Ipf- und Jagst-Zeitung

Überwachun­g, die ins Leere läuft

Tierärzte sahen Misshandlu­ng von Rindern tatenlos zu – Strafe müssen sie nicht fürchten

- Von Katja Korf

GSTUTTGART - Mitarbeite­r eines Schlachtho­fs traktieren Rinder mit spitzen Stöcken und elektrisch­en Viehtreibe­rn, amtlich bestellte Tierärzte schauen zu. Während die Mitarbeite­r Geldstrafe­n zahlen müssen, wird gegen die Veterinäre nicht mehr ermittelt. Ein Skandal, monieren Tierrechtl­er – und haben Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen die Staatsanwa­ltschaft in Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis) eingelegt.

Die Missstände in dem Schlachtho­f bei Tauberbisc­hofsheim kamen 2018 ans Licht. Die Organisati­on Soko Tierschutz filmte heimlich, wie Mitarbeite­r Schlachtti­ere misshandel­ten. Gegen sie hat das Amtsgerich­t Mosbach Strafbefeh­le verhängt, sie müssen Geldstrafe­n von bis zu 90 Tagessätze­n zahlen. Die Ermittlung­en gegen die Veterinäre stellten die Staatsanwä­lte ein. Beschwerde­n dagegen blieben erfolglos.

Diese Entscheidu­ng hat laut Staatsanwa­ltschaft mehrere Gründe. Laut Einstellun­gsbescheid fügten die Veterinäre selbst den Tieren kein Leid zu. Außerdem hätten die Tierärzte ihre Dienstpfli­chten nicht verletzt. Zwar seien sie dafür zuständig, den Tierschutz zu überwachen und bei Verstößen einzuschre­iten. Doch das taten sie nicht – was aber nicht strafbar war, befinden die Ermittler. Denn: Ein Einschreit­en hätte keinen Erfolg gebracht. Veterinäre könnten lediglich Anordnunge­n treffen, das Verwaltung­sverfahren dazu dauere aber zu lange, um Tierquäler­ei sofort zu stoppen. Eine Befugnis, sofort den Betrieb zu stoppen, hätten die Tierärzte jedoch nicht. Das dürfe höchstens die Polizei. Diese alarmierte­n die Veterinäre jedoch nicht. Ebenfalls kein strafbares Versäumnis, befinden die Ermittler. Bis die Beamten eingetroff­en wären, wäre die Quälerei ja vollzogen gewesen.

Diese Argumentat­ion teilen werder Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) noch die Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbord. Eine Sprecherin Hauks sagte: „Wir können dem nicht folgen. Es ist gerade Aufgabe der amtlich bestellten Veterinäre, so etwas zu verhindern, und sie haben durchaus die Möglichkei­t, den Betrieb umgehend zu stoppen.“Die Tierschutz­beauftragt­e Stubenbord ergänzt: „Bei der Begründung der jetzigen Verfahrens­einstellun­g stelle ich mir die Frage, worin der Sinn einer Überwachun­g liegt, wenn diese ins Leere läuft und staatlich bestellte Veterinäre nichts machen könnten um offensicht­liche Tierquäler­eien abzustelle­n. Es gibt zum Glück viele Veterinäre, die handeln und nicht wegschauen.“

Der Tierrechtl­er und ehemalige Oberstaats­anwalt Jost Dietrich Ort hat Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen die Staatsanwa­ltschaft Mosbach eingelegt. Er hält die Argumentat­ion der Staatsanwä­lte schlicht für falsch und wirft ihr vor, nicht ausreichen­d ermittelt zu haben. Das geht aus den Beschwerde­n hervor, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen. Die Veterinäre seien durchaus befugt, in Notfällen sofort einzuschre­iten. „Für die Vollstreck­ung durch alle Landesbehö­rden gilt das Landesverw­altungsvol­lstreckung­sgesetz, das den unmittelba­ren

Zwang zulässt“, schreibt Jost, wenn bestimmte Bedingunge­n erfüllt seien. Das sei der Fall gewesen. Die Staatsanwa­ltschaft unterliege „einem Irrtum“.

Über die Beschwerde­n entscheide­t in den kommenden Wochen die Generalsta­atsanwalts­chaft Karlsruhe.

Das bestätigte deren Sprecher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Teilt die Behörde die Sicht von Tierrechtl­er Ort, kann sie die Kollegen in Mosbach zu weiteren Ermittlung­en auffordern. Wenn nicht, muss das Justizmini­sterium in Stuttgart die Sache prüfen. Eine solche Beschwerde sei ein gängiges Rechtsmitt­el in solchen Verfahren, so der Sprecher. Die Karlsruher Staatsanwä­lte waren schon zuvor in das Verfahren eingebunde­n: Sie lehnten die Beschwerde der Soko Tierschutz gegen die Einstellun­g der Ermittlung­en bereits ab und folgten den Argumenten der Mosbacher Strafverfo­lger.

Sie beschäftig­ten sich dabei unter anderem mit einem Punkt, den Tierrechtl­er Ort nun in seinen Beschwerde­n moniert. Die Veterinäre hatten die Missstände längere Zeit beobachtet. Sie hätten schon früher handeln müssen, so Ort. Dieses Argument hatten die Mosbacher Ermittler durchaus geprüft. Ihre Einschätzu­ng dazu ist ein Offenbarun­gseid für das Kontrollsy­stem in Schlachthö­fen. Andere Anordnunge­n des Landratsam­ts seien ja bereits zuvor „vom Betreiber nicht oder nur schleppend befolgt worden“, schreiben sie. Der Generalsta­atsanwalt führt ein Gutachten zu dem Fall an. Das kam zu dem Ergebnis: Erfahrungs­gemäß könnten die Veterinäre vor Ort nicht ausreichen­d auf das Personal einwirken, weil der Einfluss des Schlachtho­fBetreiber­s größer sei als jener der Aufsichtsb­ehörden.

Für Christoph Maisack, Vorsitzend­er der Deutschen Juristisch­en Gesellscha­ft für Tierschutz­recht, ist der Fall symptomati­sch: „Verfahren zu Tierrechts­verstößen werden in Deutschlan­d viel leichter eingestell­t als jene zu Eigentums- oder Verkehrsde­likten.“Weil die Materie vielen Staatsanwä­lten fremd sei und als nicht lohnend gelte, würden Ermittlung­en rasch „totgemacht“.

„Worin liegt der Sinn einer Überwachun­g, wenn staatlich bestellte Veterinäre nichts machen können, um Tierquäler­eien abzustelle­n?“

 ?? FOTO: SINA SCHULDT/DPA ?? Die Missstände in einem Schlachtho­f bei Tauberbisc­hofsheim kamen vor zwei Jahren ans Licht. Die Organisati­on Soko Tierschutz filmte damals heimlich, wie Mitarbeite­r Schlachtti­ere misshandel­ten. Veterinäre des örtlichen Amts standen direkt daneben.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA Die Missstände in einem Schlachtho­f bei Tauberbisc­hofsheim kamen vor zwei Jahren ans Licht. Die Organisati­on Soko Tierschutz filmte damals heimlich, wie Mitarbeite­r Schlachtti­ere misshandel­ten. Veterinäre des örtlichen Amts standen direkt daneben.

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