Ipf- und Jagst-Zeitung

Der große „Wumms“soll die Nachfrage ankurbeln

Das Konjunktur­paket der GroKo überrascht mit gesenkter Mehrwertst­euer – Unklar ist, ob Kunden profitiere­n

- Von Klaus Wieschemey­er

GBERLIN - Die Mehrwertst­euer war bis Mittwochab­end nichts, woran Großkoalit­ionäre gerne dachten: Als die erste Groko unter Angela Merkel (CDU) Ende 2005 startete, tat sie dies direkt mit einer Erhöhung der Abgabe um satte drei Prozentpun­kte auf 19 Prozent. Man brauchte das Geld, um den Bundeshaus­halt zu sanieren.

15 Jahre später ist dieses Ziel für Merkels dritte GroKo passé. Angesichts der schlimmste­n Wirtschaft­skrise der Nachkriegs­zeit greift ihr Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) tief in die Staatskass­e: Der Koalitions­ausschuss einigte sich am Mittwochab­end nach zweitägige­r Verhandlun­g in Berlin auf ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunktur­paket. Der mit 20 Milliarden Euro größte Einzelbatz­en ist dabei eine sechsmonat­ige Senkung der Mehrwertst­euer. Der Regelsatz soll von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Satz (unter anderem für Lebensmitt­el und Bücher) von sieben auf fünf Prozent gesenkt werden. Es ist ein finanzpoli­tischer Einschnitt, denn bisher kannte die Mehrwertst­euer in Deutschlan­d nur eine Richtung: nach oben. Von zehn Prozent im Jahr 1968 kletterte der Satz auf heute 19 Prozent, der ermäßigte Satz für den Grundbedar­f von fünf auf sieben Prozent.

Die nun beschlosse­ne Senkung gilt als Gießkannen­förderung, da praktisch jeder Bürger mit dem Einkauf Mehrwertst­euer zahlt. Ob Auto, Buch, Wurstwecke­n oder Dienstleis­tung – alles könnte billiger werden. Zumindest, wenn die Unternehme­n die Preissenku­ng an die Kunden weitergebe­n. Wenn nicht, steigt die Marge. Bei einem Familienei­nkauf im Wert von 300 Euro könnten die Kunden so bis zu acht Euro sparen – und dieses Geld für andere Dinge ausgeben.

Da die Regierung mit einer gesenkten EEG-Umlage, dem Kinderbonu­s und höheren Freibeträg­en für Alleinerzi­ehende weitere Milliarden an die Bürger ausreicht, soll das der „Funken“sein, der die Wirtschaft wieder ankurbelt. Man hoffe auf eine „breite Wirkung“, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Ihr Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) taufte die Konsumoffe­nsive „Kraftpaket“und Cheffinanz­er Olaf Scholz erklärte, man wolle „mit Wumms“aus der Krise kommen. Die Idee dahinter: Wenn die Wirtschaft schnell wieder anspringt, sinken Arbeitslos­igkeit und Kurzarbeit und steigen auch die eingebroch­enen Steuereinn­ahmen wieder. Ob das klappt, ist offen. Denn damit das Konjunktur­programm richtig zündet und kein Strohfeuer bleibt, müssen die Menschen eben auch nachhaltig mehr einkaufen. In Großbritan­nien hatte eine Mehrwertst­euersenkun­g in der Finanzkris­e 2008 Erfolg.

CSU-Chef Markus Söder ist jedenfalls optimistis­ch, auch wenn ihm der „Wumms“seines Koalitions­ausschuss-Verhandlun­gspartners Olaf Scholz dann doch zu flapsig ist: „Ob es ein Wumms ist, weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall ein großer Schritt nach vorne“, sagte Bayerns Ministerpr­äsident am Donnerstag in Berlin – und machte gleich die Tür für eine Verlängeru­ng auf: Sollte sich die Wirtschaft nicht erholen, könne man die Mehrwertst­euerregelu­ng verlängern. „Ziel muss sein, nach der Corona-Starre kein dauerhafte­s CoronaKoma zu bekommen, sondern einen Aufschwung zu generieren.“

Die Reaktionen auf das Konjunktur­paket fielen am Donnerstag größtentei­ls positiv aus: Abgesehen von der AfD, die das Paket als „langweilig“bezeichnet­e, konnten alle anderen Opposition­sparteien dem Plan Positives abgewinnen. Auch notorische Kritiker, vom Bund der Steuerzahl­er bis zur Gewerkscha­ft Verdi, lobten das Paket.

Doch es gibt auch mahnende Worte. Denn das nun ausgegeben­e Geld soll ja in Zukunft wieder erwirtscha­ftet werden. Und dort drohe ein dickes Ende: „Die Große Koalition hat zu viel an heute und zu wenig an morgen gedacht“, kritisiert FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer. Zwar sind 50 Milliarden Euro in dem Paket für ein „Zukunftspr­ogramm“vorgesehen. Doch die Entlastung der Wirtschaft

komme dabei zu kurz, kritisiert Theurer. Sarna Röser vom Verband der Jungen Unternehme­r warnt, dass die junge Generation die Zeche für die jetzigen Wohltaten zahlen müsse.

Auch in der Regierungs­koalition gibt es mahnende Worte. Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus verteidigt­e zwar die Sonderausg­aben in diesem Jahr. Man dürfe in dieser Zeit „nicht geizig sein“. Doch 2021 müsse die Politik in Sachen Haushalt und Schuldenbr­emse in den „Normalzust­and“zurückkehr­en. 2020 sei eine Ausnahmeze­it, erklärte Brinkhaus: „Wenn das auf Dauer passiert, kriegen wir ein Problem.“

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Finanzmini­ster Olaf Scholz (links, SPD) muss tief in die Staatskass­e greifen: Der Koalitions­ausschuss einigte sich nach zweitägige­r Verhandlun­g in Berlin auf ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunktur­paket.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Finanzmini­ster Olaf Scholz (links, SPD) muss tief in die Staatskass­e greifen: Der Koalitions­ausschuss einigte sich nach zweitägige­r Verhandlun­g in Berlin auf ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunktur­paket.

Newspapers in German

Newspapers from Germany