Gespaltensein als literarische Tugend
Jonathan Lethem legt mit „Alan, der Glückspilz“neue Erzählungen vor
Jonathan Lethem (Foto: AFP) ist ein Zerrissener. Das merkt man diesen Erzählungen an. Weil seine Mutter an Krebs gestorben ist, wuchs er als weißer Teenager mitten im schwarzen Brooklyn in der Künstlerkommune seines Vaters auf. In Büchern fand der Junge die Stabilität, die ihm das Umfeld nicht bieten konnte. In seinem Roman „Die Festung der Einsamkeit“(2004) hat er eindrucksvoll davon erzählt. Gerade ist mit „Alan, der Glückspilz“ein neues Buch von ihm erschienen. Nach „Menschen und Superhelden“(2004) der zweite ins Deutsche übersetzte Erzählband des 1964 in New York geborenen Autors. Und den neun in den USA bereits 2015 publizierten Geschichten merkt man an, dass Lethem aus seinem Gespaltensein lange schon eine literarische Tugend gemacht hat.
Kontinuität gibt es nirgends. Auch keinen eigenen Stil. Es sei denn, man erklärt den Nicht-Stil zum Stil. Immer haben die Texte surreale oder zumindest absurde Ecken und Kanten. Ein bisschen ist zu spüren, dass Lethem am Pomona College in Kalifornien eine Professur für Kreatives Schreiben innehat. Die Texte wirken wie Aufgaben, die man Schülern stellt. Und doch ist ihnen eines gemein: Fast immer geht es um Verantwortung oder um Fürsorge. So cool die Stories daherkommen, so abgedreht sie sich gängigen Mustern verweigern: Es steckt in ihnen immer noch der brave Teenager, der dem „Everything Goes“des Vaters eine Sehnsucht nach Regeln entgegensetzt, weil er mit dem Zuviel an Freiheit nicht klarkommt.
Mal geht das hoffnungslos in die Hose, wie in dem einem Comicstrip nachempfundenen „Die Schattenseiten“, in dem Menschen und Monster mit dem Flugzeug abstürzen und auf einer Insel stranden. Mal entstehen anregende Geschichten, wie im besten Text „Verfahren unter freiem Himmel“, in dem der Held Stevick beobachtet, wie zwei Arbeiter eine Grube ausheben und einen Mann hineinsperren. Als es anfängt zu regnen, geht Stevick hin, protestiert. Darauf drücken die Männer ihm einen Schirm in die Hand, sagen, er könne sich gern über das Loch stellen. Mit wenigen Worten zeichnet Lethem ein starkes Bild.
Zugegeben. Es gibt viel Trash unter den Erzählungen. Nur selten gelingt es ihm, den Leser mitzunehmen wie in „Veganer in der Schwebe“, in dem er von Paul Espeseth erzählt, der mit seiner Familie einen Ausflug in den Erlebnispark Sea World in San Diego unternimmt. Eigentlich will er seinen Kindern dort das Leid der Tiere vor Augen führen. Am Ende aber holt ihn die eigene Vergangenheit ein. Jonathan Lethem fühlt sich in seine Figur ein. Er sollte das öfter tun. Dann wären seine Texte lebendiger.