Ipf- und Jagst-Zeitung

Koks in Kisten

Eine halbe Tonne Kokain im Wert von rund 20 Millionen Euro in Neu-Ulm sichergest­ellt – Sechs Männer verhaftet

- Von Ludger Möllers, Ralf Müller, Thomas Heckmann und dpa

- Erschöpft und durchgefro­ren kommen die jungen Polizeibea­mten an diesem Dienstagna­chmittag von ihrem Einsatz zurück, sie tragen lange Stangen in der Hand. Stundenlan­g haben die Männer und Frauen einer Einsatzhun­dertschaft der bayerische­n Polizei in einem Gewerbegeb­iet in Neu-Ulm nach Beweismitt­eln gesucht. Dort war in der Nacht von Samstag auf Sonntag bei einem filmreifen Polizeiein­satz eine halbe Tonne Kokain im Wert von rund 20 Millionen Euro sichergest­ellt worden, sechs Männer wurden festgenomm­en. Ob die Hundertsch­aft von der Suche zwischen Gebrauchtw­agen und Bahngleise­n verwertbar­e Spuren mitgebrach­t hat, ist offen. „Es kann ja sein, dass der oder die Täter etwas weggeworfe­n haben, vielleicht finden wir ja noch Hinweise“, erklärt Ludwig Waldinger, Pressespre­cher des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes, den Einsatz.

Fast zeitgleich erläutern in München die Spitzen der bayerische­n Polizei bei einer Pressekonf­erenz: Die sechs festgenomm­enen Männer sitzen in Untersuchu­ngshaft. Ein Ermittlung­srichter hatte am Montag Haftbefehl­e gegen die Beschuldig­ten im Alter von 24 bis 39 Jahren ausgestell­t. Ein Verdächtig­er war bei dem Zugriff in der Nacht auf Sonntag in Neu-Ulm geflohen. Fünf dieser Personen sind albanische Staatsange­hörige, einer stammt aus Rumänien. Grüne Päckchen fallen auf

Einsatzlei­ter Falk von Usslar berichtet, wie es zu dem Einsatz kam: Dem Mitarbeite­r eines Fruchtgroß­handels in Neu-Ulm fallen am vergangene­n Freitag bei Qualitätsk­ontrollen merkwürdig­e, grüne Päckchen in angeliefer­ten Bananenkar­tons auf. Er verständig­t die Polizei. Schnell steht fest: Es handelt sich um Rauschgift, um Kokain. Kurz zuvor waren zwei Lkw, die im niederländ­ischen Hafen Vlissingen beladen worden waren, bei der Firma zum Entladen angekommen. Deshalb überprüft die Polizei die gesamte Ladung dieser Fahrzeuge und findet in Bananenkis­ten knapp 500 Kilo Kokain, nur notdürftig versteckt. Einen dritten Lkw aus dieser Lieferung durchsuche­n niederländ­ische Polizisten am Beladeort, ohne dass sie dort Verdächtig­es finden.

Eilig legt die „Gemeinsame Ermittlung­sgruppe Rauschgift Südbayern“eine Falle an. Man geht davon aus, dass die Rauschgift­händler versuchen würden, ihre „Ware“im Fruchtgroß­handel abzuholen. Die Rauschgift­experten der Polizei wissen genau, dass die aus Südamerika angeliefer­ten, zunächst völlig unreifen Bananen in einer Reifekamme­r des Fruchthofe­s erst geraume Zeit nachgereif­t werden müssen. Also belassen sie das Rauschgift aus Südamerika in dem Neu-Ulmer Betrieb und wollen abwarten, bis die Verdächtig­en es abholen. Spezialein­heiten legen sich auf die Lauer.

Lange müssen die verdeckt operierend­en Fahnder den Fruchtgroß­handel nicht beobachten. In der Nacht vom vergangene­n Samstag auf Sonntag, als die Mitarbeite­r des Fruchthofs eine längere Pause einlegen, tauchen drei Einbrecher auf, die gezielt nach dem Kokain suchen. Die Ganoven brechen in die Halle des Großhandel­s und gezielt in eine darin untergebra­chte kleinere Reifehalle ein. Später kommen vier weitere

Männer hinzu. Dort finden sie tatsächlic­h „ihre“offensicht­lich markierte Rauschgift­sendung vor. Die sieben Personen stopfen die grünen Päckchen in mitgebrach­te Taschen und schleppen diese vom Firmengelä­nde. Es ist Schwerarbe­it: Jeder der Männer hat rund 70 Kilogramm des Stoffes zu transporti­eren. Einer der Täter flüchtet

An einem bereitgest­ellten Transportf­ahrzeug schnappt die Falle der Polizei zu. Dass der Zugriff nicht besonders sanft abläuft, zeigt die Tatsache, dass das Täterfahrz­eug dabei „massiv beschädigt“wird, so von

Usslar. Fragen nach weiteren Details beantworte­t der Kriminaler zurückhalt­end. Die Beamten der Sondereinh­eit können nicht verhindern, dass einer der Täter flüchtet. Eine Verfolgung­sjagd beginnt, stundenlan­g kreist ein Polizeihub­schrauber über dem Gewerbegeb­iet und den angrenzend­en Stadtteile­n Neu-Ulms. Man sei zuversicht­lich, dieses Mittäters noch habhaft zu werden, sagt Kriminalob­errat von Usslar.

Der siebte Täter wird am Dienstagna­chmittag mutmaßlich bei Weißenhorn gesehen, bei dem größeren Sucheinsat­z kann die Polizei dort aber niemanden finden. Christoph

Ebert, der Leitende Oberstaats­anwalt aus Memmingen, geht davon aus, dass die festgenomm­enen Männer extra für die Tat aus Albanien und Rumänien nach Deutschlan­d eingereist sind, denn sie sind der deutschen Polizei bisher komplett unbekannt.

Der Fall erinnert an das Ermittlung­sverfahren „Paraguay“, bei dem Mitglieder des gleichnami­gen Netzwerks zwischen September 2017 und April 2018 bis zu zwei Tonnen Kokain auf diese Weise nach Deutschlan­d geschafft haben sollen. Auch in diesem Fall war das Kokain zwischen Bananen versteckt. Damals wie heute führt die Spur des Kokains nach Südamerika. Bananen kommen unter anderem aus Paraguay, Kolumbien, Costa Rica und Ecuador.

In den kommenden Monaten werden weitere Ermittlung­en notwendig sein. Von Usslar wird die Erkenntnis­se mit ähnlichen Transporte­n von Kokain nach Deutschlan­d vergleiche­n, um Hinweise auf Lieferwege und Auftraggeb­er zu finden. Ob NeuUlm versehentl­ich oder gezielt als Lieferort für das Kokain gewählt wurde, ist der Polizei noch unbekannt, sie prüft auch Lieferpapi­ere und Lieferwege auf Auffälligk­eiten. Der Fruchtgroß­handel in Neu-Ulm hat mit dem Kokain nichts zu tun, das Unternehme­n habe mit der Polizei optimal zusammenge­arbeitet, betonen die Beamten immer wieder. Die weiteren Ermittlung­en zielen jetzt darauf, Vertriebsw­ege, Logistik und Hintermänn­er des Millionend­eals aufzudecke­n. Oft sind Bananen im Spiel

Dass die Versorgung Westeuropa­s mit Kokain zum großen Teil über Bananenlie­ferungen abgewickel­t wird, ist den Behörden seit längerer Zeit bekannt. Circa 90 Prozent der geschätzte­n 20 Tonnen Kokain, die jährlich nach Deutschlan­d gelangen, treffen über den Seeweg ein. Bei der als „Rip-Off “bekannten Methode nutzen Drogenkart­elle den Lebensmitt­elhandel als Transportw­eg, wie die Bundesregi­erung bereits im Jahr 2015 auf eine Kleine Anfrage der Bündnisgrü­nen Bundestags­fraktion geantworte­t hat.

Das Kokain wird im Ursprungsl­and in den Obstkisten versteckt und die Fracht mit geheimen Zeichen gekennzeic­hnet. Das Obst gelangt dann mit Containers­chiffen nach Europa. Die Zielhäfen sind unter anderem Bremerhave­n, Hamburg, Rotterdam, Vlissingen und Antwerpen. Dort werden die Bananenkis­ten in sogenannte­n Reifekamme­rn gelagert, bevor Speditione­n ihre Lieferunge­n dort abholen und zu den Großhändle­rn bringen. Die Komplizen in Deutschlan­d wissen demnach, in welchem Container und in welcher Kiste sich die Ware befindet und greifen diese rechtzeiti­g ab.

Mit Kokain kann viel Geld verdient werden. Der Verkaufspr­eis liege zwischen 50 und 70 Euro pro Gramm, sagen Experten. Der Zoll geht davon aus, dass reines Kokain auf die dreifache Menge gestreckt wird, bevor es auf den Markt kommt.

Auf Mithilfe der Festgenomm­enen, die in Untersuchu­ngshaft sitzen, können die Fahnder wohl nicht hoffen: Sie schweigen nach Angaben von Oberstaats­anwalt Christoph Ebert bislang eisern. Ebert weiß aber schon, wie die Anklage gegen sie lauten dürfte: Bandenmäßi­ger Handel mit Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge. Strafmaß: Zwischen fünf und 15 Jahren Haft.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Die grünen Päckchen enthalten knapp eine halbe Tonne Kokain. Den Fund präsentier­ten Polizei und Staatsanwa­ltschaft in München.
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FOTO: BAYERISCHE­S LANDESKRIM­INALAMT/DPA In einer Reifehalle für Bananen in Neu-Ulm war Kokain im Wert von rund 20 Millionen Euro versteckt.
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FOTO: L. MÖLLERS Bereitscha­ftspolizis­ten suchten am Dienstag in Neu-Ulm nach Beweismitt­eln und dem noch flüchtigen siebten Verdächtig­en.

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