Viele enttäuscht, alle unter Druck
Autobranche kritisiert einseitige Förderung – Konjunkturpaket helfe nur einem Bruchteil der Beschäftigten
GRAVENSBURG - Nach mehr als zehn Wochen Lockdown stehen die Höfe und Parkplätze der Autohändler voll mit Neuwagen – zumeist Fahrzeuge mit modernen Verbrennungsmotoren. Den Wert der Autos schätzt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes, Jürgen Karpinski, auf mehr als 15 Milliarden Euro. Ein Rückstau, im Zuge dessen die Autobauer nach und nach ihre Förderbander anhielten, was in der Folge auch die Produktion der Zulieferer lahmlegte. Am Ende war ein Großteil der mehr als 830 000 in der Autoindustrie und rund 500 000 im nachgelagerten Kraftfahrzeuggewerbe beschäftigten Menschen von der Corona-Pandemie betroffen.
Für die deutsche Volkswirtschaft ist das Produkt Auto ein Garant für Wohlstand und Beschäftigung. Die Autobauer und ihre Zulieferer sind die größte Branche des Verarbeitenden Gewerbes und mit einem Umsatz 2019 von gut 435 Milliarden Euro der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland. Entsprechend groß war die Hoffnung der Branche auf Hilfen für die kriselnde Automobilwirtschaft. In vielen Konferenzen warben im Vorfeld Branchenvertreter bei der Politik um Verständnis und Unterstützung.
Das Ergebnis – deutlich aufgestockten Kaufprämien für Elektroautos und die Senkung der Mehrwertsteuer – kritisieren viele nun aber als unzureichend. Der Verband der Automobilindustrie (VDA), bedauert, „dass im beschlossenen Konjunkturpaket die Vorschläge der Automobilindustrie für einen breit angelegten und unmittelbar wirksamen Konjunkturimpuls nur zum Teil aufgenommen wurden“, sagte VDA-Verbandspräsidentin Hildegard Müller am Donnerstag. Allerdings sei „die befristete Absenkung der Mehrwertsteuer eine wichtige Maßnahme, um die Nachfrage in Deutschland wieder in Schwung zu bringen“. Der Verband versprach, dass die Autobauer die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weitergeben werden.
Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer hält die Mehrwertsteuerentlastung von drei Prozent für wirkungslos. „Die Wirtschaft bricht ein, die kleinen Entlastungen helfen da überhaupt nicht weiter. Um alles ins Laufen zu bringen, brauchen wir einen echten wirklungsvollen Impuls“, erklärt der Leiter des Centers for Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen und schlägt die
Senkung der Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr auf null vor – und zwar für Investitionen, die mehr als 10 000 Euro kosten. „Dann kommen die Verbraucher wirklich ins Nachdenken, größere Dinge anzuschaffen, die die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.“Von den aufgestockten Kaufprämien hält Dudenhöffer nichts, da der Marktanteil von Elektrofahrzeugen viel zu kein ist. „90 Prozent der Beschäftigten gucken in die Röhre“, sagt Dudenhöffer der „Schwäbischen Zeitung“. „Es ist einfach idiotisch in der Lage auf einen Nischenmarkt zu setzen und jetzt ein Umweltproblem lösen zu wollen.“
Mit Beschränkung der Verkaufsanreize auf ohnehin schon subventionierte Fahrzeuge mit alternativen Antrieben sei der „krisengeschüttelten Automobilwirtschaft ein Bärendienst“erwiesen worden, sagt auch ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. Die befristete Mehrwertsteuerabsenkung könne dies nicht annähernd kompensieren. „Leider ist die ökonomische Vernunft vor dem Populismus und den Verlockungen der Gießkannenpolitik eingeknickt.“
Auch der württembergische Zulieferer Bosch, der das Konjunkturprogramm im Grundsatz begrüßt, kritisiert die einseitige Ausrichtung auf Elektrofahrzeuge. „Die Entscheidung,
moderne Verbrennungsmotoren von einer unmittelbaren Förderung auszunehmen, ist indes nicht nur für den wirtschaftlichen Wiederhochlauf der Automobilindustrie als einer Schlüsselbranche in Deutschland, sondern auch für den Klimaund Umweltschutz das falsche Signal“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. „Grundsätzlich hätte eine solche Förderung zur Stärkung der Nachfrage und damit zur raschen Erneuerung des Fahrzeugbestands beigetragen.“
Für den Arbeitgeberverband Südwestmetall, der die Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg vertritt, ist die einseitige Förderung der Elektromobilität der „größte Wermutstropfen“. „Es ist nun einmal so, dass gerade bei uns im Südwesten Hunderttausende von Arbeitsplätzen nach wie vor an der Produktion von Autos mit Verbrennungsmotor hängen“, sagt Südwestmetall-Chef Stefan Wolf. „Wenn die Verbraucher sich nun – wie gewünscht – dem deutlich stärker geförderten Elektroauto zuwenden, bleiben diese Arbeitsplätze und ihre Arbeitnehmer bei der Förderung außen vor.“
Der Autobauer Daimler sieht in dem Konjunkturpaket dagegen einen „guten, überparteilichen Kompromiss“. „Die Absenkung der Mehrwertsteuer
ist aus unserer Sicht ein wichtiges Signal zur Stärkung der Binnennachfrage“, sagte ein Sprecher. „Die im Zukunftspaket enthaltenen Maßnahmen für klimafreundliche Mobilität von Nutzfahrzeugen und Pkw sind sinnvoll und unterstützen unsere zentralen Aufgaben der Transformation der Automobilindustrie: Digitalisierung und Kohlendioxid-Neutralität.“Wolfgang Grenke, Präsident des baden-württembergischen Industrie- und Handelskammertages, fordert eine zügige Umsetzung des Programms. „Das Konjunkturpaket enthält Maßnahmen, welche auch dem Automobilsektor sofort helfen, wie die Absenkung der Mehrwertsteuer.“
Der Friedrichshafener Zulieferer ZF nennt „die mit dem Konjunkturpaket verbundene ökologische Lenkwirkung“nachvollziehbar. „Durch die Senkung der Mehrwertsteuer partizipieren auch der Autohandel und alle Neuwagenkäufer“, sagte ein Sprecher. „Dass Plug-in-Hybride deutlich gefördert werden, ist aus ZF-Sicht begrüßenswert, da sie für viele Kunden einen optimalen Einstieg in die E-Mobilität ermöglichen und noch vorhandene Nachteile der E-Mobilität, etwa mangelnde Reichweiten und die noch unzulängliche Ladeinfrastruktur, überbrücken können.“ Der Zulieferer setzt auf kombinierte Elektro-Verbrenner-Antriebe, um die Transformation in den nächsten Jahren zu bewältigen.
ZF-Betriebsratschef Achim Dietrich sieht das Paket kritischer. „Wir hätten wir uns eine deutlichere Förderung der Autoindustrie gewünscht“, sagte Dietrich. „Dennoch: Alle Maßnahmen, die die Wirtschaft beleben, zum Beispiel die Mehrwertsteuersenkung, helfen auch indirekt der Autoindustrie beziehungsweise ihren Zulieferern und tragen somit zur Arbeitsplatzsicherung bei.“
Vor allem gehe es bei einem Konjunkturpaket darum, Zuversicht zu vermitteln – dafür hatte Achim Dietrich in mehreren Konferenzen mit anderen Betriebsratschefs unter anderem mit der SPD-Bundestagesfraktion geworben. „Wenn ich zur gleichen Zeit einen Stellenabbau bekannt gebe, ist das natürlich Gift für die Nachfrage. Denn wer Angst um seinen Job hat, kauft sich keinen Neuwagen“, sagte der Arbeitnehmervertreter enttäuscht. Eine Enttäuschung, die sich nicht nur auf die Nachricht aus Berlin gründet, sondern auch auf Nachrichten aus dem eigenen Haus: Erst vor einer Woche hatte der Zulieferer den Abbau von bis zu 15 000 Jobs angekündigt, rund die Hälfte davon in Deutschland.