Ipf- und Jagst-Zeitung

„Es wird Einschränk­ungen kommunaler Leistungen geben“

Fast sechs Milliarden Euro Steuergeld fehlen den Städten – Das Konjunktur­paket kommt da gerade recht, sagt Gemeindeta­gs-Chef Kehle

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STUTTGART - 130 Milliarden Euro will die Bundesregi­erung verteilen, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Warum Baden-Württember­gs Gemeinden das Geld dringend brauchen und Schulden machen jetzt sinnvoll ist, erklärt Roger Kehle im Interview mit Katja Korf. Kehle ist Präsident des Gemeindeta­ges, der im Südwesten mehr als 1000 Gemeinden vertritt.

Herr Kehle, wie zufrieden sind Sie mit den Hilfen aus Berlin?

Ich halte das Paket für gelungen. Es wäre zu einfach, einzelne Elemente herauszugr­eifen und zu kritisiere­n. Das kann man immer tun, aber hier passt das Gesamtpake­t sehr gut.

Anders als von SPD und Städtevert­retern im Bund gefordert, werden Kommunen nun alte Schulden nicht erlassen. Was halten Sie davon? Die Altschulde­n von Städten und Gemeinden sind keine Folge der Corona-Pandemie. Sie sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n entstanden. Deswegen habe ich mich bei den kommunalen Vertretern auf Bundeseben­e dafür eingesetzt, diese Fragen losgelöst von diesem Konjunktur­paket zu diskutiere­n. Baden-Württember­gs Städte und Gemeinden standen vor der Corona-Pandemie auch deswegen finanziell so gut da, weil wir gemeinsam mit der Landesregi­erung vieles richtig gemacht haben. Wir haben uns da oft heftig, aber letztlich sachgerech­t mit dem Land auseinande­rgesetzt. Wir in Baden-Württember­g hätten von einem Erlass der Altschulde­n kaum profitiert, weil wir hierzuland­e gut gewirtscha­ftet haben.

Städte und Gemeinden werden 2020 und 2021 rund 5,9 Milliarden Steuereinn­ahmen fehlen. Welche Auswirkung­en hat das für die Bürger?

Wir sollten vorsichtig mit Prognosen sein. Jetzt ist nicht die Zeit für Pessimiste­n, sondern für Macher. Damit sind wir in Baden-Württember­g gut durch schwierige Zeiten gekommen, etwa durch die Finanz- oder die Flüchtling­skrise. Klar ist: Es wird Einschränk­ungen kommunaler Leistungen geben. Es wäre aber unseriös, heute zu sagen, wann, wo und in welchem Umfang. Wichtig ist jetzt, dass geplante Investitio­nen der Kommunen zum Beispiel in Schulen trotz Corona fließen. Da hat das Land bereits etwas getan, der Bund eröffnet nun weitere Möglichkei­ten. Wie wir die nutzen, muss jetzt geklärt werden.

Die Landesregi­erung hat den Gemeinden 200 Millionen Euro Soforthilf­e zugesagt sowie weitere Mittel etwa für Busse und Bahnen. Außerdem fließen 500 Millionen, um geplante Investitio­nen zu tätigen – die müssen aber wohl zurückgeza­hlt werden. Reicht das?

Ich gehe davon aus, dass das nicht reicht. Ich werde jetzt aber nicht irgendwelc­he Summen ausrufen. Es hilft niemandem, als Ankündigun­gsweltmeis­ter durchs Land zu ziehen. Wir fragen derzeit unsere 1064 Mitgliedsg­emeinden, mit welchen Einbußen sie durch die Corona-Pandemie rechnen. Erste belastbare Ergebnisse erwarten wir erst Mitte Juni. Auf dieser Grundlage reden wir dann mit der Landesregi­erung.

Was erwarten Sie vom Land?

Wir müssen die Förderprog­ramme von Bund und Land so klug aufeinande­r abstimmen, dass sie einen möglichst großen Effekt für unsere Gemeinden haben. Ein Beispiel: Die Landeswirt­schaftsmin­isterin hat verkündet, dass es Prämien für Ausbildung­sbetriebe

gibt – diese sieht nun auch der Bund vor. Solche Doppelunge­n muss man vermeiden. Der Bund hat sehr viel Geld ins Schaufenst­er gestellt. Die Kommunen müssen in der Lage sein, diese abzurufen. Dazu benötigen sie zum einen Geld, etwa um vom Bund geförderte Maßnahmen mitzufinan­zieren – oft werden ja nur Teile einer Investitio­n gefördert. Und es bedarf guter Ergänzunge­n der Bundesförd­erung durch das Land.

Warum ist es so wichtig, dass Gemeinden finanziell solide dastehen?

Der Konjunktur­motor kann ohne Nachfrage der Kommunen nicht anspringen. Städte und Gemeinden sind einer der größten Nachfrager – sie bestellen Dienstleis­tungen, Handwerker, Baufirmen, zahlen für Kitas, Schulen, Straßen und sehr vieles mehr. Sie investiere­n von der Wiege bis zur Bahre. Ziel muss es sein, möglichst schnell aus der Rezession heraus zu kommen. Die Chance besteht, wenn wir jetzt alles richtig machen.

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FOTO: BERND Roger Kehle, Präsident des Gemeindeta­ges Baden-Württember­g.

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