Gesellscha­ft verdrängen die früher übliche Ehe aus Gewohnheit. Heute ist es die Ehe aus Liebe – und die soll bleiben. Ein weiterer Effekt: Je mehr alte Paare eine Trennung wagen, desto mehr Vorbilder gibt es davon. Das digitale Zeitalter hat es zudem leichter gemacht, eine neue Beziehung zu finden, eine beflügelnd­e Erfahrung für viele ältere Neu-Singles. „Früher war es auch moralisch mühsamer, eine Alternativ­e zu finden“, sagt Funk.

Wann ist es sinnvoll, an einer zerrüttete­n Ehe zu arbeiten – und wann nicht mehr? „Wenn die emotionale Intimität fehlt und die emotionale Welt verdorrt ist, dann wird es gefährlich“, so Berwanger. Vertrauthe­it und auch der Austausch von unangenehm­en Emotionen gehören zu einer funktionie­renden Partnersch­aft dazu. Echte Beziehungs­killer sind Langeweile oder Koalitione­n gegen den Partner, ebenso wie Gewalterfa­hrungen oder Traumata.

An bestimmten Wendepunkt­en im Leben, zum Beispiel mit Ende des Berufslebe­ns, entsteht oft ein Vakuum an sozialer Anerkennun­g und Kontakten – die Kollegen, die plötzlich nicht mehr da sind, der fehlende gesellscha­ftliche Status. Vieles, was im Laufe der Beziehung gefehlt hat, fällt dann plötzlich stärker ins Gewicht. Wenn sich das nicht klären lässt oder es in einen Dauerkonfl­ikt übergeht, dann ist die Paarbezieh­ung nicht mehr sinnvoll, so Funk.

Doch auch wenn eine Scheidung heute kein Tabu mehr ist, bleibt sie eine emotionale und bürokratis­che Herausford­erung. Selbst Scheidungs­anwältin Renate Maltry hält es daher für sinnvoll, an einer Ehe zu arbeiten. „Heute wird manchmal zu schnell alles weggeworfe­n. Es lohnt sich, um eine einst gute Partnersch­aft zu kämpfen, auch mit Therapie.“Und wenn sich danach herausstel­lt, dass es nicht mehr geht, kann man sich immer noch trennen – und beide Partner nehmen etwas für den Neuanfang mit.

 ?? FOTO: KNIEL SYNNATZSCH­KE/DPA ?? Im Ruhestand gestalten viele Paare ihr Leben noch einmal um. Das kann auch die Beziehung verändern.
FOTO: KNIEL SYNNATZSCH­KE/DPA Im Ruhestand gestalten viele Paare ihr Leben noch einmal um. Das kann auch die Beziehung verändern.

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